Er wäre gern der "Quarterback" von WWE geworden, stattdessen ist er nun der Spielmacher des aufstrebenden Gegners. Und ein überaus erfolgreicher.
Der Bruch, den WWE teuer bezahlte
Cody Rhodes ist das Gesicht der Anfang 2019 formierten Showkampf-Liga AEW (All Elite Wrestling), im Ring und als "Executive Vice President" hinter den Kulissen - eine Aufgabe, die er als "Traumjob" beschrieb, als er sie antrat.
In beiden Rollen kann der "American Nightmare" sehr zufrieden mit der Entwicklung sein: Dynamite, die wöchentliche TV-Show von AEW, die ihren ersten Geburtstag diese Woche mit einer großen Jubiläumsausgabe begangen hat, hat sich in den USA etabliert und schon erstaunliche Quotenerfolge gegen den scheinbar unanfechtbaren Marktführer erzielt.
Als Wrestler ist der frisch wieder zum TNT-Champion gekrönte Cody bei AEW der unumstrittene Topstar geworden, der er bei WWE nie war - weswegen er dort am Ende im Frust geschieden war.
Cody Rhodes verließ WWE im Frust
Von 2006 bis 2016 stand der Sohn der 2015 verstorbenen Wrestling-Legende Dusty Rhodes (und Bruder von Dustin Rhodes alias Goldust) unter WWE-Vertrag. Der am 30. Juni 1985 in Marietta, Georgia geborene 100-Kilo-Mann (bürgerlich: Cody Runnels) galt als Top-Talent, wurde als Teil der Gruppierung Legacy mit dem 13-maligen WWE und World Champion Randy Orton und Ted DiBiase (Jr.) als Star der Zukunft präsentiert.
Intercontinental Champion war er dann auch mehrfach, hielt auch oft die Tag-Team-Titel (mit Hardcore Holly, DiBiase, Drew McIntyre, Damien Sandow und Bruder Dustin). Der ganz große Durchbruch blieb ihm jedoch verwehrt, trotz mehrerer Anläufe, sich neu zu erfinden. Es lag wohl auch daran, dass Rhodes mit seinem vergleichsweise schmächtigen Körperbau nicht ganz dem WWE-Idealbild eines Stars entsprach.
Nachdem er am Ende gegen seinen Willen in der an den Bruder angelehnten Rolle als "Stardust" stecken geblieben war, entschloss er sich, um seine Entlassung zu bitten. Er habe die Liga "ein Jahrzehnt lang zu überzeugen versucht, dass ich ihr Starspieler, ihr Quarterback werden kann", hielt er damals fest: "Aber es sieht so aus, als ob wir an den Punkt gekommen wären, an dem niemand das in mir sieht." Verärgert war Rhodes weniger über WWE-Boss Vince McMahon, sondern über dessen Kreativteam. Er kritisierte das "kaputte, unkenntliche System“, von dem er am Ende schlicht ignoriert worden wäre.
Milliardärssohn Tony Khan und Wrestler-Trio als Partner
Das Problem, vor dem Rhodes stand: Es gab seit dem Untergang von World Championship Wrestling (WCW) 2001 kein anderes, das für den Marktführer WWE eine ernsthafte Konkurrenz gewesen war.
Rhodes fand allerdings in den Jahren nach seinem WWE-Abgang - in denen er zunächst durch verschiedene andere Ligen wie Impact (TNA), ROH und NJPW in Japan streifte - Mitstreiter, die mit ihm ein neues System schaffen wollten.
Die Young Bucks Nick und Matt Jackson, ein Tag Team, mit dem er eine gute Freund- und erfolgreiche Business-Partnerschaft geschlossen hatte. Das frühere WWE-Talent Kenny Omega, der durch seine grandiose Matchserie mit Kazuchika Okada bei NJPW in Japan zu einem Liebling des harten Fankerns geworden war. Und als entscheidende Figur auch den Geschäftsmann Tony Khan, Milliardärssohn, Sportmanager und Wrestling-Fan.
WWE wollte AEW im Keim ersticken - vergeblich
Das Beben nahm ab Mai 2017 seinen Lauf, als Rhodes mit dem Wrestling-Journalisten Dave Meltzer die Wette einging, eine Show mit über 10.000 Zuschauern auf die Beine stellen zu können - was bis dahin seit dem Ende von WCW keiner US-Liga außer WWE gelungen war.
Daraus entstand die Idee zu der großen All-Star-Show All In im September 2018, aus deren durchschlagendem Erfolg entwickelte sich dann wiederum das Projekt AEW, das Rhodes und Ehefrau Brandi, die Jacksons, Omega und Khan gemeinsam entwickelten: Khan wurde Präsident der Liga, das Wrestler-Quartett - zuvor verbunden über die Gruppierung "The Bullet Club" in Japan - seine Stellvertreter und Geschäftsführer, Brandi zum "Chief Brand Officer", analog zu Vinces Tochter Stephanie McMahon bei WWE.
