Für seinen deutschen WWE-Kollegen Marcel Barthel ist er "der gehypteste Wrestler der Welt", nach seiner Unterschrift beim Showkampf-Marktführer hat er eine beeindruckende Entwicklung hingelegt und führt seit fast einem Jahr den England-Kader NXT UK als Champion an.
WALTER: Das war Wieses Problem
Der Wiener Walter Hahn hat sich unter seinem Ringnamen WALTER zu DEM Shootingstar schlechthin entwickelt, unter seinem Spitznamen "Der Ring-General" führt er die deutschsprachige Gruppierung Imperium an und gilt als einer der besten Wrestler der Welt.
Im SPORT1-Interview spricht der 32-Jährige über seine imposante Entwicklung, einen möglichen Umzug in die USA, Tim Wiese und welcher Fußball-Nationalspieler auch als Wrestler eine gute Figur machen würde.
SPORT1: Sie sind der bekannteste Wrestler bei NXT UK, halten dort den Titel und werden von Fans aus aller Welt bejubelt. Zudem hat WWE-Boss Triple H Sie als Kopf des England-Kaders von WWE bezeichnet. War der Schritt zum Marktführer die beste Entscheidung Ihres Lebens?
WALTER: Das würde ich nicht sagen, weil ich schon viele gute Entscheidungen getroffen habe. Beruflich war das aber vermutlich meine schlauste Entscheidung.
SPORT1: Sie sind früher als Independent-Wrestler unter anderem für die deutsche Liga wXw und auch in Japan aufgetreten. Was ist dabei der größte Unterschied zu WWE?
WALTER: Es gibt viele Unterschiede. WWE spielt in einer ganz anderen Liga, was die finanziellen und logistischen Möglichkeiten angeht. Selbst die größte Independent-Promotion ist von WWE so weit entfernt, dass das eine ganz andere Welt ist. Als Independent-Wrestler ist man auf sich gestellt, man reist von Donnerstag bis Sonntag jeden Tag in eine andere Stadt zu einer anderen Veranstaltung und ist für sich selbst zuständig. WWE lässt sich von der Organisation her vergleichen mit einer Fußballmannschaft, man kommt zusammen von A nach B. Auch die medizinische Versorgung und der finanzielle Aspekt sind gar nicht zu vergleichen. Ich möchte meine Zeit im Independent-Bereich nicht missen, das hat mich hier hingebracht. Aber ich bin froh, dass ich jetzt in einer anderen Situation bin.
Brock Lesnar "an der Spitze der Nahrungskette"
SPORT1: Wrestling-Kritiker Dave Meltzer hat Ihr Match gegen Tyler Bate (NXT UK TakeOver: Cardiff im Sommer 2019) als zweitbestes WWE-Match aller Zeiten gewertet und mit der Maximal-Punktzahl von fünf Sternen benotet. Würden Sie das unterschreiben oder ist das zu viel der Ehre?
WALTER: Ein Kritiker stellt immer seine eigene Meinung dar. Dave Meltzer macht das seit vielen Jahren, seine Meinung wird von vielen Leuten hochgeschätzt. Es ist schön, dass er so denkt. Als ich von ihm erstmals eine 5-Sterne-Bewertung bekommen habe (im Match gegen Zack Sabre Jr. 2017, Anm. d. Red.), hat mir das im Independent-Bereich geholfen, weil viele Promoter auf mich aufmerksam geworden sind. In dem Sinne ist das eine gute Sache, persönlich ist mir das nicht so wichtig. Er ist kein Mann vom Fach und nicht selbst jahrelang im Ring gestanden, dadurch bekommt man einen anderen Blick auf Wrestling. Er spiegelt seine Meinung wider, aber er kann keine fachliche Analyse abgeben. Wenn es um Kritik und Feedback geht, ziehe ich meine Schlüsse aus Unterhaltungen mit Wrestlern, die das sehr lange machen und die ich selbst respektiere. Deren Meinung und Arbeitseinstellung schätze ich, aber natürlich freut es mich, wenn man meine Arbeit wertschätzt und mir so eine Wertung gibt.
