Die Party fiel etwas kleiner aus, die Freude war dennoch riesengroß. Die Glasgow Rangers wurden nach 2011 wieder mal schottischer Meister.
Balogun: Darum wollte mich Gerrard
Mit 55 Meistertiteln ist der Klub damit weltweit der Verein mit der höchsten Anzahl an nationalen Meistertiteln. Bislang waren die Rangers das zusammen mit Linfield aus Nordirland. Für Erzrivale Celtic Glasgow platzte der Traum, zum zehnten Mal in Folge Meister zu werden.
Dies schafften nicht mal die Rangers. Leon Balogun, der in der Bundesliga unter anderem für Werder Bremen und Mainz 05 spielte, durfte sich gleich in seiner ersten Saison in Schottland über den ersten Titel freuen. Sein Trainer: England-Legende Steven Gerrard.
Vor dem Europa-League-Spiel der Rangers gegen Slavia Prag (Europa League: Glasgow Rangers - Slavia Prag, Do. ab 21 Uhr im LIVETICKER) spricht der 32-Jährige im ersten Interview nach dem Coup bei SPORT1 über die Rivalität in Glasgow, Gerrard und seine Karriere.
SPORT1: Herr Balogun, was ist das für ein Gefühl, gleich in Ihrem ersten Jahr mit den Rangers Meister zu werden?
Leon Balogun: Dass es in meinem ersten Jahr passiert ist, ist gar nicht mal vorrangig. Das Krasse an dieser Sache ist, dass ich Teil einer Mannschaft bin, die in den vergangenen Jahren versucht hat, die andere Seite der Stadt aufzuhalten und das Rangers-Logo wieder aufzupolieren. Es hat nie geklappt und in dieser Saison war das große Thema, deren "Ten in a Row" zu stoppen - also zehn Meisterschaften in Folge - was noch keinem der beiden Teams gelungen ist. Das ist das viel Größere an der Geschichte, gerade im Hinblick auf die jüngere Vergangenheit. Klar, für mich ist es der erste Meistertitel in meiner Karriere. Aber das muss ich erst noch sacken lassen.
SPORT1: Hätten Sie es sich je erträumt, gleich im ersten Jahr Meister zu werden?
Balogun: Im letzten halben Jahr meiner Vertragslaufzeit bei Brighton & Hove Albion habe ich bei Wigan Athletic gespielt. Als meine Jungs dort gehört haben, dass ich zu den Rangers wechsele, sagten alle zu mir 'Unfassbar geil, das wird dir gefallen!' Und ich sagte zu Chey Dunkley (spielt jetzt bei Sheffield Wednesday, d. Red.) 'Du wirst sehen, dass ich am Saisonende die Trophäe hochhalten werde.' Das Einfachste war, davon zu träumen. Es in die Tat umzusetzen, war etwas anderes. Bei den Rangers ist es so unfassbar gut.
Das Wort "Celtics" wird nicht in den Mund genommen
SPORT1: Wie blicken Sie auf Ihre bisherige Karriere zurück?
Balogun: Für mich persönlich gab es Ups and Downs und einige knifflige Punkte und Zeiten, als sogenannte Experten dachten, ich könne in einer Topliga gar nicht mehr angreifen. Seitdem war ich Teil des Wunders von Darmstadt (direkter Aufstieg in die Bundesliga, d. Red.), habe mit Mainz den direkten Einzug in die Europa League gefeiert, 2018 die WM mit Nigeria gespielt, ManUnited in meinem Premier-League-Debüt geschlagen und in Anfield mein wahrscheinlich bestes Spiel abgeliefert. Gegen Crystal Palace erzielte ich mein erstes Premier-League-Tor mit meinem ersten Ballkontakt. Mit Brighton habe ich es zudem bis ins Halbfinale des FA Cups geschafft. Und beim Afrika-Cup 2019 gewannen wir die Bronze-Medaille.
SPORT1: Ist der Titelgewinn für Sie eine Extra-Genugtuung?
Balogun: Nein. Aber ein weiterer Meilenstein, mit dem ich mir selbst, aber auch dem einen oder anderen Kritiker bewiesen habe, was in mir steckt. In meinem Team sind andere Jungs dabei, die haben so viel Mist erlebt und mussten sich so viel Häme gefallen lassen von der anderen Seite der Stadt. Von daher hat der Titel für sie noch eine viel größere Bedeutung. Aber es war ein erfolgreiches erstes Jahr für mich. (schmunzelt)
SPORT1: Sie nehmen Celtic nicht in den Mund?
