Bernd Leno hat sich für das Interview mit SPORT1 in die oberste Etage seiner Wohnung in London zurückgezogen.
Nummer 3 bei der EM? Das sagt Leno
"Hier zocke ich ab und zu", sagt die 29 Jahre alte Nummer eins des FC Arsenal.
Aber nicht nur das. Im Hintergrund stehen Hantelbänke, mit denen sich Leno auch abseits des Rasens in Schuss gebracht hat.
Denn sein Ziel ist klar: Der achtmalige Nationalspieler will mit zur EM! Das erklärt der Keeper im SPORT1-Interview. Da sich Marc-André ter Stegen zu einem Eingriff an der Patellasehne entscheiden hat, winkt Leno sogar die Beförderung zur Nummer 2.
SPORT1: Herr Leno, überliefert ist, dass Sie nur aus Zufall Torwart wurden.
Bernd Leno: Das stimmt! Bei einem Hallenturnier in der F-Jugend von meinem Heimatverein SV Germania Bietigheim ist der Torwart nicht zum Treffpunkt gekommen. Dann hat mein Trainer gefragt, wer ins Tor will, und ich hatte Lust. Ich habe ganz gut gehalten, und seitdem hat mich niemand mehr aus dem Tor gebracht.
SPORT1: Werden Sie als Nummer drei mit zur EM fahren?
Leno: Ganz ehrlich, ich weiß noch nichts. Ich hoffe es aber und habe alles dafür gegeben. Joachim Löw und Andi Köpke haben mir und Kevin Trapp immer ein sehr ähnlich gutes Gefühl gegeben. Wir haben beide fast die gleiche Anzahl an Länderspielen bestritten. Zwischen uns beiden wird es sicherlich eine Entscheidung geben.
Leno zur EM? "Brenne darauf"
SPORT1: Ihr Gefühl?
Leno: Ich habe in der Premier League und in dieser Saison in der Europa League eine gute Saison gespielt und mein Bauchgefühl sagt mir, dass es klappen kann. Und völlig klar: Ich brenne darauf, dabei zu sein. Ich habe aber auch immer gesagt: Wenn ich nicht dabei sein sollte, respektiere ich das. So, wie es Kevin akzeptiert hat, als ich 2016 dabei war und er nicht. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis.
SPORT1: Wer informiert Sie über eine EM-Teilnahme: Löw oder Köpke?
Leno: Andi Köpke ist derjenige, der uns normalerweise Bescheid sagt. So muss das auch sein. Denn zum Torwarttrainer haben wir Torhüter eine besondere Beziehung, weil wir in einer sehr kleinen Gruppe arbeiten und dadurch ein gewisses Vertrauen zum Torwarttrainer aufbauen.
SPORT1: Sie werden immer nur mit dem dritten Platz im DFB-Tor verbunden. Haben Sie nicht den Anspruch, die Nummer eins oder zwei zu sein?
Leno: Na klar, aber das ist einfacher gesagt als getan. Meine Eltern haben in der falschen Zeit Gas gegeben (lacht). Wäre ich ein bisschen jünger, wäre die Situation natürlich eine andere. Ich bin 29 Jahre alt und weiß nicht, wie lange Manuel Neuer noch spielen will. Ich habe den Anspruch, beim DFB aufzusteigen. Das geht aber nicht einfach vom heute auf morgen, weil die Konkurrenz sehr groß ist, viel größer als bei anderen Nationen. Marc-André ter Stegen wartet auch schon Ewigkeiten auf seine Zeit. Ich muss mich daher unterordnen und gedulden. Im Fußball kann es aber schnell gehen.
Leno: Flick die optimale Lösung
SPORT1: Neuer, ter Stegen, Sie und Trapp sind Alphatiere und Stammtorhüter in Ihren Vereinen. Wie ist Ihr Verhältnis untereinander?
Leno: Wir müssen nicht die besten Freunde sein. Trotzdem ist das Klima sehr gut. Wir haben Spaß und lachen miteinander. Außerdem sind die Zeiten vorbei, in denen man sich gegenseitig die Köpfe einschlägt. Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich auf so eine Wichtigtuerei auch keine Lust hätte. Ich will aber Spaß haben am Fußball, trotz aller Konkurrenz. Nur so ist Leistung möglich. (Marc-André ter Stegen im SPORT1-Interview, Teil1)
SPORT1: Gute Laune hat Hansi Flick sehr oft. Wäre er als neuer Bundestrainer die Top-Lösung?
Leno: Ja, für den deutschen Fußball wäre das eine sehr gute Lösung. Auch für die Atmosphäre, denn ich glaube, dass sich die Fans mit Hansi Flick sehr gut identifizieren können. Er kennt den DFB auch sehr gut. Fachlich ist er sowieso überragend, menschlich ist er top. (NEWS: Alles zum DFB-Team)
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SPORT1: Was halten Sie von den Kleinkriegen im DFB-Präsidium?
