In dem Moment, in dem der kommende Champion zu Hochform auflief, sangen die WWE-Fans: ein Kirchenlied.
So entstand die Figur Bray Wyatt
"He's got the whole world - in his hands", stimmte das Publikum in Phoenix an, als Bray Wyatt 2017 bei der Großveranstaltung Elimination Chamber in die Offensive ging.
Ein spiritueller Vers für den Wrestling-Star, der am Ende der Show erstmals WWE-Champion wurde: Ganz offensichtlich war Wyatt auch schon damals kein gewöhnlicher Charakter, bevor er sich 2019 in das noch unheimlichere Alter Ego "The Fiend" verwandelte.
Robert de Niro stand Pate
Windham Rotunda, wie er eigentlich heißt, hat die Wyatt-Rolle im Jahr 2012 erschaffen. Der Sohn des früheren WWF Tag Team Champions Mike Rotunda (Irwin R. Schyster) trat bis dahin als Husky Harris auf, war ein Talent, aber dem Durchbruch fern.
"Sie haben mir gesagt: Ändere was oder du wirst nicht gebraucht", berichtete Wyatt später. Er hatte zu seinem Glück eine Idee, was er ändern konnte: Er kreierte Bray Wyatt, den rätselhaften, von unheimlichen Kräften besessenen Kultführer aus den sumpfigen Südstaaten - umgeben von der willfährigen Wyatt Family: Erick Rowan, Luke Harper und später der an seiner Seite debütierende Braun Strowman.
Schon Wyatts Einzug war stets ein Ereignis: WWE dunkelte die Halle ab, die Fans machten sie mit ihren Handys zu einem Lichtermeer. Sie werden zu "Fireflies", zu Glühwürmchen, die den Kultführer aus dem Sumpf symbolisch umschwirren.
Zu Grunde lag der Idee ein ähnlich angelegter Charakter aus den Neunzigern: Waylon Mercy, der wiederum inspiriert war von Robert de Niros Rolle als Max Cady im Film "Kap der Angst".
Dan Spivey, der Darsteller Mercys, war seinerzeit im WWE-Trainingszentrum zu Gast und gab Tipps, als weitere Inspirationsquellen nannte der junge Familienvater den realen, mörderischen Kultführer Charles Manson und den Metal-Musiker und Regisseur Rob Zombie.
Von Exorzist bis True Detective
Im Lauf der Zeit reicherte Wyatt seinen Ansatz mit zahllosen weiteren Anspielungen aus der Welt des Düsteren an: Er vermischte religiöse Mythologie mit den Ideen legendärer Gothic-Literaten wie H.P. Lovecraft und Ambrose Bierce - und auch viel modernem Horror.
Den Spitznamen "Eater of Worlds" etwa übernahm Wyatt aus Stephen Kings "Es", den furchteinflößenden Spinnengang in seinen Matches aus "Der Exorzist".
Seine Spezialaktion "Sister Abigail" erinnert an "Mother Abigail" aus Kings "The Stand", aber auch an einen Charakter aus dem 2009 gedrehten Schocker "Orphan - das Waisenkind". Wyatt zitierte in seinen Promo-Ansprachen auch schon den Film "Sieben" und die Serie "True Detective".
Das Vorsingen des zu Beginn erwähnten Kirchenlieds hat ebenfalls eine andere unheimliche Figur vorgemacht: Steve Buscemi als Mädchenmörder Garland Greene in "Con Air".
Später Lohn für Bray Wyatt
Wyatt ist ein Horror-Mashup, aber kein billiger Abklatsch, er hat seine individuelle Mischung gefunden. "Ich bin das Kreativste, was es in diesem Jahrhundert zu sehen gab in diesem Geschäft", twitterte Wyatt einmal - nicht unbescheiden, aber auch nicht fern der Wahrheit.
Der Titelgewinn 2017 war später Lohn für den Erfolg des Wyatt-Charakters, der den Höhepunkt seiner Popularität aber eigentlich im Jahr 2014 hatte, als er bei WrestleMania XXX ein großes Match gegen John Cena und zusammen mit seiner Family weitere Top-Fehden gegen Daniel Bryan, Chris Jericho und The Shield (Roman Reigns, Dean Ambrose und Seth Rollins) bestritt.
Danach verlor Wyatt durch viele Niederlagen in größeren Matches an Fahrt - und im Jahr nach seinem Titelgewinn verkam Wyatt endgültig zum Nebendarsteller. Worauf er erneut klug genug war zu erkennen, dass er etwas ändern musste ...