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EM 2021: Jorginho als Italiens Held, der eigentlich keiner sein sollte

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EM 2021: Jorginho als Italiens Held, der eigentlich keiner sein sollte

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Italiens Held sollte keiner sein

Jorginho schießt Italien ins EM-Finale und wird zum Helden einer Nation. Ein ein ungewöhnlicher Held, der beinahe nie die Chance dazu bekommen hätte.
Jorginho feiert den Einzug ins EM-Finale
Jorginho feiert den Einzug ins EM-Finale
© Imago
Jorginho schießt Italien ins EM-Finale und wird zum Helden einer Nation. Ein ein ungewöhnlicher Held, der beinahe nie die Chance dazu bekommen hätte.

Drei Schritte Anlauf, ein kleiner Hüpfer - und dann schob Jorginho Italien ins EM-Finale. Eiskalt und vollkommen cool, als wäre er als kleiner Junge mit einem Kumpel beim Kicken an einem Strand in der brasilianischen Provinz. 

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Gut möglich, dass bei seinem anschließenden Jubel nach seinem entscheidenden Treffer gegen Spanien im Elfmeterschießen Bilder von seiner Heimat aufblitzten, die ziemlich genau 10.000 Kilometer von Wembley, der Spielstätte des EM-Halbfinals, entfernt ist. Erinnerungen an den Küstenort Imbituba im Süden von Brasilien, wo alles begann.  

In der malerischen Provinz wuchs Jorge Luiz Frello Filho - so der volle Name - auf und trat früh zum ersten Mal gegen einen Ball. Seine Mutter war Fußballerin und trainierte ihren Sohn oftmals am Strand. "Junge, du hast zwei Füße, spiel mit beiden", sagte sie häufig. Als der Junge 13 Jahre alt war wurde er von einem italienischen Geschäftsmann entdeckt, der irgendwo zwischen zwei Welten lebte - Europa und Südamerika. Zwei Jahre später begann die Reise des heutigen Heldens von Italien, der eigentlich nie einer werden sollte.

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Jorginho wird von seinem Berater übers Ohr gehauen

Als er 15 Jahre alt war, fand sich der Teenager alleine in Verona wieder. In Brasilien war er nicht weiter aufgefallen, die Talentscouts hatten andere Namen auf dem Zettel. In Italien lebte er in einem Kloster und hatte 20 Euro in der Woche zur Verfügung. Für ihn gab es nur noch Schule und Training in der Jugendmannschaft von Hellas Verona. 

Zeitweise spielte Jorginho in der Jugend des kleinen Nachbar-Klubs Berretti. Dort lernte er einen brasilianischen Torwart kennen, dem er erzählte, wie er in Verona lebte. Nachdem dieser Nachforschungen anstellte kam heraus, dass sich der Berater von Jorginho einen großen Teil von seinem Gehalt einsteckte. Der Glaube des fußballbegeisterten Teenagers an den Profi-Fußball war erschüttert. Er wollte nur noch nach Hause.

Doch das ließ seine Mutter nicht zu, als er sie weinend anrief. "Sie sagte: 'Denk nicht einmal daran! Du bist so nahe dran und bist jetzt schon ein paar Jahre dort, ich lasse dich nicht wieder ins Haus. Du musst bleiben und dich durchbeißen'", erzählte Jorginho jüngst.

Er biss sich durch, doch lange sah es danach aus, als ob es mit der großen Karriere in Europa - von der fast jeder brasilianische Junge träumt - nichts werden würde.

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Vom Viertliga-Kicker zum Nationalspieler 

Als Jorginho volljährig wurde, lieh Hellas Verona ihn an den Viertligisten AC Sambonifacese aus. Bei seiner Rückkehr wurde er als erweiterter Spieler für den Kader des Zweitligisten Hellas angesehen. Erst als sich gleich zwei Spieler auf seiner Position verletzten, blieb dem Coach nichts mehr anderes übrig als ihm zu seinem Debüt in der Serie B zu verhelfen. Da stand Jorginho gut drei Monate vor seinem 20. Geburtstag. 