Leno: Das ist ehrlicherweise nicht mein Thema, ich bin Nationalspieler und konzentriere mich auf meine Leistung. Aber jeder weiß, dass das sehr unglücklich und unnötig ist. Ich hoffe, dass sich alles wieder beruhigt. Denn im Endeffekt will das keiner, der DFB hat topprofessionelle Mitarbeiter und der Fokus beim DFB sollte auf der Europameisterschaft liegen.
Leno: Lahm als DFB-Präsident "könnte passen"
SPORT1: Wäre Philipp Lahm ein geeigneter Nachfolger für den scheidenden Präsidenten Fritz Keller?
Leno: Über Philipp Lahm höre ich nur Positives, das könnte passen. Er war ein super Spieler und ist ein netter Kerl. Das war er schon als Gegenspieler. Seine Außendarstellung ist immer professionell, ruhig und abgeklärt. Er kennt das Business perfekt und weiß sich zu verkaufen. Also wieso nicht? Aber wie gesagt nicht mein Thema.
SPORT1: Wie wird sich die deutsche Nationalmannschaft bei der EM verkaufen?
Leno: Unsere Gruppe ist sehr schwer, keine Frage. Aber wir sollten uns nicht zu klein machen, denn wir haben eine Top-Mannschaft, mit Champions-League-Teilnehmern, Finalisten und Weltmeistern. Unsere Mannschaft hat einen guten Mix aus Erfolg und Erfahrung. Weltweit haben die Spieler Respekt vor Deutschland. Das höre ich oft, wenn ich mit Spielern aus dem Ausland rede. (Marc-André ter Stegen im SPORT1-Interview, Teil 2)
SPORT1: Ist sogar der Titel drin?
Leno: Wir sind zwar nicht der Top-Favorit, aber wenn wir Euphorie aufbauen, dann ist alles möglich. Wie Frankreich und Belgien haben wir eine Top-Mannschaft. Kein deutscher Nationalspieler spielt eine EM um sich danach zu freuen, ins Viertelfinale gekommen zu sein.
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SPORT1: Sie haben zuletzt von ihren Mitspielern beim FC Arsenal eine "ekligere" Spielweise gefordert. Welche Spieler beim DFB haben diese Mentalität?
Leno: Ich denke sofort an Joshua Kimmich, weil er ein Wadenbeißer ist. Ilkay Gündogan ist auch ein brutaler Spieler. Er haut vielleicht nicht dazwischen, spielt dafür sehr intelligent. Timo Werner ist ebenfalls ein ekliger Spieler, weil er immer hinter die Kette geht und dort die Räume sucht. Antonio Rüdiger ist auch ein gutes Beispiel: Jeder bei Arsenal hat gesagt, dass es extrem bitter und schwierig ist gegen ihn zu spielen. Solche Spieler tun einer Mannschaft gut und dem Gegner weh. Deswegen freut es mich für Toni, dass er bei Chelsea die Kurve bekommen hat und jetzt gemeinsam mit den anderen deutschen Jungs im Champions-League-Finale stehen wird. (NEWS: Alles zur Premier League)
Leno über die Clique mit Havertz und Werner
SPORT1: Gibt es unter den deutschen Spielern der Premier League eine WhatsApp-Gruppe?
Leno: Nein, aber ich kenne Kai Havertz aus Leverkusen und Timo Werner aus seiner Jugendzeit in Stuttgart. Timo und ich sind Schwaben, das verbindet. Unsere Frauen verstehen sich auch ganz gut und haben sich schon öfter getroffen. Wir sind eine kleine Clique und hängen gerne zusammen mit Kai ab.
SPORT1: Mit 29 sind Sie der Älteste.
Leno: Ja, aber meine Frau ist 24 und hält mich jung (lacht). Wir haben genug zu bereden, bei uns am Tisch ist es immer sehr lustig. Kai und Timo würde es sicher auch freuen, wenn ich bei der EM dabei bin, damit wir zusammen Erfolg und Spaß haben.
SPORT1: Wem drücken Sie im Champions-League-Finale die Daumen: Manchester City oder dem FC Chelsea?
Leno: Als Spieler von Arsenal ist es besser, wenn ich mich zurückhalte (lacht). Ich werde das Spiel als Fußballfan schauen. Fakt ist: Wir werden mindestens einen deutschen Sieger haben und das ist super. (Tabelle der Premier League)
SPORT1: Ihr Verein ist seit vier Jahren nicht mehr in der Königsklasse vertreten. Ein Armutszeugnis?