SPORT1: Im SPORT1-Ranking der besten Wrestler der Welt stehen Sie auf Platz zwei unter allen WWE-Stars, an der Spitze steht der Japaner Kazuchika Okada. Wer ist für Sie der beste Wrestler des Planeten?
WALTER: So eine Frage kann man nicht einfach beantworten. Wrestling ist kein Wettkampfsport, so etwas hat viel mit persönlichem Geschmack zu tun. An der Spitze der Nahrungskette weltweit steht für mich Brock Lesnar. Er ist der erfolgreichste und beste Wrestler. Er ist finanziell der erfolgreichste, muss dafür aber nicht so viel arbeiten wie andere. Er ist nicht überpräsent und man sieht sich an ihm nicht satt. Er ist sehr smart und steht aktuell für mich an der Spitze.
WALTER schließt Umzug in die USA aus
SPORT1: Sie sind bereits an der Spitze von NXT UK angekommen, nur ein Umzug in die USA könnte noch deutlich größere Möglichkeiten eröffnen. Sie haben in der Vergangenheit immer wieder betont, dass Ihr Lebensmittelpunkt Deutschland bleibt. Ist diese Entscheidung in Stein gemeißelt?
WALTER: Stand jetzt hat sich das nicht verändert. Für mich ist es wichtig, dass ich einen Rückzugsort und eine Balance zwischen dem Beruflichen und dem Privaten habe. Ich bin generell ein Mensch, der nicht gut funktioniert, wenn ich andauernd mit einer Sache konfrontiert werde. Ich verliere dann den Drive, darum ist es für meinen Kopf besser, wenn ich Abstand habe und dann wieder frisch zurückkehre. Ich funktioniere dann als Wrestler besser, aber auch als Charakter für die Fans. Ich stelle sonst etwas dar, das seine Magie ein bisschen verliert, weil man es immer wieder präsentiert. Ich teile die Einstellung nicht, dass man immer das Maximum herausholen muss. Man muss eine gesunde Balance finden. Mir ist bewusst, dass noch mehr ginge, wenn ich in Amerika wohne. Am Ende will ich aber mit meinem Leben und mit mir selbst zufrieden sein. Mir geht es nicht darum, am Ende finanziell das Meiste herauszuholen.
SPORT1: Verbauen Sie dich dadurch nicht große Möglichkeiten? Sie werden von Fans und Verantwortlichen in höchsten Tönen gelobt und könnten in ein paar Jahren im Main Event von WrestleMania stehen, falls Sie permanent in den USA leben würden. Ist das kein persönliches Ziel?
WALTER: So etwas ist für mich kein formulierter Traum. Ich habe mir noch nie solche Ziele gesetzt. Ich fokussiere mich auf das, was ich im Moment mache und will dabei das Beste bieten. Ich bin überzeugt, dass sich Türen öffnen, wenn man gut in dem ist, was man macht. Ich hatte nie solche Ziele formuliert. Wenn ich irgendwann einmal die Chance habe, bei WrestleMania im Ring zu stehen, wäre das natürlich trotzdem die größte Auszeichnung, die man als Wrestler bekommen kann. Wäre ich mit meiner Karriere unglücklich, wenn das nie passiert? Das bezweifle ich. (Die heißesten WrestleMania-Gerüchte)
SPORT1: Wenn man an österreichische Wrestler denkt, denkt man auch an den Namen Big Otto Wanz. Wie ist Ihr Bezug zu seiner Ära?