Balogun: Nein. Das habe ich mir gleich angewöhnt. Ich spreche den Namen von dieser anderen Truppe nicht aus, sondern sage immer, die von der anderen Seite der Stadt oder von anderswo. (lacht)
"Leon, du hast noch nichts gesehen“
SPORT1: Sie sagten dieser Titel sei speziell. Warum?
Balogun: Weil die Rivalität zwischen uns und dem Klub von der anderen Seite der Stadt unfassbar groß ist. Dieser zehnte Titel, den dieser Klub angestrebt hatte, war das große Thema in dieser Saison. Ganz ehrlich? Ich habe noch gar keine richtige Vorstellung von dieser Rivalität, weil noch keine Fans dabei sein dürfen. Ich bekomme durch Social Media einen Einblick oder zuletzt vor dem Spieltag, als bei unserer Ankunft am Stadion die Straßen voll waren mit Fans und die Polizei uns da durchlotsen musste. Aber selbst da sagten meine Mannschaftskollegen zu mir 'Leon, du hast noch nichts gesehen'. Ich habe noch keine Ahnung von der Verrücktheit unserer Fans, wie es sich anfühlt, vor ihnen zu spielen.
SPORT1: Aber die Rivalität zwischen den Rangers und Celtic werden Sie doch trotzdem schon intensiv mitbekommen haben.
Balogun: Na klar. In den zurückliegenden neun Jahren haben die Rangers nur auf die Fresse bekommen. Oft war der Verein auf einem guten Weg, doch dann musste man sich von diesem anderen Verein wieder anhören 'Hier gibt es nur uns‘, weil man auf der Zielgeraden dann geschwächelt hat. Diese Häme und die Tatsache, dass das Gesicht immer wieder in den Schlamm gedrückt wurde, war für alle Bären schrecklich. Durch den Zwangsabstieg 2012 in die 4. Liga haben die Rangers bis heute schlechtere finanzielle Mittel, und somit wurde ihnen in dieser Rivalität natürlich der Boden unter den Füßen weggezogen. Und mit diesem Titel wurde soviel widerlegt und vor allem überwunden, dass es diesen Erfolg umso spezieller macht. Und es ist geil, ein Teil davon zu sein.
SPORT1: An Ihrem ersten Tag hat Sie ein Vereinsoffizieller durch den Trophäen-Raum geführt. Wie war das für Sie?
Balogun: Wie zu meinem Kollegen sagte ich auch zu ihm, dass nach dieser Saison in der Vitrine eine Trophäe mehr drin stehen wird. Davon war ich wirklich überzeugt. Natürlich wurde immer mal etwas erneuert, aber das Ibrox-Stadion ist immer noch Kult. Dort siehst du Statuen, alte Bilder, Medaillen, Wimpel und denkst dir einfach nur 'Wow! Wenn du Meister wirst, bist du sofort eine Legende!'. Wir haben es tatsächlich geschafft - die 55. Meisterschaft, nach der sich alle gesehnt haben. Ich wollte auch im Trophäen-Raum vorkommen, und jetzt ist es soweit.
Gerrard hat "große Zukunft vor sich"
SPORT1: Fühlen Sie sich als Legende?
Balogun: Noch nicht. Das wird vielleicht noch kommen. Es ist Stolz da, aber wie fühlt man sich als Legende? Über mich selbst würde ich das wohl auch nicht sagen, aber eins kann ich sagen: Ich nehme es an, wenn ich als eine betrachtet werde. Ich freue mich so sehr, wenn nach der Pandemie wieder Fans ins Stadion dürfen und ich sie endlich richtig kennenlerne. In Glasgow ist es sehr extrem, denn da kannst du auf der einen Seite der Straße Liebe spüren, auf der anderen blanken Hass.
SPORT1: Ihr Trainer Steven Gerrard ist eine Legende.
Balogun: Definitiv eine Legende. Man spürt einfach, dass er diese Siegermentalität ganz krass verinnerlicht hat. Im Training, wenn er manchmal mitspielt, siehst du diesen unbedingten Willen zu performen und gewinnen zu wollen. Und was er unfassbar gut kann, ist dies an uns weiterzuvermitteln. Natürlich hilft da seine Vita. Jeder kennt ihn. Aber er hat auch das nötige Fingerspitzengefühl und die Empathie, um zu sehen, was ein Spieler oder das Team braucht. Er versteht es ideal, die Balance zwischen Lockerheit und Strenge zu halten und im richtigen Moment einen Spieler zur Seite zu holen, um ihn aufzubauen. Er leistet mit seinem Trainerteam wirklich sehr gute Arbeit, weshalb wir mit unseren Leistungen auch in der Europa League für Aufsehen sorgen. Unser Trainer ist ein feiner Kerl und hat eine große Zukunft vor sich.
