Die Wrestling-Liga WWE hat wieder einen ambitionierten Verfolger - und einen, den sie ernst nehmen muss.
So wollte WWE AEW ausschalten
Seit dem 1. Januar ist die neue Liga AEW (All Elite Wrestling) offiziell gestartet. Und ihre ersten geschäftlichen Schritte verdeutlichen die Dimension des Projekts.
Der langjährige WWE-Star Chris Jericho hat einen Drei-Jahres-Vertrag unterschrieben, dem Wrestling Observer zufolge verdient der 48-Jährige fortan mehr Gehalt, als er bei WWE je eingestrichen hat. Zuletzt waren das pro Jahr angeblich um die 900.000 Dollar, allerdings auch nur für eine Teilzeitrolle.
Das von Shahid Khan, dem geschätzt 5,8 Milliarden Euro schweren Besitzer des FC Fulham und der Jacksonville Jaguars, angeschobene Projekt zahlt also offenbar von Beginn an Millionengehälter - die auch bei WWE nur ein ausgewählter Kreis von Topstars bekommt.
Noch vor ihrer ersten Veranstaltung Double or Nothing am 25. Mai 2019 und bevor sie ihren TV-Deal in der Tasche hat (Verhandlungen mit zwei großen Sendern sollen weit gediehen sein), verändert AEW also schon den Wrestling-Markt. Und es verwundert nicht, dass WWE eine Menge Hebel in Bewegung gesetzt hat, um den neuen Jäger umgehend auszuschalten.
WWE bot beispiellosen Deal an
Schon länger bekannt war, dass WWE praktisch allen Schlüsselfiguren von AEW - allen voran Cody Rhodes und den Young Bucks Nick und Matt Jackson - Angebote gemacht hat. Das offensichtliche Ziel war, das Projekt möglichst schon im Keim zu ersticken.
Der Observer berichtet nun detailliert, welche enormen Verlockungen das Imperium von Vince McMahon einsetzte.
Die Jacksons sollen von Talentchef Paul Levesque (Triple H) ähnlich viel Gehalt angeboten bekommen haben wie AJ Styles, nach Forbes-Schätzung der am besten verdienende WWE-Star hinter John Cena, Brock Lesnar und Roman Reigns. Der Jahresverdienst von Styles, der fast das ganze Jahr 2018 als WWE-Champion amtierte, wird auf 3,5 Millionen Dollar geschätzt.
WWE bot Rhodes und den Jacksons in einem zwölfstündigen Verhandlungs-Marathon offenbar auch an, ihre erfolgreiche YouTube-Show "Being The Elite" auf ihrem Streaming-Portal WWE Network fortzuführen. Noch bemerkenswerter: Die vorgelegten Verträge sollen eine Klausel enthalten haben, die ihnen nach sechs Monaten die Möglichkeit gegeben hätte, WWE wieder zu verlassen - ein in der WWE-Geschichte beispielloses Angebot.
Eingeweihte bei WWE gingen fest davon aus, dass das Trio das Angebot nicht ablehnen können würde. Sie irrten.
Triple H wollte den AEW-Kern sprengen
Der Hintergedanke von WWE war natürlich der, dass AEW ohne Rhodes und die Jacksons nicht an den Start gegangen wäre. Die Partnerschaft mit den Khans - Shahids wrestlingvernarrter Sohn Tony Khan ist Chef von AEW - wäre geplatzt gewesen. Mindestens für ein Jahr, womöglich für immer.
WWE umwarb nicht nur Rhodes und die Jacksons, die nun stattdessen in ähnlicher Funktion wie Triple H bei AEW amtieren. Auch Jericho, Kenny Omega und Hangman Page wurden gelockt. Page etwa wurde laut Observer eine herausgehobene Rolle im NXT-Kader versprochen - für ein Hauptkader-Gehalt.
Bei einem Medien- und Fantermin am NFL-Stadion in Jacksonville verloren Rhodes und die Jacksons nur warme Worte über Triple H, selbst über eine auf ihrem YouTube-Kanal ausgestrahlte Parodie der Verhandlungen habe er lachen können.
Mehr Sport, weniger Show
Es wirkt, als ob die AEW-Verantwortlichen gerade nicht mit markigen Ansagen reizen wollen. Man wolle "ein Freund anderer Lígen" sein, sagte Rhodes. Ein strategisch kluger Gedanke: Zwar spricht nichts dafür, dass AEW sich dauerhaft mit Platz 2 in der Hierarchie zufrieden wird. Trotz der guten Voraussetzungen mit dem Geld und den Verbindungen der Khans wird die Liga aber einige Jahre Anlaufzeit benötigen, um sich auf ähnlichem Niveau zu etablieren.
Wohlweislich positioniert sich AEW deshalb auf absehbare Zeit als Alternative mit einem etwas anderes Konzept als WWE. Die Show All-In, die Rhodes und die Bucks im vergangenen September veranstalteten, orientierte sich bereits weniger an den WWE-Hauptshows, sondern mehr an Independent-Ligen wie ROH oder der japanischen Promotion NJPW (und auch an den an eine ähnliche Zielgruppe gerichteten WWE-Ableger NXT): weniger Entertainment, mehr Fokus auf die Ring-Action und eine mehr am echten Sport angelehnte Präsentation.
Rhodes unterstrich das in Jacksonville mit der Ankündigung: "Siege und Niederlagen werden bei AEW mehr bedeuten, als sie je im Wrestling bedeutet haben."
Kenny Omega, Chris Jericho, Neville sind an Bord
AEW hat bereits eine Partnerschaft mit der chinesischen Promotion Oriental Wrestling Entertainment verkündet, eine mit NJPW ist anvisiert - dessen Beziehung zum nun mit AEW konkurrierenden ROH steht dem jedoch im Wege. Generell soll AEW den asiatischen Markt sehr stark nach Talenten scouten.
Die Wrestler, die neben Rhodes, den Bucks, Jericho und Page schon an Bord sind: SoCal Uncensored (Christopher Daniels, Frankie Kazarian und Scorpio Sky), Pac (Neville bei WWE) und die Independent-Talente Joey Janela, Maxwell Jacob Freidman, Britt Baker und Penelope Ford.
Independent-Ikone Kenny Omega wird aller Voraussicht nach Ende Januar hinzukommen, wenn sein NJPW-Vertrag Ende Januar ausläuft, Marty Scurll nach dem Ende seines ROH-Deals im Frühjahr. Im Gespräch sind auch Omegas nicht fest an NJPW gebundener Partner Kota Ibushi und WWE-Kommentatorenlegende Jim Ross.