Für Granit Xhaka lief es in seiner Karriere eigentlich wie am Schnürchen.
Xhaka: "Dieser Hass war ganz neu"
Nach erfolgreichen Anfangsjahren beim FC Basel und vier Spielzeiten bei Borussia Mönchengladbach wechselte er 2016 zum FC Arsenal in die Premier League. Ein entscheidender Karriereschritt. 2017 wurde er als Schweizer Fußballer des Jahres geehrt.
Doch im Herbst 2019 lernte Xhaka die Kehrseite der glänzenden Medaille kennen, als er sich mit heftigen Anfeindungen der Gunners-Fans konfrontiert sah, nachdem er sich im Zuge einer Auswechslung mit ihnen angelegt hatte.
Im SPORT1-Interview spricht der 27-Jährige über diese schwere Phase, die Situation bei Arsenal und das Interesse von Hertha BSC.
SPORT1: Herr Xhaka, wie erleben Sie die Coronakrise? In England geht es wahrscheinlich erst im Juni wieder los...
Granit Xhaka: Die Krise hat sich hier in England eher langsam ins Bewusstsein geschlichen. Da gab es in Italien, Spanien und Deutschland schon extreme Zahlen. Nun ist sie aber mit voller Wucht da. Mit all den Maßnahmen und Einschränkungen, nämlich sich und andere durch Selbstisolation zu schützen, nur für das Nötigste vor die Tür zu gehen und sich quasi im Home-Office fit zu halten. Das ist schon extrem und wer hätte das noch vor zwei Monaten gedacht. Aber ich habe hier zuhause schon eine sehr gute Routine für mich entwickelt und ziehe mein Trainingsprogramm sehr diszipliniert und hart durch.
SPORT1: Viele Profis zeigen sich in der Corona-Pandemie von einer sehr menschlichen Seite. Die Nationalspieler Leon Goretzka und Joshua Kimmich zum Beispiel haben mit einer Spenden-Aktion für Corona viel Geld gesammelt. Ihr Mannschaftskollege Mesut Özil geriet derweil in die Kritik, weil er einem Gehaltsverzicht nicht zugestimmt haben soll...
Xhaka: Diese Krise hat vielen, auch bei uns Spielern, noch einmal die Augen geöffnet, wie schnell alles vorbei sein kann und wie wichtig die Gesundheit eines Jeden in der Gesellschaft ist. Viele Spieler machen daher etwas, um zu helfen, organisieren etwa Spendenaktionen, das ist sehr individuell. Viele machen dies auch im Hintergrund, ohne es groß publik zu machen. Daher will ich das hier gar nicht bewerten oder kommentieren, auch nicht, was dort wieder in der Öffentlichkeit herausgehoben oder diskutiert wird. Übrigens ist das ja auch nicht neu, dass viele Top-Spieler sich für Organisationen und Bedürftige engagieren. Das passiert nicht erst seit dieser Krise.
SPORT1: Seit 2016 spielen Sie in der Premier League. Wie blicken Sie zurück?
Xhaka: Für mich fällt der Rückblick bislang sehr positiv aus. Nach einem etwas schwierigen Start habe ich sehr viel gespielt und insgesamt eine super Zeit bei Arsenal. Klar gab es in den vier Jahre auch Höhen und Tiefen und wir haben leider nun schon drei Jahre das Ziel Champions League-Teilnahme nicht erreicht. Aber wer weiß, vielleicht schaffen wir es dieses Jahr noch, denn ich denke ein Klub wie Arsenal gehört definitiv dorthin. Darüber hinaus durfte ich mit verschiedenen Top-Trainern arbeiten und die unterschiedlichsten Spiel-Philosophien kennenlernen, was mich sehr nach vorne gebracht hat. Insgesamt waren es bislang schon vier tolle Jahre in London.
SPORT1: Wie sehr hat Sie England als Profi und Mensch verändert?
Xhaka: Ich denke, es ist der Traum eines jeden Spielers einmal in der Premier League zu spielen, einer Liga auf solch hohem Niveau mit unzähligen Top-Spielern und extremen Belastungen. Was das Wichtigste ist: wenn du hier mithalten willst, gilt nur eines: Du musst von morgens bis abends hoch professionell arbeiten und darfst dir keine Nachlässigkeiten erlauben, sei es im Bezug auf deine Mentalität und Einstellung, deine Ernährung, bis hin zum maximal intensiven Trainingseinsatz und der richtigen Erholung. Diese Liga erlaubt dir keine Fehler.