SPORT1: Wie war das, als der kleine Balogun das erste Mal vor dem großen Gerrard stand?
Balogun: (lacht) Unser Trainer ist kleiner als ich. Das war der kleine Gerrard vor dem großen Balogun. Ich hatte ihn vor der Vertragsunterschrift schon bei einem Zoom-Call gesehen. Da habe ich ihm gesagt 'Bevor wir über irgendwas sprechen, möchte ich Ihnen sagen, dass das mein persönlicher Moment ist, wo ich mich als kleiner Fan oute'. Es war unfassbar, dass Steven Gerrard auf meinem iPad erschien. Da musste er lachen. Als wir uns dann persönlich getroffen haben, war es irgendwie vertraut. Er hatte mir schon vorher, als ich noch für Wigan gespielt habe, immer mal geschrieben. Das hat mir geholfen, mich schnell einzugewöhnen und bereits nach fünf Tagen mit der Mannschaft mein erstes Spiel zu bestreiten.
Rückkehr nach Deutschland "wäre überragend"
SPORT1: Warum wollte Sie Gerrard?
Balogun: Weil ich sehr gut in sein System passe und zur Art und Weise, wie er spielen möchte. Wir spielen sehr Ballbesitz orientiert und wollen immer vorwärts verteidigen, dominant sein und den Gegner attackieren. Ihm gefällt meine Aggressivität, Dynamik und Athletik und natürlich bringe ich einiges an Erfahrung mit, auch international. Und ich bin am Ball selbstbewusst, was ich definitiv auch Sandro Schwarz (früherer Trainer, d. Red.) zu verdanken habe. Sicher haben ihn auch charakterliche Eigenschaften überzeugt, über die ihm mein Wigan-Trainer berichtet hat.
SPORT1: Sie haben seit 2008 in neun Vereinen gespielt. Sind Sie einfach nur reisefreudig oder selbstkritisch genug, dass Sie den Durchbruch nicht geschafft haben?
Balogun: Ich bin definitiv selbstkritisch. Vor allem die ersten beiden Jahre als Profi bei Hannover 96, nachdem ich mit Türkiyemspor Berlin aufgestiegen bin, waren extrem hart. Da habe ich den Durchbruch einfach nicht geschafft. Ich habe keine klassische Akademie besucht, komme also nicht aus einer klassischen Talentschmiede, wie man es in England hat oder bei der Hertha, wo ich in der Jugend ein Jahr gespielt habe. Ich musste bei 96 noch sehr viel lernen.
Von dort bin ich nach Bremen gewechselt, habe dort bei der U23 unterschrieben, habe aber mit den Profis trainiert und war auch oft im Kader. Meinen ersten Durchbruch hatte ich bei Fortuna Düsseldorf. Leider sind wir abgestiegen, und das zweite Jahr war nicht so prickelnd. Mit Darmstadt 98 bin ich aufgestiegen und in Mainz lief es im ersten Jahr ziemlich gut und danach durchwachsen. Ich denke, es ist fair zu sagen, dass ich mich nie so wirklich etablieren konnte oder dass ich in einem Klub absolut gesetzt war. Da bin ich selbstkritisch genug. Aber es gibt viele Spieler, die etabliert sind, aber nie in der Europa League oder eine WM gespielt haben, geschweige denn Meister wurden.
SPORT1: Reden Sie es sich da nicht etwas zu schön?
Balogun: Nein. Ich bin stolz, weil ich viele Hindernisse hinter mir gelassen und schwierige Zeiten überwunden habe. Ich wurde oft kritisch gesehen, aber ich habe all die Jahre immer dazugelernt. Der Meistertitel mit den Rangers ist keine Entschädigung für meine Zeit in Deutschland. Wenn es immer einfach ist, entwickelst du dich auch nicht weiter. Von Mainz in die Premier League zu wechseln war kein leichter Schritt. Es gab traurige Momente in meiner Karriere, da dachte ich 'Verdammt, warum spiele ich jetzt nicht?' Aber vielleicht brauchte ich das alles so, um der Spieler zu werden, der ich heute bin.
SPORT1: Wollen Sie noch mal zurück nach Deutschland?
Balogun: Ich bin gebürtiger Berliner und wenn sich für mich zu Hause oder in Deutschland nochmal die Möglichkeit bieten würde, dann wäre das herausragend. Aber mit den Rangers schielen wir erstmal auf die Champions League, die rausspringen könnte, wenn wir erfolgreich durch die Qualifikation kommen. Wer will das verpassen? Wenn ich nicht mehr Fußball spielen werde, kehre ich zurück nach Deutschland. Wenn das vorher schon passieren sollte, habe ich nichts dagegen. Aber meine nähere Zukunft liegt bei den Rangers.