Ist die Wrestling-Welt eine andere nach diesem Wochenende?
Ein Wrestling-Beben und die Folgen
Es war der Anspruch der Veranstalter von All In, dem größten, nicht von WWE veranstalteten Showkampf-Event auf US-Boden seit über 15 Jahren. Und in vielerlei Hinsicht haben sie ihn erfüllt.
Über 10.000 Zuschauer im Sears Center in Chicago und zahlreiche Livestream-Zuschauer waren begeistert von der Mega-Veranstaltung, bei der ein Überraschungsauftritt von Topstar Chris Jericho nur einer von vielen Höhepunkten war.
Und es ist gut möglich, dass aus der einmaligen Veranstaltung ein ernstzunehmender Konkurrent für das Imperium von Vince McMahon erwächst. Mindestens eine Alternative, die das Geschäft beleben kann. Verantwortlich dafür sind vor allem die prägenden Köpfe hinter All In: der Bullet Club um den früheren WWE-Star Cody Rhodes, Kenny Omega und die Young Bucks Nick und Matt Jackson.
"Der Bullet Club ist die zweitgrößte Wrestling-Liga"
Besagter Club war ursprünglich eine Gruppierung in der japanischen Liga NJPW, 2013 unter anderem gegründet von den heutigen WWE-Wrestlern Fergal Devitt (Finn Balor) und Karl Anderson.
In seiner jetzigen Besetzung hat sich das Phänomen verselbständigt. "Der Bullet Club ist die zweitgrößte Wrestling-Liga in Amerika", schrieb kürzlich sehr treffend Szene-Experte Gabe Sapolsky, ehemaliges Mastermind der Liga Ring of Honor (ROH).
Der Club ist zu einem ligaübergreifenden Freundeskreis besonders begabter und freigeistiger Independent-Kämpfer geworden, der sich äußerst erfolgreich selbst vermarktet und zum aktuellen Wrestling-Boom außerhalb der WWE-Grenzen entscheidend beigetragen hat.
Auch viele WWE-Fans sind begeistert
Der Bullet Club betreibt unter anderem einen eigenen YouTube-Kanal namens "Being The Elite" mit aktuell rund 240.000 Abonnenten - in dem Cody und Co. auch diverse Storylines vorangetrieben haben, die bei All-In aufgelöst wurden.
Sehr erfolgreich läuft auch das Merchandising der in der Szene mittlerweile ikonischen Club-Shirts: Auch bei WWE-Events wie kürzlich dem SummerSlam sind sie regelmäßig in drei- bis vierstelliger Zahl zu besichtigen.
All In - eine Art All-Star-Treffen des Bullet Club mit Topstars aus Japan, Mexiko, der US-Independent-Szene sowie diversen Altstars und Legenden - übertraf nun aber noch einmal alle Erwartungen.
Die Show war innerhalb einer Stunde ausverkauft, die Fanartikel-Stände völlig überlaufen, der Hashtag #AllIn für eine Weile der Nummer-1-Twitter-Trend weltweit. Der schon vorab abzusehende Erfolg ermutigte auch die Bullet-Club-Mutterligen NJPW und ROH, WWE am WrestleMania-Wochenende im April 2018 mit einer noch größeren Veranstaltung im New Yorker Madison Square Garden herauszufordern.
Wechsel zu WWE? Club-Mitglieder schließen Pakt
Seit dem Aufkauf der früheren Konkurrenzliga WCW im Jahr 2001 hatte keine andere Promotion derartigen Erfolg. Und obwohl es auch WWE - die erst in diesem Sommer zwei milliardenschwere TV-Deals abgeschlossen hat - finanziell so gut geht wie nie zuvor: Das Bullet-Club-Phänomen bereitet ihr nachweislich Kopfzerbrechen.
Im vergangenen Herbst feuerte sie Autor Jimmy Jacobs, weil der mit dem Club ein Selfie schoss (Jacobs war nun auch bei All In dabei), die Show im Madison Square Garden versuchte sie durch eine Intervention bei den Arena-Betreibern zu verhindern.
Spannenderweise laufen zu Beginn des kommenden Jahres die NJPW-Verträge von Omega und den Jacksons aus, was WWE die Gelegenheit gäbe, sie mit lukrativen Angeboten zu locken und den Club damit zu sprengen (Rey Mysterio, der bei All In im Hauptkampf stand, steht bereits vor einer Rückkehr zu WWE).
Schon vor All-In aber hat der Bullet Club öffentlich verkündet, dass sie einen Pakt abgeschlossen haben, ihren nächsten Schritt nur gemeinsam zu gehen. Dass dieser nächste Schritt ein Wechsel zu WWE sein könnte, erscheint nach dem phänomenalen Erfolg von All-In ausgeschlossen: Rhodes, Omega und Co. hinterließen bei Fans und Beobachtern den klaren Eindruck, ihre eigenen Herren bleiben zu wollen.
Eine neue Liga? Oder ein Ligenbund?
Was stattdessen der nächste Schritt sein könnte, um den Erfolg von All In zu verstetigen? Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Aus All-In könnte eine neue Liga entstehen, womöglich aber auch eher ein kooperativer Verbund diverser erfolgreicher Nischenligen wie NJPW und ROH. Vor dem Ligenkrieg zwischen WWE und WCW war dies das Konzept der so genannten National Wrestling Alliance (NWA), unter deren Banner einst Legenden wie Lou Thesz, Harley Race, Ric Flair und Dusty Rhodes ihre großen Kämpfe austrugen.
Die NWA, mittlerweile verantwortet von Smashing-Pumpkins-Sänger und Wrestling-Superfan Billy Corgan, hat den Glanz von einst seit langem verloren, existiert aber immer noch - und war bei All-In auch im Boot: In einem der Hauptkämpfe trat Cody Rhodes' in die Fußstapfen seines 2015 verstorbenen Vaters Dusty und gewann in einem sehr "old school" gehaltenen Fight den NWA World Title von Nick Aldis.
Cody Rhodes war bis 2016 selbst bei WWE aktiv, ehe er die Liga verließ, weil er dort nicht mehr die erwünschte Perspektive sah und sich einen alternativen Karriere-Weg suchen wollte. Nun war er als ausführender Produzent von All-In (mit den Jacksons als Co-Produzenten) auch hinter den Kulissen entscheidend daran beteiligt, eine größere Alternative zu WWE zu schaffen.
"Den WWE-Bossen gehört WWE, aber nicht das Wrestling. Ich glaube, dass der Bedarf nach einem anderen Produkt richtig groß ist", sagte der 33-Jährige vor der Show. Er tut alles, um ihm gerecht zu werden.