Joaquín Carmona ist so etwas wie Spaniens Leichtathletik-Guru.
Die irre Story eines Obdachlosen
Oder wie es die spanische Tageszeitung La Vanguardia ausdrückt: "Ein Sportler stellte einen Rekord auf. Oder gewann einen Titel. Oder erlebte einen Reinfall. Oder hatte Geburtstag. Oder ist gestorben. Und umgehend kam der Tweet von @jokin4318. Ein perfekter Tweet."
Selbst für echte Kenner der Szene ist Carmona eine Referenz, wenn es um Daten und Fakten rund um die Leichtathletik geht.
Zehntausende Follower hat der Mann auf Twitter. Das zu wissen, ist wichtig, um die außergewöhnliche Geschichte von Joaquín Carmona zu verstehen.
Drei Monate kein Tweet von Carmona
Denn so viel Carmona über die Leichtathletik-Welt weiß, so wenig wussten seine Follower und die Leichtathletik-Welt über Carmona. Bis Anfang dieser Woche. Drei Monate lang war Carmona zuvor komplett von der Bildfläche verschwunden. Sein letzter Twitter-Post datierte vom 15. März. Danach: nichts mehr. Kein Tweet. Keine Antwort. Kein Like.
Seine Anhängerschaft begann sich zu fragen, wo Carmona abgeblieben sei. Das allein schon zeigt die Bekanntheit, die Carmona auf Twitter erlangt hatte.
Natürlich lag die Vermutung nahe, dass sein Abtauchen mit dem Coronavirus zu tun hatte, von dem Spanien ab Mitte März besonders schwer betroffen war. Aber mit Bestimmtheit konnte es niemand sagen.
Woher auch? Abgesehen davon, dass er seinen Standort bei Twitter mit Madrid angab, wusste ja niemand etwas über Carmona.
Rätselraten der Follower: Wer ist Carmona?
Bis sich Alfredo Varona vom Fitnessmagazin La Bolsa del Corredor auf die Suche begab - und sich irgendwann ein in Turin lebender Madrilene via Privatnachricht auf Twitter bei ihm meldete.
"Ich weiß, wer @jokin4318 ist", schrieb der Mann. Er habe ihn eines Tages in einer Bibliothek im Stadtbezirk Arganzuela kennengelernt. Und er fügte hinzu: "Wenn du ihn siehst, sag' ihm, dass er aufhören soll, auf der Straße zu schlafen."
Er habe immer gedacht, Carmona sei vielleicht Universitätsprofessor oder Forscher, erzählte Varona bei La Vanguardia - und nun erfuhr er, dass Joaquín Carmona ein Obdachloser war.
Wie es genau dazu kam? Varona machte sich auf den Weg in einen Madrider Park, um Carmona zu treffen, seine Geschichte zu hören. Und nach anfänglichem Zögern begann Carmona zu erzählen.
Carmona entpuppt sich als Obdachloser
Wie er, der Sohn eines Alkoholikers und einer schwerkranken Mutter, vor fast 30 Jahren als 19-Jähriger aus dem Baskenland nach Madrid gekommen sei. Wie der Goldlauf der Tschechin Jarmila Kratochvílová über 800 Meter bei der WM 1983 in Helsinki seine Begeisterung für die Leichtathletik entfacht habe.
Wie er diverse kleinere Jobs gehabt habe, aber verschiedene Umstände dazu geführt hätten, dass er nun seit Jahren auf der Straße lebe.
Und warum hatte Carmona drei Monate lang nichts getwittert?
Die Bibliothek, in der er üblicherweise seine Zeit verbrachte, wo er das WLAN nutzte und seinen Laptop auflud, hatte mit Beginn des Krisenzustandes geschlossen.
Corona macht Strich durch die Rechnung
In seinem Park, auf seiner Matte, die er einst irgendwo auf der Straße gefunden hatte, hatte Carmona schlichtweg keine Möglichkeit, auf Twitter zuzugreifen.
Das sollte sich nach der Veröffentlichung von Alfredo Varonas Reportage schlagartig ändern. Der Journalist erzählte nicht nur Carmonas Geschichte, er richtete zugleich ein Crowdfunding für den 46-Jährigen ein. Am Dienstagmittag waren bereits über 5000 Euro zusammengekommen. Dank einer anonymen Spende konnte sich Carmona zudem ein Zimmer in einer Pension nehmen, hat nun wieder ein Dach über dem Kopf.
Was er nun tun wolle, wurde Carmona von La Vanguardia Anfang der Woche am Telefon gefragt.
"Ich werde den Computer einschalten. Ich werde schauen, ob er funktioniert", sagte Carmona und kündigte an: "Und dann werde ich weiter Werbung für die Leichtathletik betreiben. Der Sport bekommt zu wenig Aufmerksamkeit. Früher lief viel häufiger Leichtathletik im Fernsehen."
Jobangebot für Carmona
Dass seine Followerzahl von rund 18.000 sprunghaft auf über 30.000 angestiegen ist, dürfte dabei hilfreich sein. Genauso wie ein Jobangebot aus dem Bereich der Leichtathletik, das es offenbar bereits geben soll.
Und mithilfe der über 11.000 Euro, die bei gofundme.com bis Mittwochmittag als Unterstützung zusammengekommen sind, kann sich Carmona vielleicht wieder ein geregeltes Leben aufbauen.
Damit er künftig uneingeschränkt die Geschichten der Leichtathletik-Welt erzählen kann. Jetzt, wo die ganze Welt seine Geschichte kennt.