Vor vier Jahren standen sie noch im WM-Finale, nun stehen Lionel Messi und Kollegen vor einem sang- und klanglosen Scheitern in der Vorrunde.
Wie sich Argentinien zerstörte
Nach dem 0:3 gegen Kroatien droht das frühe Aus für Argentinien. Immerhin sind die Chancen auf das Erreichen des Achtelfinales durch Nigerias Sieg gegen Island wieder etwas gestiegen. Im letzten Gruppenspiel am Dienstag gegen Nigeria benötigen die Argentinier einen höheren Sieg als Island gegen die bereits für das Achtelfinale qualifizierten Kroaten.
Überraschend käme ein drohendes Debakel hingegen nicht, schon in der Qualifikation stand der zweimalige Weltmeister vor dem Aus und konnte sich nur knapp nach Russland retten.
Das Heimatland von Messi und Diego Maradona befindet sich seit vielen Jahren im sportlichen Niedergang, die Gründe sind zahlreich. SPORT1 zeigt sie auf.
- Qualitätsproblem auf allen Positionen
Messi, Higuain, Agüero, Dybala, Di Maria: Argentinien verfügt über große Namen, trotzdem herrscht im Kader eine große Unwucht.
Auf zahlreichen Positionen sind die "Gauchos" nur durchschnittlich besetzt, die des Torwarts ist nicht erst seit Willy Caballeros schwerem Patzer gegen Kroatien ein anschauliches Beispiel.
Die Argentinier standen einst für exzellente Jugendarbeit, zwischen 1995 und 2007 waren sie fünfmal U20-Weltmeister, zuletzt mit Agüero und Di Maria. Seitdem wuchs kein Siegerteam mehr nach, die A-Mannschaft spürt die Konsequenzen.
Die weiteren Aussichten: düster. Bis auf Dybala haben alle Topstars mittlerweile das 30. Lebensjahr überschritten, die meisten dürften nach der WM zurücktreten.
- Strukturen zerrüttet
35 Jahre lang stand der Verband AFA unter der Alleinherrschaft des von Korruptionsskandalen umwitterten FIFA-Funktionärs Julio Grondona. Das tat ihm am Ende nicht mehr gut und nach Grondonas Tod 2014 wurde es nicht besser.
Interne Machtkämpfe machen den Verband seit Jahren praktisch handlungsunfähig, dabei türmen sich die Herausforderungen auf Verbands- und Klubebene: Die Nachwuchsstrukturen sind offensichtlich reformbedürftig, hinzu kommt ein immer größer werdender Schuldenberg und ein riesiges Hooliganproblem.
Staatspräsident Mauricio Macri attestierte dem argentinischen Fußball im vergangenen Herbst eine "lebensgefährliche Krise".
- Trainer Sampaoli - ein Missverständnis
Jorge Sampaoli ist der siebte Nationaltrainer seit dem Ende der WM 2006 - nach der in Deutschland Joachim Löw übernahm. Und auch er erweist sich als Fehlbesetzung.
Sampaoli führte Chile 2015 zum Gewinn der Copa America (Finalsieg über Argentinien), in Argentinien fehlen ihm die Spieler für das Pressing-System, mit dem er Arturo Vidal und Co. zu Höchstleistungen trieb.
Eine Lösung dieses Problems hat der 58-Jährige nicht gefunden: Immer wieder wechselt er Aufstellung und Taktik, lässt keine klare Linie erkennen.
Womöglich mangelt es ihm auch an Autorität: Sampaoli - während der WM-Quali als Feuerwehrmann engagiert - hat seine Erfolge außerhalb Argentiniens gefeiert, war dort sportlich nicht mehr verwurzelt.
Auch abseits des Platzes sorgte er im Dezember 2017 für Empörung, beschimpfte einen Polizisten bei einer Verkehrskontrolle: "Du verdienst doch keine 100 Pesos."
Nach der Pleite gegen Kroatien wurde Sampaoli nun selbst von Fans bespuckt und beschimpft, während Stürmer Agüero öffentlich über ihn lästerte: "Er soll sagen, was er will." Über Respektspersonen reden Spieler anders.
- Lionel Messi kann's nicht richten
Der fünfmalige Weltfußballer war schon 2016 aus der Nationalelf zurückgetreten, wohl weil er ahnte, dass seine Aussichten, noch einen großen Titel mit Argentinien zu gewinnen, düster waren.
Nach dem Rücktritt vom Rücktritt bestätigte sich diese Einschätzung - und Messi konnte nur das Allerschlimmste verhindern: Mit einem Dreierpack gegen Ecuador sicherte er den Albiceleste die lange gefährdete WM-Qualifikation.
Bei der WM trägt Messi nun selbst zum Unheil bei, verschoss gegen Island einen Elfmeter, blieb gegen Kroatien mit nur 49 Ballkontakten und einem Torschuss wirkungslos.
Messi - der nach der WM endgültig zurücktreten dürfte - ist gewiss immer noch derjenige, der am wenigsten für die Misere des argentinischen Fußballs kann.
Umso bezeichnender, dass ein Ausnahmefußballer wie er sich mittlerweile von ihr anstecken lässt.