Er prägte Box-Deutschland wie kaum ein anderer, auch noch Jahre nach seinem Karriere-Ende - bis ein tragischer Verkehrsunfall in seiner Wahlheimat Italien ihn plötzlich aus dem Leben riss.
Rockys Box-Dramen und seine Tragödie
Am 1. Oktober 2018 starb Graciano Rocchigiani, zweimaliger Weltmeister, legendärer Rivale von Henry Maske und Dariusz Michalczewski im Alter von 54 Jahren, als ihn ein Auto auf der sizilianischen Strada statale 121 erfasste.
Die Sportnation verlor eine ihrer populärsten Persönlichkeiten, die auf ihrem Karriere-Höhepunkt ein zweistelliges Millionenpublikum fesselte. Mit seiner besonderen Geschichte wurde "Rocky" auch literarisch verewigt.
"Ein Eisenbieger ist einer, der Eisen biegt"
Rocchigiani, der ursprünglich als Gebäudereiniger ausgebildet worden war, ist als typischer Berliner in Erinnerung geblieben, geboren wurde er am 29. Dezember 1963 allerdings im heutigen Duisburger Stadtteil Rheinhausen, die Familie zog dann um, als Graciano ein Kleinkind war.
Sein aus Sardinien stammender Vater war italienischer Box-Juniorenmeister (auch Gracianos Bruder Ralf erbte die Gene und wurde 1995 Cruisergewichts-Weltmeister), und er war einfacher Arbeiter.
Rocchigianis Kurzprofil als "Sohn eines sardischen Eisenbiegers" wurde ebenso legendär wie seine Antwort, als ihn Frauenrechtlerin Alice Schwarzer in einer Talkshow einmal fragte, was das eigentlich sei, ein Eisenbieger: "Ein Eisenbieger ist einer, der Eisen biegt."
1988: "Rocky" wird erstmal Weltmeister
Am 11. März 1988 war der Stern des Profiboxers Graciano Rocchigiani aufgegangen. Vor 6000 Zuschauern prügelte der damals 24-Jährige in Düsseldorf den Amerikaner Vincent Boulware (USA) im IBF-Titelkampf des Supermittelgewichts windelweich.
Schon damals zeigte sich sein typischer Stil: Sobald er sich bei einem Gegner festgebissen hatte, war er nicht mehr zu halten und zeigte spektakuläre Schlagserien. Über Nacht war der von Trainer Wolfgang Wilke und Promoter Wilfried Sauerland betreute Shooting-Star zum Champion geworden.
Deutschland hatte seinen dritten Weltmeister im Profiboxen, Rocchigiani neben 10.000 D-Mark Gage einen Eintrag in den Geschichtsbüchern neben Max Schmeling und Eckhard Dagge. Rocchigiani verlor seinen Titel nie, legte ihn nach drei Verteidigungen gegen Nicky Walker, Chris Reid und Thulani Malinga stattdessen nieder, um ins Halbschwergewicht aufzusteigen, wo er 1991 mit einem Sieg über den Briten Crawford Ashley Europameister wurde.
1995: Legendäre Duelle mit Henry Maske
Zur tragischen Figur wurde "Rocky", als er in den Neunzigern nach seinem zweiten WM-Titel griff: 1994 verlor er umstritten gegen den britischen Supermittelgewichts-Champion Chris Eubank, 1995 vor 12,93 Millionen TV-Zuschauern ebenfalls zweifelhaft gegen Halbschwergewicht Henry Maske, den Pionier des damaligen deutschen Box-Booms.
Die "Frage der Ehre" zwischen Rocchigiani und Maske war enorm aufgeladen, als Showdown zweier sehr unterschiedlicher Typen und auch als Ost-West-Duell im frisch vereinten Deutschland, eine Storyline, die Rocchigiani aktiv bediente ("Hau dem Wessi in die Schnauze, hau dem Ossi in die Schnauze - so sieht es das Publikum").
Maskes strittiger Sieg sorgte dafür, dass der Revanchekampf zu einem noch größeren Straßenfeger wurde: 17,59 Millionen Zuschauer verfolgten bei RTL, wie Rocchigiani diesmal eindeutig verlor - Marktanteil: fast 75 Prozent.