WALTER: In Österreich ist Otto Wanz ein bekannterer Name als jeder andere Wrestler weltweit. Meine Generation und die meiner Eltern kannten eher Otto Wanz als Hulk Hogan. Er hat dadurch natürlich einen gewissen Status. Mein erster Kontakt mit Wrestling war in Wien am Heumarkt, wohin mich meine Eltern zu den Turnieren mitgenommen haben. Da war Otto Wanz allerdings schon zurückgetreten. Meine Eltern haben mir immer von den großen Schlachten von Otto Wanz gegen Bull Power (Vader) erzählt, diese Kämpfe sind bis heute legendär.
Inspiration durch Daniel Bryan und Samoa Joe
SPORT1: Wer war als Jugendlicher Ihr Idol?
WALTER: Als Wrestler fand ich immer die harten Arbeiter gut. Die großen Stars, die im Mittelpunkt standen, waren nie meine Favoriten. Sie haben mich unterhalten, aber mir haben oft die Midcard-Matches besser gefallen als die großen Main Events. Für mich stand immer das Handwerkliche beim Wrestling im Mittelpunkt. Als ich mit dem Sport begonnen habe, habe ich mich von WWE und dem amerikanischen Wrestling stark distanziert. Ich habe eigentlich immer zu japanischen Wrestlern aufgeblickt. Daniel Bryan und Samoa Joe waren Leute, die ich schon vor ihrer WWE-Zeit fantastisch fand. Diese Leute haben mich mehr inspiriert als die klassischen großen Superstars.
SPORT1: Sie hatten im vergangenen Herbst mehrere Auftritte im WWE-Hauptkader und unter anderem ein Match gegen Seth Rollins bestritten. Bei der Survivor Series schieden Sie im Elimination Match allerdings schnell aus. Hinterher meinten Sie, dass Ihnen das nicht gefallen hat. Warum waren Sie damit nicht einverstanden?
WALTER: Ich bin generell kein Fan von diesen komischen Konstellationen. Triple Threat Matches hasse ich zum Beispiel. Wenn mir ein Veranstalter mitgeteilt hat, dass ich ein Triple Threat Match machen muss, habe ich versucht, das zu umgehen. So etwas macht für mich keinen Sinn. Ein Wettkampf ist für mich Athlet gegen Athlet, gerne auch im Tag Team. Bei der Survivor Series waren es 15 Leute in drei Teams, im Ring waren immer drei Leute gleichzeitig. Das verkommt dann ein bisschen zur Actionshow. Ich stelle mir etwas anderes unter Wrestling vor. Für mich steht das Handwerk und der Wettkampf im Vordergrund. Menschliches Schach mit dem eigenen Körper und den eigenen Fähigkeiten steht für mich im Vordergrund. Ich hätte natürlich davor meine Schlüsse daraus ziehen können, aber insgesamt glaube ich, dass ich dort nicht reingepasst habe.
SPORT1: Hätten Sie unter diesen Umständen lieber auf eine Teilnahme am Match verzichtet oder war es eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen kann?
WALTER: Ich bin Profi. Wenn etwas von mir verlangt wird, dann ist es meine Pflicht als Ringer, das durchzuziehen. Man gibt dem Veranstalter sein Wort als Wrestler und hat das zu erfüllen. Das ist nur meine persönliche Sicht, aus professioneller Sicht ist es für mich trotzdem gut gelaufen. Die Fans waren nicht zufrieden damit (mit der frühen Eliminierung, Anm. d. Red.) und haben das alle wissen lassen (lacht). Mir persönlich hat es also nicht geschadet. Es ist natürlich auch gut, mal bei einem WWE Pay-Per-View im Ring zu stehen.
"Daran ist es bei Wiese gescheitert"
SPORT1: Sie haben vor einigen Jahren Tim Wiese auf sein Debüt als Wrestler vorbereitet. Wie waren Sie mit ihm zufrieden und glauben Sie, dass er es als Wrestler hätte schaffen können?