SPORT1: Wo liegen die entscheidenden Unterschiede zwischen der Bundesliga und der Premier League?
Xhaka: Einer der Hauptunterschiede aus meiner Sicht ist, dass in der Premier League geradliniger gespielt wird. Hier geht es vielfach vor allem um Balleroberung und dann mit Vollgas nach vorne, ohne viel Ball-Geschiebe und Hin und Her. Geht der Ball verloren, pressen die Teams maximal, um ihn zurückzuerobern, der Druck auf die Ball führenden Spieler ist da schon extrem. Klar gibt es Mannschaften wie ManCity, Liverpool, Chelsea oder auch uns, die mit herausragenden Technikern und überragenden Einzelspielern viele Spiele dominieren und spielerisch entscheiden, aber es gibt auch viele andere sehr gute Vereine, die gefährlich sind, weil sie einen klaren Matchplan haben und diesen unglaublich diszipliniert durchziehen, wie etwa der FC Burnley mit seinen gefährlichen Standards. Darüber hinaus denke ich ist das Tempo allgemein hier deutlich höher als in anderen Ligen.
SPORT1: Sie haben einst beim FC Basel begonnen und sind dann über Borussia Mönchengladbach nach England gekommen. Eine Bilderbuch-Karriere?
Xhaka: Ganz ehrlich, meine Karriere hätte ich mir nicht besser erträumen können. Es ist nahezu alles wahr geworden, was ich mir als junger Spieler einmal ausgemalt habe. Und das lag vor allem an guten und richtigen Entscheidungen. Jeden Schritt habe ich zusammen mit meiner Familie entschieden. Und ich bin unendlich dankbar für diese wichtige Unterstützung bei diesen entscheidenden Fragen. Sicher, ich hatte damals in Basel viele andere Angebote, aber ich habe mich für Gladbach entschieden. Ich sage mal - alles richtig gemacht. (lacht) Und dann der nächste Schritt zu Arsenal, meinem absoluten Wunschverein.
SPORT1: Sie sind für viele Borussen immer noch ein Derby-Held nach ihrem Siegtreffer gegen Köln 2015. Hatten für Sie Derbys schon immer einen besonderen Reiz? Das bislang letzte, war vor einigen Wochen das erste Geisterspiel der Bundesliga.
Xhaka: Derbys sind wirklich etwas besonderes. Das von damals mit meinem Tor, da habe ich noch alle SMS-Nachrichten und auch das Datum werde ich nie vergessen. Was da passiert, wenn du dann auch noch ein Tor machst, das ist einmalig. Wie das Stadion da gebebt hat, da bekomme ich heute noch Gänsehaut. Das sind Momente, die nicht in Worte zu fassen sind, davon erzählt man dann seinen Kindern und Enkeln. Für diesen Wow-Effekt, den man da erleben darf, arbeitet man jeden Tag. Und daher wird dieses Spiel für mich unvergesslich bleiben. Und ja, das Geisterderby ohne Fans habe ich mir angesehen, das war schon sehr komisch, das hat mit einem "echten" Derby gar nichts zu tun.
SPORT1: Sie genießen bei vielen Gladbach-Fans einen hohen Stellenwert, weil Sie sich immer sehr viel Zeit für sie genommen haben.
Xhaka: Seit ich denken kann, sind die Fans für mich fester Teil meines Sports. Und ich habe großen Respekt gegenüber dem Engagement und den Entbehrungen, die die Anhänger auf sich nehmen, um uns Spieler zu unterstützen. Und daher ist das für mich normal, auch etwas zurückzugeben. In England ist man da ein Stück weit abgeschotteter, das fehlt mir im Vergleich zur Bundesliga. Ich hatte immer sehr viel und engen Kontakt zu den Fans, bin da sehr offen. Da sind zum Beispiel Andy und Biggi, ein Schweizer Pärchen, zwei Gladbach-Fans. Ich treffe sie regelmäßig, wenn ich etwa mit der Nati in der Schweiz bin, und dann quatschen wir über Borussia. Das finde ich klasse. Das ist für mich ganz normal und macht Spaß.
SPORT1: War es daher umso schlimmer, wie die Arsenal-Fans im alten Jahr mit Ihnen umgegangen sind?
Xhaka: Wie schon gesagt, gab es hier in England auch immer mal Ups und Downs, aber diese Pfiffe gegen mich, dieser Hass, das war ganz neu für mich und hat mich schon sehr getroffen. Bis dahin hatte ich in Basel und in Mönchengladbach und auch hier bei Arsenal eigentlich fast nur positive Erfahrungen mit den Fans. Dann trifft einen so etwas schon doppelt hart.
