Er gilt als der vielleicht größte versteckte Schatz im WWE-Kader. Böse Zungen sagen: So gut versteckt, dass selbst die Bosse der Wrestling-Liga seinen Wert nicht erkennen.
"Shorty G" Chad Gable: Das unterschätzte WWE-Kronjuwel
Im vergangenen Jahr schienen für Chad Gable zwar Besserung in Sicht, als er beim King-of-the-Ring-Turnier bis ins Finale vordrang, die Fans mit einer großen Underdog-Performance gegen Baron Corbin begeisterte und danach die Krönung des schlechten Gewinners Corbin sprengte.
Der Karriere-Schub wurde jedoch bald darauf getrübt, indem WWE Gable weiter nicht konsequent in Szene setzte, anstelle seines Ringtalents Witze über seine Körpergröße in den Vordergrund rückte - und ihn dann auch noch allen Ernstes in "Shorty G" umbenannte.
Wer ist der Mann, dessen WWE-Karriere bislang weit unter ihren Möglichkeiten geblieben ist?
Chad Gable nahm 2012 bei Olympia in London teil
Charles "Chas" Betts, wie Gable eigentlich heißt, war ein herausragender Amateur-Ringer, bevor er bei WWE anheuerte: In der Klasse bis 84 Kilo (griechisch-römischer Stil) nahm er 2012 an den Olympischen Spielen in London teil, wo er es bis ins Achtelfinale schaffte und dort am Kubaner Pablo Shorey scheiterte.
Ein Jahr danach unterschrieb der in Minnesota geborene Betts bei WWE und folgte damit dem Beispiel seines Vorbilds Kurt Angle, der 1996 in Atlanta Freistil-Gold geholt und dann im Showkampf eine Hall-of-Fame-Karriere hingelegt hatte.
"Kurt ein großartiges Beispiel für jemanden, der wunderbar auf diesem gewissen Grat wandelt", sagte Gable 2017 zu SPORT1: "Er macht urkomische Comedy, aber sobald der Ringgong läutet, lässt er keinen Zweifel mehr zu, dass er ein ernsthafter Könner ist." Gable hat mittlerweile auch Angles berühmteste und wirkungsvollste Aktion, den Aufgabegriff Ankle Lock, in sein Repertoire aufgenommen.
Gables Wrestler-Name ist übrigens eine Verbeugung vor einem anderen Ringer-Olympiasieger, dem legendären Dan Gable, der 1972 in München im Leichtgewicht dominierte.
Große Auftritte mit American Alpha bei NXT
Bei der Talententwicklungsliga NXT formte Gable ein Team mit dem ebenfalls aus dem Amateur-Ringen stammenden Jason Jordan - das sich durch glänzende Leistungen hervortat. American Alpha, wie das Duo getauft wurde, bestach vor allem in seiner Fehde gegen The Revival, das Tag-Team-Wrestling in einer bei WWE lange nicht gesehenen Qualität bot - und Erinnerungen an die goldene Ära der großen Old-School-Gespanne in den achtziger und frühen neunziger Jahre weckte.
Gable und Jordan wurden 2016 in den Hauptkader befördert, wo sie zwar auch die Tag-Titel bei SmackDown gewannen, aber nie so in Szene gesetzt wurden wie bei NXT und wohl vor allem deshalb nicht dieselbe Begeisterung wecken konnten.
Gable zeigte sich damals dennoch unbesorgt und ordnete seinen Status realistisch ein. Er wisse, dass sich die WWE-Fans nicht von heute auf morgen begeistern ließen, sagte er SPORT1: "Wir werden jede Gelegenheit nutzen, um zu zeigen, was uns ausmacht. Ich denke, die Leute werden mit der Zeit mitbekommen, dass wir mehr zu bieten haben als das bloße Wrestling, dass wir Persönlichkeit haben."
Wenig später folgte allerdings die zu diesem Zeitpunkt überraschende Trennung des Teams, mit der sich ein seit Jahren sattsam bekanntes Muster wiederholte: WWE-Boss Vince McMahon behandelt die Tag-Team-Szene in der Regel stiefmütterlich. Die Stars, von denen er sich wirklich etwas verspricht, versucht er als Einzelwrestler groß herauszubringen.
Jason Jordan wurde 2017 bevorzugt
Im Fall von American Alpha war zunächst nicht Gable, sondern Jordan der Profiteur: In einer skurrilen, von McMahon persönlich erdachten Story, wurde er als vermeintlich unehelicher Sohn von Idol Angle enthüllt, das 2017 zu WWE zurückgekehrt war.
Zu Jordans Leidwesen beendete jedoch Anfang 2018 eine schwere Nackenverletzung seinen "Push" an die WWE-Spitze und womöglich auch seine aktive Karriere.
Gable blieb derweil eher unter dem Radar und in der Tag-Team-Szene, erst an der Seite von Bobby Roode, dann an der von Shelton Benjamin, einem weiteren alten Protegé von Angle, dessen eigene Karriere aber auch nie völlig in Schwung gekommen war.
Dass Gable vor Angles Abschiedsmatch gegen Corbin bei WrestleMania gegen ihn den Ring steigen durfte, war letztlich auch nur eine Randnotiz. 2019 wurde Gable dann gar zu 205 Live degradiert, der Show der Cruisergewichte, die auch WWE-intern nur wenig Beachtung findet.
King-of-the-Ring-Turnier 2019 als Wendepunkt?
Szene-Beobachter mutmaßen: Gables größter Nachteil ist - neben einem gewissen Fremdeln in Rede-Segmenten - dass er nur 1,73 Meter groß ist. McMahon ist dafür bekannt, im Zweifel lieber auf Wrestler im körperlichen Großformat zu setzen. Die vielen Witzchen über Gables Größe, die seinen Gegenspieler zuletzt in den Mund gelegt wurden, waren in dieser Hinsicht vielsagend (wie auch schon vor einiger Zeit bei Finn Balor).
Dabei hat Gable alle Anlagen hat, die Ausnahme zu sein, die die Regel bestätigt: Gable vereint technisch-handwerkliche Finesse mit Explosivität, Intensität und der Fähigkeit, Emotion beim Publikum zu wecken.
Im Mai 2020 kehrte "Shorty G" nach mehrmonatiger Pause zu SmackDown zurück und führte sich mit einem Sieg über Cesaro neu ein. Man darf gespannt sein, ob er sein Potenzial endlich ausschöpfen darf - oder ob WWE riskiert, dass er - wie die frisch gewechselten Weggefährten von The Revival - irgendwann stattdessen sein Glück beim Rivalen AEW versucht.