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Leichtathlet Ferdinand Schladen: Ein Star, der keiner sein durfte

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Leichtathlet Ferdinand Schladen: Ein Star, der keiner sein durfte

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Der Star, der keiner sein durfte

Der kürzlich verstorbene Kugelstoßer Ferdinand Schladen wurde 1972 vom DLV um seine Olympiateilnahme gebracht. Die Umstände seiner Ausbootung sind erschreckend.
Ferdinand Schladen während eines Jux-Wettkampfes auf dem Oktoberfest im Jahr 1972
Ferdinand Schladen während eines Jux-Wettkampfes auf dem Oktoberfest im Jahr 1972
© Imago
Der kürzlich verstorbene Kugelstoßer Ferdinand Schladen wurde 1972 vom DLV um seine Olympiateilnahme gebracht. Die Umstände seiner Ausbootung sind erschreckend.

Am 9. September 1972 um 14.30 Uhr saß der Bonner Kugelstoßer Ferdinand Schladen auf der Zuschauertribüne des Münchner Olympiastadions und schaute sich das Finale an, an dem er selbst nicht teilnehmen durfte.

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Dass der Wettkampf ohne den damals 33-Jährigen stattfand, ist bis zum heutigen Tage eine der größten Ungerechtigkeiten in der deutschen Leichtathletik. Doch dazu später mehr.

Ferdinand Schladen: Ein vergessener Top-Athlet

Den Namen Ferdinand Schladen kennen heutzutage nur noch ausgewiesene Leichtathletik-Experten. Selbst beim DLV findet sich auf Nachfrage kein Funktionär mehr, der sich über den früheren deutschen Rekordhalter auslassen könnte. 

Dabei hätte Schladen das Zeug gehabt, ein echter Star der deutschen Leichtathletik zu werden. Mit einer Größe von 2,03 Meter und seiner unbändigen Kraft hatte er ideale Voraussetzungen für einen Kugelstoßer, zudem war er ein echtes Bewegungstalent. (Alles Wichtige zur Leichtathletik)

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Dabei kam der lange Schlacks erst spät zur Leichtathletik, nachdem der Arzt ihn wegen Haltungsschäden zum Sport schickte. Seine Statur machte ihm aber nicht nur auf der Arbeit zu schaffen, sondern war auch in anderen Situationen herausfordernd.

Weil er in den VW seines Fahrlehrers erst passte, nachdem der Vordersitz abmontiert wurde, saß Schladen auf der Rückbank - direkt neben dem Prüfer. Nach der Frage an den Fahrlehrer, ob die Ampel grün sei, ließ der Prüfer Schladen rechts ranfahren, drückte ihm die Fahrerlaubnis in die Hand und verabschiedete ihn mit den Worten: "Ich will Sie nie mehr wiedersehen".

Schladen hält sich vom DLV fern

Ungewöhnlich war auch Schladens Herangehensweise beim Kugelstoßen: Als Autodidakt hielt er sich so gut es ging vom Verband fern - was letztlich seinen Traum von einer großen Karriere zerstörte. "Da er alleine trainierte, hatte er natürlich auch keine Lobby beim DLV", erinnert sich Dr. Wolfgang Knüll, der Schladen in vielen Wettkämpfen begleitete, bei SPORT1.

Knüll war selbst Kugelstoßer, allerdings mit gänzlich anderen Ambitionen als sein Mitstreiter. Während Schladen regelmäßig um den Sieg stieß, schied Knüll meistens schon in der Qualifikation oder im Vorkampf aus.

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Schladen, der erst mit über 20 Jahren zum Kugelstoßen kam, machte sich durch seine Alleingänge im Verband unbeliebt. "Er ist zwar zu den Lehrgängen gefahren, hat aber immer seine eigenen Programme gemacht. Bei den Etablierten im DLV war er nicht so gerne gesehen", erzählt Knüll: "Er war ein ganz eigener, aber auch liebenswürdiger Mensch, das Gegenteil eines Eigenbrötlers."

Ein weiterer Grund, warum ihm der DLV skeptisch begegnete: In einer Zeit, in der ungezügelt und zum Teil mit Verbandsunterstützung gedopt wurde, hielt sich Schladen ganz im Gegensatz zu seinen Konkurrenten von leistungssteigernden Mitteln fern.

Doping gehörte beim DLV zum Programm

Kontrollen gab es auch früher schon - doch der DLV bekam immer Wind davon und warnte seine Athleten rechtzeitig. 

"Ich weiß noch von einem Wettkampf 1970 in Hannover, da war die Elite der deutschen Diskuswerfer angemeldet - unter anderem der spätere Olympiasieger Rolf Danneberg", erinnert sich Knüll: "Die starteten aber nicht, weil es Kontrollen gab, das wussten sie schon vorher. Die hatten dann eine Muskelzerrung oder sonst etwas. Ferdinand war immer dabei, ihn konnte man auch immer testen."

Dass der Dopingkonsum schwere gesundheitliche Schäden verursachen kann, wusste Knüll als Mediziner schon damals.

Knüll war noch Student und warnte seinen Freund vor den Folgen: "Mit Anabolika wächst alles, der Muskel, aber auch die Adern, die irgendwann zugehen. So hat es den langjährigen deutschen Kugelstoß-Meister Ralf Reichenbach erwischt." 

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Reichenbach, damals der größte Konkurrent von Schladen, verstarb 1998 mit 47 Jahren, nachdem er sein Leben lang Anabolika nahm - zunächst als Kugelstoßer, später als Bodybuilder. 