Als junges Talent hatte er immer davon geträumt, einmal so zu zaubern wie Ronaldinho oder solch tödliche Pässe zu spielen wie Kaká. Doch seine ersten Trainer zogen ihn immer weiter zurück, bis er im defensiven Mittelfeld landete. Dort fand er ein neues Zuhause.

Im Alter von 21 debütierte Jorginho nach dem Aufstieg von Hellas Verona in der Serie A. Schnell wurden Top-Klubs auf ihn aufmerksam und es folgte der Wechsel zum SSC Neapel, wo er sich unter Maurizio Sarri über die Jahre zu einem Spieler mit internationalem Format entwickelte. Das entging den Experten und Fans in Italien nicht. Ein Mann mit diesem Talent, das wäre doch auch einer für die italienische Nationalmannschaft. 

Da traf es sich nur zu gut, dass Jorginhos Vater, der die Familie früh verließ, Vorfahren aus Italien hatte. Es ist von einer Ur-Großvater die Rede, vielleicht auch ein Ur-Ur-Großvater. Die Einbürgerung ging jedenfalls schnell. Die Bürokratie kann in Italien fast schon lächerlich unkompliziert sein - wenn es denn sein soll. 

Jorginho als der neue Pirlo

2016 feierte Jorginho unter Antonio Conte sein Debüt für die Squadra Azzurra. Zu dieser Zeit war er in Neapel bereits zum unumstrittenen Regisseur herangereift. Im Sommer 2018 nahm ihn Sarri mit nach London zum FC Chelsea.

Mit den Blues gewann Jorginho in dieser Saison die Champions League, der größte Triumph des 29-Jährigen. Nun könnte nur einige Wochen später ein vielleicht noch größerer Erfolg folgen: der EM-Titel mit seiner Wahlheimat Italien, in der er längst Hoffnungsträger und spätestens seit Dienstagabend auch der große Held einer komplett fußballverrückten Nation ist.

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"Der neue Maestro", titelte Gazzetta dello Sport zuletzt. Womöglich die größtmögliche Auszeichnung, die ein Fußballspieler in Italien bekommen kann. Der alte Maestro war nämlich Andrea Pirlo - mehr Dirigent als Fußballer. 

Und tatsächlich trifft das auch auf Jorginho zu. Der Mittelfeldstratege verfügt zwar nicht über die langen Pässe eines Pirlos, die 60 Meter weiter genau auf dem Fuß eines Mitspielers landen. Stattdessen spielt er zumeist kurz und oft quer. Er ist ein Dirigent der kleinen Töne und nicht der großen Soli, wie es Pirlo war. 

Doch wenn es um Spielintelligenz geht, steht Jorginho dem vielleicht größten Fußballer Italiens in nichts nach. Auf dem Platz spricht er fast ununterbrochen - "Radio Jorginho" nennen ihn die Mitspieler. "Ich rede tatsächlich immer", gab er während der EM zu. "Auf meiner Position sehe ich ja auch alles."

Mancini wollte keine eingebürgerten Nationalspieler

Von der Tribüne aus und vor allem am Fernseher fällt der Strippenzieher hingegen wenig auf. Er ist oft da, wo der Ball nicht ist - oder besser noch nicht. Mit seiner Erfahrung scheint er mittlerweile manchmal schon vor dem Ball zu wissen, wo dieser Sekunden später hinrollt. Sein intuitives Verständnis ist außergewöhnlich. 

Defensiv wie mit seinen Qualitäten als Spielmacher ist Jorginho unter Italiens Nationaltrainer Roberto Mancini unersetzlich. "Er ist für uns ein sehr wichtiger Spieler, da er das Tempo vorgibt und die ganze Mannschaft zum Ticken bringt", beschrieb der Coach während des Turniers. Ein erstaunlicher Wandel, denn wenn Mancini im Jahr 2015 bereits seinen heutigen Posten innegehabt hätte, dann wäre Jorginho womöglich nicht Teil der Squadra Azzurra geworden. 

"Die italienische Nationalmannschaft muss italienisch sein. Ich denke, dass es ein italienischer Spieler verdient, in der Nationalelf zu spielen, während derjenige, der nicht in Italien geboren ist, auch wenn er italienische Verwandte hat, es nicht verdient. Das ist meine Meinung", hatte Mancini damals gesagt. Es scheint, als habe sich seine Meinung geändert. 

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