Leno: Nein, aber so ist momentan leider die Realität. Wir laufen der Vergangenheit hinterher, in welcher Stars wie Thierry Henry gespielt haben. Das war ein anderes Level. Von der Champions League sind wir zurzeit weit weg. Wir sind in der kommenden Saison höchstwahrscheinlich auch nicht in der Europa League dabei, weshalb der Verein versucht, etwas Neues aufzubauen. Wir können uns in der nächsten Saison voll auf die Liga konzentrieren und diesen Neuanfang wagen.
Leno: Arsenal "läuft Vergangenheit hinterher"
SPORT1: Warum tut sich Arsenal so schwer?
Leno: Die Premier League ist knallhart. Die kleineren Vereine tun einem richtig weh, weshalb wir uns Schwächephasen, wie im vergangenen Herbst, nicht erlauben dürfen. Ansonsten läuft man der Musik hinterher. Wir haben danach die Kurve nicht bekommen. Aber wir haben zuletzt gegen Chelsea gewonnen, wir haben Tottenham und Manchester United geschlagen. Qualität ist vorhanden, nur konnten wir sie nicht immer abrufen.
SPORT1: Bereuen Sie es, 2018 nach London gewechselt zu sein?
Leno: Nein, auf keinen Fall, ich habe den Wechsel noch nie bereut. Nicht mal am Anfang, als ich die ersten Spiele auf der Bank saß. Ich wollte Auslandserfahrung sammeln, auch als Mensch, und die Premier League ist die geilste Liga. Ich habe diese Liga schon immer verfolgt. (SERVICE: Ergebnisse und Spielplan)
SPORT1: Was macht die Premier League so attraktiv?
Leno: Dieses Hin und Her, das Physische, das Spielen mit offenem Visier – das macht einfach Bock. Es geht bei uns mehr ab als in der Bundesliga. Dort gibt es zu viel Mittelfeldgeplänkel und Abtasten. Ich freue mich auch, wenn die Fans wieder zurück sind. Sie geben in England den Takt vor und pushen die Mannschaften.
Leno spricht über Bundesliga-Rückkehr
SPORT1: Sie haben einen Vertrag bis 2023. Werden Sie diesen erfüllen?
Leno: Ich will hier nicht flüchten, ich fühle mich wohl und will mit Arsenal wieder Erfolg haben! Arsenal ist ein großer Klub, das wird in Deutschland extrem unterschätzt, überall auf der Welt gibt es viele Arsenal-Fans. Ich habe noch zwei Jahre Vertrag und hoffe, dass ich mit Arsenal nochmal in der Champions League spielen werde. Klar ist auch, dass ich in meiner Karriere irgendwann nochmal was anderes machen will. Bis jetzt habe ich bei zwei Vereinen gespielt. Vielleicht bekomme ich nochmal Lust, in einer anderen Liga zu spielen. Vielleicht im Süden. Aber das hat Zeit, ich komme ja erst noch ins beste Torwartalter. Mein Fokus liegt aber auf dem FC Arsenal.
SPORT1: Real Madrid war früher Ihr Traumverein.
Leno: Ja, wegen Iker Casillas. Er war mein Idol. Mit Real habe ich auch meistens auf der Playstation gespielt.
SPORT1: Ist eine Bundesliga-Rückkehr vorstellbar?
Leno: Jetzt noch nicht, weil es mir in der Premier League und bei Arsenal sehr gut gefällt. Privat finde ich es in London auch super. Meine Frau fühlt sich wohl, alles passt. Aber irgendwann nochmal Bundesliga: Wieso nicht?
Leno: Deshalb fehlt Aubameyang bei meiner Hochzeit
SPORT1: Sie standen in Ihrer Karriere 175-mal mit Julian Brandt zusammen auf dem Platz. Arsenal soll an ihm dran sein und in Dortmund läuft es derzeit nicht gut für ihn. Stehen Sie mit ihm in Kontakt?
Leno: Ich habe die Gerüchte mit Arsenal gelesen und ihm sofort ein paar Nachrichten geschrieben. Ich weiß aber nicht, was da wirklich dran ist. Auf jeden Fall würde es mich freuen, wenn er kommen würde. Jule ist ein guter Freund, wir hatten eine sehr gute Zeit in Leverkusen und waren privat öfter auf ein bis zwei Bierchen unterwegs. Vielleicht können wir das in der Zukunft nochmal erleben. Er ist auch zu meiner Hochzeit eingeladen, die dieses Jahr leider nicht stattfinden konnte. Das werden wir nächstes Jahr nachholen.
SPORT1: Welche Fußballer sind noch eingeladen?
Leno: Nur Julian und Danny da Costa.
SPORT1: Pierre-Emerick Aubameyang nicht?
Leno: Auba würde mir die Show stehlen, denn er würde mit einem Glitzer-Anzug kommen. Das wäre ein Problem (lacht).