WALTER: Es ist schwierig, wenn man im Wrestling bei Null anfängt. Man muss viel reinstecken und kriegt wenig raus, das ist am Anfang sehr frustrierend. Es dauert eine Zeit lang, bis man sich selbst findet. So etwas nochmal zu starten, wenn man eine ganze Sportlerkarriere hinter sich hat, die sportlich und finanziell nicht unerfolgreich war, ist sehr schwer. Dann ist es schwierig, sich nochmal unten in der Rangordnung einzuordnen. Daran ist es meiner Meinung nach auch am Ende gescheitert. Von der Athletik und vom Sportlichen hätte er es auf jeden Fall schaffen können, aber die Einstellung war das Problem. Für Wrestling braucht man eine Leidenschaft, die hat er, glaube ich nicht gehabt.
SPORT1: Nach Wiese kamen viele deutschsprachige Wrestler zu WWE. Alexander Wolfe, Marcel Barthel, Fabian Aichner und Ilja Dragunov stehen bei der Liga unter Vertrag. Woher kommt das und wem trauen Sie am meisten zu?
WALTER: Wir waren immer eine Gruppe mit sehr hart arbeitenden Leuten, die ehrlich zu sich selbst waren, ihrer Linie treu geblieben sind und sich nicht von anderen Leuten haben reinreden lassen. Wir sind ein anderer Schlag von Arbeitern. Deutschsprachige Länder sind bekannt für ihre Effizienz und Disziplin, darum sind deutsche Fachkräfte auf der ganzen Welt gefragt. Im Wrestling ist es ähnlich, wir haben eine ganz andere Arbeitseinstellung wie andere. Wir sind fokussierter und nehmen die Sache ernster als andere. Das zeichnet uns alle aus. Ich traue jedem zu, dass er eine erfolgreiche Karriere absolviert.
SPORT1: Sie waren früher Fußballtorwart und sind Fan von Schalke 04. Wie kam es dazu?
WALTER: Ich hatte mit Schalke als junger Mensch nichts zu tun, ich war immer Anhänger von Rapid Wien. In Deutschland habe ich die Brücke über Nürnberg geschlagen. Nürnberg hat eine Freundschaft mit Rapid und Schalke, ich habe in der Region gewohnt und war immer Fan von den klassischen Arbeitervereinen. Schalke hat durch den Bergbau im Ruhrgebiet eine große Tradition, damit konnte ich mich identifizieren. Schalke war dann die logische Wahl, sie waren mir sofort sympathisch. Dieses Jahr läuft es sehr gut, sie spielen sehr beherzten Fußball. Jetzt wird sich zeigen, wie lange der generell nicht so tiefe Kader körperlich mithalten kann. Dieses Jahr macht es Spaß, Schalke beim Spielen zuzuschauen, gerade wenn man die letzte Saison im Blick hat.
SPORT1: Wie beurteilen Sie persönlich die Torwart-Diskussion rund um Alexander Nübel?
WALTER: Wir bewegen uns bei Fußballtransfers langsam finanziell in Bereichen, die jenseits von gut und böse sind. Das sind am Ende immer noch Kinder oder ganz junge Erwachsene, die womöglich leicht von sogenannten Spielerberatern beeinflussbar sind. Diese leisten auch einen großen Beitrag zum dem Theater. Wie es wirklich läuft, wissen letztlich nur die Beteiligten.
SPORT1: Sie haben sich zuletzt in den sozialen Medien in einem Deutschland-Trikot gezeigt. Welcher Nationalspieler wäre für Sie ein guter Wrestler?
WALTER: Thomas Müller wäre ein guter Schauspieler, aber er spielt ja nicht mehr für Deutschland. (lacht) Wenn ich einen Fußballer wählen könnte, würde ich einen Torwart nehmen. Das waren immer starke und beeindruckende Charaktere, zum Beispiel Oliver Kahn oder Manuel Neuer. Die beiden haben etwas vom Ring-General. Sie haben Ruhe ausgestrahlt und sehr gutes Denken gegenüber dem Sport. Die beiden haben mich am meisten beeindruckt.