Damit hatte wohl kaum jemand gerechnet: Andy Ruiz jr. hat sensationell Titelverteidiger Anthony Joshua bezwungen und ist neuer Schwergewichts-Weltmeister der Verbände WBO, WBA und IBF.
Häme für Joshua nach K.o.-Pleite
Der krasse und sichtlich weniger durchtrainierte Außenseiter siegte am Samstagabend (Ortszeit) im Madison Square Garden von New York in der siebten Runde durch technischen K.o., nachdem er den Briten bereits viermal niedergestreckt hatte. 122-Kilo-Mann Ruiz ist der erste Schwergewichts-Champion mit mexikanischen Wurzeln.
"Ich danke Gott, dass er mir diesen Sieg geschenkt hat. Davon habe ich geträumt, dafür habe ich hart gearbeitet. Ich kann gar nicht glauben, dass ich gerade meinen Traum habe wahr werden lassen", jubelte der 29-Jährige mit dem vielsagenden Kampfnamen "The Destroyer".
Joshuas große Pläne, sich mit seinem USA-Debüt im globalen Kampfsport-Kernmarkt zu etablieren und mit Mega-Fights gegen Kontrahenten wie Deontay Wilder und Oleksandr Usyk darauf aufzubauen, sind damit vorerst hinfällig - worauf Wilder mit Häme reagierte.
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Anthony Joshua entschuldigt sich
Der geschlagene Joshua zollte seinem Bezwinger "großen Respekt" und sagte: "Sorry an meine Freunde und Unterstützer, dass ich sie enttäuscht habe."
Während Ruiz in seinem 34. Profikampf den 33. Sieg feierte (2016 hatte er gegen Joseph Parker vergeblich nach dem vakanten WBO-Titel gegriffen), kassierte Joshua im ersten Fight außerhalb seiner britischen Heimat die erste Niederlage (22 Siege).
Dabei war Ruiz kurioserweise nur kurzfristig eingesprungen, nachdem Joshuas eigentlicher Kontrahent Jarrell Miller (USA) wegen eines positiven Dopingtests Ende April die nötige Kampflizenz verwehrt worden war.
Joshuas Manager Eddie Hearn kündigte nach dem Kampf ein Re-Match an, das Joshua vertraglich zugesichert ist. "AJ wird zu 100 Prozent zurückkommen", sagte der Brite über seinen Schützling. "Wir machen den Rückkampf in Großbritannien, im November oder Dezember, aber dieser Abend gehört Andy Ruiz", sagte der Promoter.
Wie aber hat er diesen Coup zustande gebracht?
Andy Ruiz mit furiosem Comeback
Nach verhaltenem Beginn vor 20.000 Zuschauern schien der Kampf in der dritten Runde eigentlich seinen erwarteten Verlauf zu nehmen, als Joshua den zehn Kilo schwereren Ruiz zu Boden schickte. Doch dann folgte die spektakulär anzusehende Wende: Ruiz konterte rasch und schlug den London-Olympiasieger mit einer knallharten Linken nieder.
"Das war das erste Mal, dass ich am Boden lag", erzählte Ruiz hinterher: "Es hat mich nur stärker gemacht. Ich wollte es dann nur noch mehr. Ich habe dieses mexikanische Blut. Die mexikanische Art zu kämpfen, von dem alle reden: Ich habe sie bewiesen."
Ruiz setzte nach, der einstige Klitschko-Bezwinger Joshua wirkte auf die Vehemenz, mit der Ruiz zurückkam, nicht vorbereitet. Er ging erneut zu Boden, konnte sich aber in die Pause retten. In der Folge schien Joshua die Kontrolle über den Kampf wiederzuerlangen, ehe Ruiz den Favoriten in der siebten Runde erneut zweimal niederstreckte und Ringrichter Mike Griffin den Kampf beendete.
Deontay Wilder spottet via Twitter
Statistisch war der Kampf ausgeglichen, beide landeten laut Zählung von CompuBox 27 Prozent ihrer Schläge (Joshua 47 von 176, Ruiz 56 von 206). Zum Zeitpunkt des Abbruchs sahen zwei Punktrichter Ruiz mit 57:56 vorn, einer Joshua.
Manny Robles, Ruiz' Trainer, klopfte sich hinterher für den "tollen Gameplan" auf die Schulter, der seinen Schützling zum Erfolg geführt hätte. Er hätte Ruiz angewiesen, vor allem auf Joshuas Brustregion zu zielen und entweder auf Distanz zu bleiben oder in den Infight zu gehen, die aus seiner Sicht besonders gefährliche Mitteldistanz sollte er meiden: "Ich wollte nicht, dass er in die großen Punches rennt."
Mit Häme reagierte via Twitter derweil WBC-Champ Wilder: "Er war kein wahrer Champion. Seine Karriere fußte auf Lügen, Widersprüchen und Geschenken. Jetzt wissen wir, wer vor wem davongelaufen ist."
Ob Joshua tatsächlich entzaubert ist oder die Niederlage nur ein Ausrutscher war, muss er nun beweisen. "Es war einfach nicht mein Abend", fasste der Brite hinterher seine Sicht auf den Kampf zusammen: "Das Schwergewichts-Boxen ist 'on fire'."