Rocchigianis Drama war komplett, als er 1996 in einem weiteren deutschen WM-Duell auch Dariusz Michalczewski umstritten unterlag - im erst 2000 eingefädelten Rückkampf ging Rocchigiani dann k.o.
Als tragischer Sportheld der Neunziger wurde Rocchigiani auch in der Literatur verewigt, der Autor Clemens Meyer machte Rocchigianis Niederlagen zu einem Motiv seines Romans "Als wir träumten", in dem "Rocky" Identifikationsfigur einer Jungsclique ist. Schlusssatz des Kapitels, in dem Rocchigianis sportliches Schicksal mit dem persönlichen der Figur montiert wurde: "Es war die Zeit der großen Kämpfe und er hatte sie alle verloren."
1998: Rocchigiani wird um WM-Titel gebracht - und klagt erfolgreich um Millionen
In der Realität sollte Rocchigiani dann aber doch noch einmal ein Coup gelingen - der dann aber auch wieder eine Wendung nahm.
Am 22. März 1998 hatte sich der Rechtsausleger vor 9000 Zuschauern in der Berliner Max-Schmeling-Halle durch einen Sieg gegen den Amerikaner Michael Nunn den WM-Titel der WBC im Halbschwergewicht gesichert. Als erster deutscher Boxer widerlegte er das Motto "They never come back", wurde zum zweiten Mal in seiner Karriere Champion.
Vier Monate später jedoch sorgte das World Boxing Council (WBC) für einen Eklat. Der Verband ernannte plötzlich den Amerikaner Roy Jones zum neuen Champion.
Rocchigiani zog in den USA vor Gericht, bekam 31 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen. Dem WBC drohte der Konkurs, 2004 ging Rocchigiani auf ein Vergleichsangebot ein und bekam 4,5 Millionen Dollar.
"Ich habe mit Vollgas gelebt"
Rocchigianis Karriere endete 2003 mit einer Niederlage gegen Thomas Ulrich, nach der Karriere gab es auch dunkle Kapitel: Er wurde zu mehreren Haftstrafen verurteilt, unter anderem auch wegen Körperverletzung, 2007 musste er wegen wiederholter Verstöße gegen Bewährungsauflagen mehrere Monate hinter Gitter.
Mit einem jahrelangen Kampf gegen Alkoholprobleme ging der geschiedene Familienvater, der zuletzt mit Lebensgefährtin Santina und zwei jungen Kindern in Italien lebte, offen um. "Mit 16 Jahren bin ich ja schon durch die Kneipen gezogen, später kamen dann echte Exzesse dazu. Ich habe mein ganzes Leben mit Vollgas gelebt, habe geraucht, gesoffen, gehurt", gestand er 2013 der Welt am Sonntag.
Der Boxszene blieb er als Trainer und TV-Experte verbunden, vor seinem Tod spielte er eine zentrale Rolle in der SPORT1-Show "The Next Rocky", in der er nach Nachwuchstalenten scoutete. Sein Tod sorgte bei SPORT1 daher auch für persönliche Bestürzung.
"Er konnte so trocken unglaubliche Geschichten erzählen und ebenso unglaublich den Boxsport für uns analysieren", schrieb der damalige Chefredakteur Dirc Seemann in einem Nachruf auf Rocchigiani: "Egal wie viele Fachleute einen Kampf gesehen hatten - nie war man sicher vor seinen Kommentaren."
"Schrecklich ehrlich" als Experte im TV
Auch Expertenkollege Axel Schulz behielt in bittersüßer Erinnerung, wie "schrecklich ehrlich" Rocchigiani die Kämpfe analysierte: "Ich habe versucht, ihm ein bisschen Diplomatie beizubringen. Aber er hat nicht mit sich reden lassen. Wenn etwas scheiße war, dann war es scheiße."
Rocchigianis alte Rivalen Maske und Michalczewski zeigten sich ähnlich erschüttert über den Tod des Mannes, mit dem sie nach ihren Kämpfen eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut hatten.
In ihrer Anwesenheit wurde Rocchigiani am 13. Oktober 2018 beigesetzt. Sein Grab am Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin hat die Form eines Boxrings.