Der Name Reichenbach spielt auch in jenem Jahr 1972 eine Rolle, in dem Schladen um seine Olympia-Teilnahme gebracht wurde.  

"Das war wirklich eine Tragödie"

"Das war wirklich eine Tragödie", sagt Knüll auch noch knapp 50 Jahre später. Einige Monate vor den Spielen in München ging es um die Olympia-Qualifikation - und Schladen war in der Form seines Lebens. "Im Jahr vor den Spielen 1972 hatte er zum ersten Mal 200 Kilo Bank gedrückt", erinnert sich Knüll. 

Die deutschen Meisterschaften in München wurden als Qualifikationswettkampf für die späteren Spiele deklariert. Der Modus war einfach: Die besten drei Athleten bekamen das Olympiaticket in die Hand gedrückt - allerdings unter einer Voraussetzung: Sie mussten über 20 Meter stoßen.

"Ferdinand war an diesem Tag nervös und er hat sich beim Einstoßen, wo er an die 20 Meter kam, wohl übernommen", glaubt Knüll. "An dem Tag war es brüllend heiß, ich war auch im Wettkampf dabei, allerdings unter ferner liefen. Ferdinand stieß 19,37 Meter und wurde am Ende Vierter."

Reichenbach holte den Titel mit 20,15 Meter, Heinfried Birlenbach (19,71 Meter) und Traugott Glöckler (19,67 Meter) folgten auf den Plätzen zwei und drei. Knüll: "Ferdinand war enttäuscht, sagte sich aber: 'Es ist nicht schlimm, 20 Meter waren gefordert.'"

Bundestrainer hält sich nicht an die Absprachen

Von der Absprache wollte der damalige Bundestrainer Werner Heger aber plötzlich nichts mehr wissen und nominierte direkt nach dem Wettkampf die drei Erstplatzierten für Olympia - unter anderem Glöckler, der wie Heger aus Heidelberg kam. "Es war klar, dass er seinen Mann dabei haben wollte", ist Knüll auch heute noch überzeugt. "Er hat seinen Mann protegiert, das war sportlich nicht fair. Niemand hat das verstanden, man hätte zumindest den dritten Platz offen lassen können."

Schladen aber ließ sich nicht hängen und stieß in den folgenden Wettkämpfen regelmäßig über 20 Meter - was bei den Spielen in München mindestens für Silber hinter Sieger Wladyslaw Komar aus Polen (20,60) gereicht hätte. Am 8. August 1972 landete die Kugel in Aachen auf 20,40 Meter, damit verbesserte er den bundesdeutschen Rekord.

Der DLV beobachtete den Nonkonformisten Schladen mit Argusaugen. Dass ein Sportler, der nicht einmal einen Trainer beanspruchte, immer wieder Bestleistung lieferte, war dem DLV ein echtes Ärgernis.

Man maß das genaue Gewicht der Kugel, später sogar die Neigung der Anlage. Es war alles in Ordnung, der Verband musste die Bestmarke zähneknirschend anerkennen. 

Bei einem anschließenden Wettkampf in München, dem Hans-Braun-Sportfest, traf Schladen im Vorfeld der Spiele auf die Elite der amerikanischen Kugelstoßer - damals wie heute die Besten im Ring. 

Knüll erinnert sich: "Ferdinand stieß sich mit einer Acht-Kilo-Kugel ein, die also 800 Gramm schwerer war als die Wettkampfkugel. Da riefen die DLV-Funktionäre höhnisch: 'Wo hast du denn die 20 Meter her? War das ein Luftballon oder was?' Schladen sagte dann, sie sollen sich die Kugel mal anschauen - da war Ruhe. Da sagte keiner mehr was."

Ehrengast bei Olympia - aus schlechtem Gewissen

Auch dieses Mal stieß Schladen über 20 Meter, während seine deutschen Konkurrenten meterweise hinter ihm blieben. Allein: Es nützte ihm nichts mehr, der Bundestrainer ließ sich von seiner umstrittenen Entscheidung nicht mehr abbringen.  

"Die Zuschauer feierten Schladen, da war richtig was los im Stadion", erinnert sich Knüll: "Die Menschen erkannten, dass hier ein großes Unrecht geschah und der beste Mann zu Hause gelassen wurde, nur weil er keine Lobby hatte." 

Wohl aus schlechtem Gewissen heraus wurde der deutsche Rekordhalter als Ehrengast für den gesamten Zeitraum der Olympischen Spiele eingeladen. Die treibende Kraft dahinter war der Sporthilfe-Gründer Josef Neckermann, der von einer großen Ungerechtigkeit gegenüber Schladen sprach.

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Der kürzlich verstorbene Chef de Mission und Bürgermeister des Olympischen Dorfes, Walter Tröger, überreichte ihm am Ende der Spiele sogar die offizielle Fahne des Dorfes - für Schladen ein schwacher Trost. Bis zum heutigen Zeitpunkt gilt seine Ausbootung als Tiefpunkt deutscher Funktionärsherrlichkeit. 

Ferdinand Schladen starb am 29. März 2021 im Alter von 81 Jahren an den Folgen einer Autoimmunerkrankung. Der DLV vermeldete in ein paar dürren Zeilen den Tod seines früher ungeliebten Athleten, ohne auf dessen außergewöhnliche Geschichte hinzuweisen.