Besagte WWE versuchte einiges, das Projekt AEW im Keim zu ersticken: Die Liga machte Cody, Omega und den Jacksons ein Vertragsangebot zu nie dagewesenen Konditionen, um ihre Pläne aufzugeben. Als die ablehnten und AEW ins TV brachten, ging WWE mit seinem NXT-Kader in denselben Timeslot und damit in direkte Konkurrenz, um die Zuschauer von dem Startup wegzulocken.
Dynamite etablierte sich trotzdem, im Januar schloss AEW nach erfolgreichem Start einen langfristigen Vertrag mit dem US-Sender TNT ab, eine zweite Fernsehshow ist in Planung.
Das Monopol von Vince McMahon ist gebrochen
Nicht jede Show und nicht jedes Match, das AEW produziert hat, war perfekt, es gab auch Negativschlagzeilen wie die Kopfverletzungs-Kontroverse um Matt Hardy. Aber in der Summe ist der Plan aufgegangen, den Cody im vergangenen Jahr im SPORT1-Interview formuliert hat. "Unsere Idee ist es darauf aufzubauen, was die Fans in den vergangenen 20 Jahren vielleicht trotzdem vermisst haben", sagte Cody - und das Gespür, dass sich da eine Lücke aufgetan hatte, in die AEW stoßen konnte, hat nicht getrogen (Cody Rhodes im SPORT1-Interview: Das ist seine Vision für AEW).
Die Marktführerschaft hat WWE zwar noch immer inne, aber das Monopol der McMahon-Liga ist gebrochen, allem Anschein nach dauerhaft: Die Fanbase, die Cody und Co. sich aufgebaut haben, ist in der Summe sehr zufrieden bis begeistert von dem Produkt, das ihnen geliefert wird. Die Liga - in der die Wrestler ihre Storys größtenteils selbst entwickeln - bietet eine stimmige Mischung aus unterschiedlichen Stilrichtungen und unterschiedlichem Personal.
Zu großen Stars wie Altmeister Chris Jericho und Jon Moxley (Dean Ambrose), der WWE ebenfalls tief frustriert den Rücken kehrte, kommen gezielt geförderte Talente wie MJF (Maxwell Jacob Friedman), Luke Perrys Sohn Jungle Boy, Darby Allin, Sammy Guevara und Orange Cassidy - und auch Ex-WWEler, die dort zuletzt kaum noch eine Rolle gespielt hatten, aber bei AEW einen erfolgreichen Neustart hinlegten: Das Duo FTR (ehemals: The Revival) ist ebenso aufgeblüht wie Mr. Brodie Lee (Luke Harper), selbst Codys 51 Jahre alter Bruder Dustin erlebte einen erstaunlichen vierten Frühling. Gastauftritte von Wrestling-Legenden wie Bret "The Hitman" Hart und Promis wie Mike Tyson adelten die Liga zusätzlich und sorgten für weitere Aufmerksamkeitsschübe.
Cody setzt gezielte Sticheleien
Cody - das Copyright am Rhodes-Namen gehört WWE - spielt in dem Ensemble eine besondere Rolle, er bewies durch sein Wirken bei AEW, wie viel er von seinem legendären Vater gelernt hat: Papa Dusty galt als absolutes "Wrestling Mind", als jemand, der das Geschäft in all seinen Facetten so gut verstand wie kaum ein anderer - und deswegen auch hinter den Kulissen verschiedener Ligen prägende Rollen spielte.
Auch vor der Kamera hat Cody bei AEW die großen Fußstapfen endgültig ausgefüllt: Mit seinen emotionalen und mitreißenden Auftritten im Ring und am Mikrofon ist er zum absoluten Publikumsliebling und zu Herz und Seele seiner Liga geworden.
In der Regel verzichtet Cody in Interviews darauf, seinen Ex-Arbeitgeber mit markigen Ansagen zu provozieren, mit gewissen Sticheleien, die von der Zielgruppe gut verstanden werden, kostet er seine Erfolgsgeschichte aber schon aus: Man denke an seinen Einzug bei Double or Nothing, der Pay-Per-View-Premiere von AEW, bei dem er mit einem Vorschlaghammer einen Thron zerschlug - Anspielungen auf die Markenzeichen von WWE-Vorstand Triple H. Oder an das unkommentierte Stinkefinger-Foto, das er und Überraschungs-Debütant Moxley danach in die Welt sandten.
Oder aber auch die mit viel Subtext versehenen Liedzeilen des Themes "Kingdom", das ihm die Band Downstait auf den Leib schrieb:
You took it all away, I give it all away
Can't take my freedom
Here to change the game, a banner made of pain
I built my kingdom.
Das Königreich von Cody und seinen Mitstreitern ist noch immer im Aufbau - und dürfte dem Imperium WWE noch einiges an Kopfzerbrechen bereiten.