Die Zweifler waren in der Überzahl. Ziemlich deutlich sogar. Die Skepsis war zu spüren.
Wie Maske einen Boom auslöste
Nicht viele dürften damit gerechnet haben, dass Henry Maske das Boxen in Deutschland auf links drehen, einen regelrechten Boom auslösen würde, als er im März 1990 nach dem Mauerfall den Wechsel vom Amateur- zum Profiboxer vertraglich besiegelte.
Keine Frage: Maske war als Olympiasieger 1988 und Amateur-Weltmeister 1989 bereits in der DDR eine Hausnummer, aber funktioniert seine Art auch bei den Profis? Kann der berechnende und gewiefte Taktiker, der Defensivkünstler, auch auf gehobenem Profi-Parkett die Gegner ausgucken und -kontern und gleichzeitig die Zuschauer begeistern?
Wohl eher nicht, so die Prognose. Bereits beim Publikum dürfte es schwierig werden, schließlich will man im Boxring wilde Faustschlachten, echtes Spektakel sehen. Maske stand Zeit seiner Karriere vor allem für solide Fleißarbeit, Disziplin, eine kühle und von einer klugen Taktik geprägte Herangehensweise. Für eine Effizienz, die eigentlich so gar nicht zu Entertainment passte.
Gentleman und Defensivspezialist
"Gentleman", wie er aufgrund seines gesamten Auftretens genannt wurde, war in gewisser Weise sportlich auch die freundliche Umschreibung für Langweiler.
Doch Maskes Credo war das der Frankfurter (Oder) Boxschule um Trainer Manfred Wolke: Treffer vermeiden, der Kopf entscheidet - ein intellektuelles Boxen. Maske begann im Alter von sieben Jahren, und das mehr oder weniger durch Zufall. Denn ein Kumpel bat ihn, ihn in einen Boxclub im brandenburgischen Jüterbog zu begleiten. "Und ich habe es getan. Und dann sage ich immer: Er ist nach zwei Wochen wieder gegangen, und ich nach 26 Jahren."
In dieser Zeit widerlegte er aber nicht nur die Zweifler, sondern auch alle seine Kritiker. Mehr noch: Der Halbschwergewichtler prägte die Wendezeit, wurde zu einer Marke, erst im Osten der Republik zu einem Idol, dann eroberte er auch den Westen, das ganze, neu vereinte Land.
Seine Geschichte, sein Werdegang vom DDR-Leistungssport zu einem der ersten gesamtdeutschen Helden passte perfekt in die damalige Zeit.
1990: Start in ein zweites Leben
Für ihn war die Wende dann auch wie ein Start in ein zweites Leben. Denn ansonsten hätte er nach den Olympischen Spielen 1992 als Boxer aufgehört und wäre Trainer geworden. Die Voraussetzungen waren allerdings auch perfekt: Mit 25 Jahren war er kein Anfänger mehr, aber immer noch jung, gleichzeitig erfahren genug, um die Chance zu nutzen.
Sie kam nach rund drei Jahren. Maske legte mit 19 Siegen in 19 Profikämpfen zwischen 1990 und 1993 einen starken, wenn auch unspektakulären Start in seine Profikarriere hin. Am 20. März 1993 winkte dann der WM-Gürtel: Der US-Amerikaner "Prince" Charles Williams, Weltmeister des Verbandes IBF, galt als stärkster der vier Halbschwergewichts-Champions.
Maske griff zielstrebig und klug zu, für ihn war der Kampf gegen Williams "der wichtigste meiner Karriere. Denn in dieser Nacht von Düsseldorf wurden viele Fragen beantwortet." Er galt als Außenseiter. Doch sein Punktsieg war für ihn der endgültige Startschuss, die fünf Millionen Zuschauer bei RTL nur der Anfang für das deutsche Boxen.
Boxen war gesellschaftsfähig
Denn die bis dahin verrufene Sportart war fortan "in", war aus der Schmuddelecke heraus in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie war ein echtes gesellschaftliches Ereignis mit Glanz und Glamour und Promis aus allen Bereichen am Boxring und bis zu 18 Millionen Zuschauern vor dem Fernseher.