SPORT1: Welche Rolle spielte Social Media dabei?
Xhaka: Social Media ist mittlerweile fester Bestandteil des Business und viele Spieler haben da mittlerweile schon professionelle Agenturen, die sie beraten und das geht dann auch schon mal nach hinten los (lacht). Für mich bieten meine Socal-Media-Plattformen die Chance, meine Fans an meiner sportlichen Karriere und - soweit ich es zulasse - an meinem Privatleben teilhaben zu lassen. Da bin ich eigentlich sehr offen, zeige auch einmal Privates, Trainings-Sessions aus meinem "Home-Office" oder auch mal eine Spaß-Aktion auf Tik Tok . Was früher die Fanpost war, ermöglichen heute Instagram und Co. viel authentischer und aktueller. Das finde ich klasse und macht mir auch Spaß. Doch diese Chance ist auch ein zweischneidiges Schwert, wie ich es vor allem im vergangenen Herbst erfahren habe. Es gibt wirklich Leute, die sich zum Hobby machen, täglich andere zu beleidigen und die dann auch vor meinem privaten Umfeld und meiner Frau nicht halt machen. Das ist dann leider die Kehrseite der Medaille.
SPORT1: Wir müssen auch über Hertha BSC sprechen. Sie standen kurz vor einem Wechsel, das wurde bestätigt. Woran ist es gescheitert?
Xhaka: Das ist für mich wirklich kein Thema mehr. Ja es gab Kontakt und auch ein Angebot, aber letztlich habe ich mich dann entschieden, hier in London zu bleiben und hier nach dreieinhalb Jahren nicht alles abzubrechen, was ich mir aufgebaut habe. Und hierauf konzentriere ich mich jetzt mit aller Kraft und Motivation und hoffe, dass wir bald wieder auf den Platz dürfen.
SPORT1: Wurde unter Mikel Arteta bei Ihnen der Reset-Knopf gedrückt?
Xhaka: Ich denke, ich hatte hier bei Arsenal mit allen Trainern bisher ein sehr gutes Verhältnis und sehr guten Kontakt. Dabei hat jeder seinen eigenen Charakter, seine eigene Philosophie und auch seine eigene Art der Ansprache. Mit Mikel begann für mich aber tatsächlich so etwas wie ein Neustart. Ich hatte von Beginn an mit ihm sehr gute Gespräche, in dem er mir aufgezeigt hat, was er von mir erwartet, wie sehr er mich im Team braucht und als Spieler schätzt. Das war sehr motivierend und überzeugend für mich. Bei ihm merkt man sofort, dass er ein sehr weit gefächertes, langjähriges Knowhow besitzt, das er sehr gut ans Team weitergibt. Er ist absolut professionell, achtet sehr auf Disziplin, Team-Spirit, ist offen und direkt in der Kommunikation. Ich bin überzeugt, dass wir mit ihm noch viel Freude haben.
SPORT1: Ist damit auch ihr Zoff mit den Fans dadurch endgültig beigelegt?
Xhaka: Nun, was passiert ist, ist passiert. Man kann es nicht rückgängig machen. Vielleicht war es auch ein Missverständnis und beide Seiten haben da einigermaßen überreagiert. Aber das ist für mich erledigt, man muss jetzt nach vorne schauen, sich gerade in der aktuellen Situation positiv motivieren und nicht an Negativem hängen bleiben. Wie ich auch damals im meinem Statement geschrieben habe: Wir sollten als Team, der Verein und die Fans mit gegenseitigem Respekt und in Erinnerung an das, was uns dieses Spiel so lieben lässt, Hand in Hand gemeinsam positiv auf das nächsten Spiel und die kommenden Herausforderungen blicken.
SPORT1: Thema Nationalmannschaft zum Abschluss: Sie wären mit der Schweiz bei der EM dabei gewesen. Wie denken Sie über die Absage des Turniers?
Xhaka: Klar hätte ich gerne gespielt, wir haben einen super Kader und hätten auch realistische Chancen gehabt, im Turnier weit zu kommen. Aber schon bald war für mich klar, dass die EM verschoben werden muss. Eben auch in diesem einmaligen neuen Modus in zwölf verschiedenen Spielorten, bei denen fast jedes Land von dieser Krise schwer betroffen ist. Daher gab es dazu keine Alternative, so traurig dies auch ist. Aber da stehen wir wirklich nicht alleine da, auch die Olympischen Spiele oder viele andere große sportliche Traditions-Events wurden verschoben oder abgesagt.