Für den früheren WWE-Rivalen war Sting einst in etwa das, was Dirk Nowitzki in der NBA für die Dallas Mavericks war.
Ex-Obdachloser am Wrestling-Gipfel
"Franchise Player" ist das oft verwendete Wort für die Rolle der Legende bei World Championship Wrestling (WCW): Bei der Liga, die der damaligen WWF in den Neunzigern für eine die Marktführerschaft entrissen hatte, war Sting der größte selbst erschaffene Star. Der Wrestler, der seiner Heimatpromotion immer treu geblieben war, dessen Gesicht mit der charakteristischen Bemalung sie definierte.
Wird "The Icon" mit seiner Ankunft beim neuen Konkurrenten AEW nun in entscheidendem Maße dabei helfen, ihren eigenen Franchise Player zu erschaffen?
Das Debüt des 61-Jährigen bei der TV-Show Dynamite erschien in dieser Hinsicht jedenfalls wie ein Vorbote: Denn die Begegnung, die den Höhepunkt des umjubelten Auftritts bildete, war ein Blickduell mit einem jungen Mann, dem genau diese Rolle zugetraut wird: Darby Allin.
Darby Allin auf Augenhöhe mit dem großen Namen von AEW
Seit dem Start von All Elite Wrestling im Mai 2019 wird "The Relentless One" (Der Unerbittliche) konsequent als Zukunftshoffnung aufgebaut.
In Duellen mit den großen Namen Chris Jericho, Jon Moxley (Dean Ambrose) und Cody Rhodes wurde der 27-Jährige als Gegenspieler auf Augenhöhe präsentiert, zuletzt erreichte er bei der Veranstaltung Full Gear seinen bisherigen Karriere-Höhepunkt, als er sich von Förderer Rhodes - auch Co-Chef der Liga - seinen ersten Titel bei AEW holte, den TNT-Championhip-Gürtel.
Er bekam damit seinen großen Moment auch vor anderen hoch gehandelten Talenten wie dem charismatischem Wunderkind MJF (Maxwell Jacob Friedman) und Jungle Boy, dem Sohn des verstorbenen Schauspielers Luke Perry.
Im SPORT1-Interview vor einem Jahr hatte Cody Rhodes schon deutlich gemacht, wie groß die Rolle ist, die Allin in seiner Vision für die Liga spielt. Er nannte ihn als Musterbeispiel einer jungen Generation von Showkämpfern, die "die wrestlerische Sorgfalt der alten Zeiten mit den neuen Einflüssen kombinieren und daraus eine besondere Mischung neu erschaffen". Allin mache dies "großartig", und sein in seiner Rolle bei AEW schnell "weiter als gedacht" gewesen.
Parallelen zu WWE-Stars Jeff Hardy und CM Punk
Allin, am 7. Januar 1993 als Samuel Ratsch in Seattle geboren, ist rein körperlich bemerkenswert schmächtig für einen Wrestler, nur 1,73 Meter groß und 82 Kilo schwer. Dennoch hat Allin mehrere X-Faktoren, die ihn aus dem großen Talentpool von AEW hervorragen lassen.
Sein Faible für spektakuläre und teils unnötig gefährliche Ringstunts ist dabei nur die oberflächliche Qualität. Mit dem früheren WWE-Champion Jeff Hardy, mit dem Allin oft verglichen wird, verbindet ihn auch die besondere Aura, die wie bei Hardy auf einer nicht alltäglichen Vita gründet.
Punk-Fan Allin, der eigentlich Profi-Skateboarder werden wollte (sein altes Sportgerät ist oft Stilmittel in seinen Matches, seine Verbindung zu der Szene lockte auch schon deren Überfigur Tony Hawk zu einem Gastauftritt bei AEW), lebt einen extremen Lebensstil, der sich nicht um gesellschaftliche Konventionen schert. Drei Jahre war er gar obdachlos, nicht unfreiwillig, sondern weil er sich nicht an die Normen des bürgerlichen Lebens binden wollte.
Auch in seinem Wrestlernamen spiegelt sich seine Haltung wider: Seine Inspirationen waren Punk-Legende Darby Crash (The Germs) und der umstrittene Sänger und Aktionskünstler GG Allin, beide jung an Drogen-Überdosen verstorben. Allin allerdings lebt "straight edge", ohne jedes Rauschmittel - was wiederum eine Brücke zu Jeff Hardys altem Gegenspieler CM Punk ist.
Sting als Schlüssel zum nächsten Schritt?
Dass Allin das Potenzial hat in die Fußstapfen dieser früheren WWE-Champions zu treten, war auch dem Marktführer nicht entgangen: Im Jahr 2018 bestritt Allin mehrere Matches bei der WWE-Partnerliga Evolve (unter anderem gegen die vom großen Bruder entsandten Velveteen Dream, Mustafa Ali, Kassius Ohno und Roderick Strong), eine Verpflichtung schien in Reichweite.
Dass er sich im Jahr darauf stattdessen für AEW entschied, begründete der frühere Filmhochschulstudent mit den größeren kreativen Freiheiten, die ihm dort in Aussicht gestellt wurden: "Ich wollte niemanden, der etwas anderes aus mir macht als das, was ich bin. Also habe ich AEW zurückgerufen", erklärte er vor kurzem bei Inside The Ropes.
Ein Zusammenspiel mit Sting - von bei der neuen AEW-Partnerliga Impact (TNA) auch schon AJ Styles enorm profitiert hatte - zählt offensichtlich zu den Dingen, die Allin sich gern gefallen lässt: Schon seit einiger Zeit fällt auf, dass er bestimmte Charakterelemente des an den Kultfilm "The Crow" angelegten Sting-Charakters übernommen hat, etwa die für diesen einst typischen Auftritte, in denen er das Ringgeschehen als einsamer Wolf von einer leeren Zuschauerkulisse aus beobachtet.
Allin bringt vieles mit, was die Wrestling-Stars der Vergangenheit ausgezeichnet hat. Die noch immer sehr große Popularität Stings könnte nun der Schlüssel dazu werden, dass ein größeres Publikum es mitbekommt.