Maske wurde zum Erfolgsmodell. Zur Identifikationsfigur. Ein Popstar, dessen Einlaufmusik "Conquest of Paradise" (Vangelis) zum Welthit wurde, ebenso sein Abschiedslied "Time To Say Goodbye" von Andrea Bocelli. Maske war am Zenit angekommen. "Der Rest war nur Zugabe", sagte er.
"Der Rest", das waren elf Titelverteidigungen. Zehn beendete er erfolgreich, darunter auch die beiden Kämpfe gegen Graciano Rocchigiani, die 1995 als Duell der Gegensätze hochgejazzt wurden, "Ossi gegen Wessi", die ganze Nation fieberte mit. Maske gewann beide durch Punktsieg, den ersten davon umstritten. Da neigte sich seine Karriere bereits dem Ende entgegen.
1996: Abgang mit Makel gegen Virgil Hill
Maske verriet einmal: "Die Vorbereitung auf einen WM-Fight war von der Intensität her so anstrengend wie ein vierjähriger Olympiazyklus. Und davon hatte ich als Profi drei pro Jahr. Irgendwann war ich einfach leer im Kopf und wollte nicht mehr."
Deshalb ging er am 23. November 1996 mit nur 32 Jahren in den Ruhestand, begleitet von seiner einzigen Niederlage in 32 Kämpfen als Profi, umstritten nach Punkten gegen Virgil Hill. Ein Drama. Vor allem für ihn, den Perfektionisten.
Comeback 2007 als Kür der Laufbahn
Als er die Chance bekam, diesen Makel zumindest ein wenig zu tilgen, nutzte er sie. 2007 feierte er sein Comeback. Gegen Hill. Geld habe nicht die entscheidende Rolle gespielt, und die Niederlage gegen Hill 1996 sei längst verheilt gewesen, sagte Maske der Zeit: "Virgil hat mich beeindruckt, da er mit 42 Jahren noch mal Weltmeister wurde. Deshalb kam in mir die Frage auf, ob ich das auch schaffen könnte. Ich war mehr als zehn Jahre aus dem Profisport raus. Da überlegt man eine Weile. Mein Entschluss, das Comeback anzugehen, war mit 54 Wochen hartem Training verbunden. Die Antwort auf meine Frage habe ich mit dem Sieg gefunden."
Dann kam er wieder durch, der Stratege. Denn weitere Zugaben gab es nicht. Maske wusste, wann endgültig Schluss war. "Der eine Kampf war mein Ziel und die Kür meiner Laufbahn. Die sportliche Karriere habe ich bereits zehn Jahre davor abgeschlossen. Ein Neuanfang war nie geplant. Man sollte das Glück auch nicht zu sehr strapazieren."
Glück auch nach seiner Karriere
Das Glück hat er auch nach seiner Karriere gefunden, er ist gut im Geschäft. Zehn Filialen einer bekannten Fast-Food-Kette betreibt er als Franchisenehmer, dazu ist er Motivationsexperte. Daneben kümmert er sich auch durch zahlreiche Charity-Projekte um das Glück anderer. Wie zum Beispiel mit der Stiftung "A Place for Kids" für benachteiligte Jugendliche.
Wen Maske vermisst: Rocchigiani, der im Oktober 2018 bei einem tragischen Unfall ums Leben kam. Beide waren erbitterte Rivalen, prägten den Sport auf eine jeweils ganz eigene Weise. Nach der Laufbahn wuchsen die Sympathien füreinander.
"Wir hatten einige sehr schöne Momente", sagte Maske, der besondere Erinnerungen an die Feier anlässlich seines 50. Geburtstages hat. Maske: "Da er nur wenige Tage älter als ich ist, hatten wir beide einen Grund, uns gegenseitig zu feiern, und das mit vielen gemeinsamen Freunden und Weggefährten. Auch er fühlte sich sichtlich wohl, was mich sehr freute. Wir waren auf Augenhöhe."
Eine Eigenschaft verbinde beide, betonte Maske: "Die des Kämpfens bis zum bitteren Ende."
Auch wenn die Zweifler in der Überzahl sind.