Unmittelbar nach dem 0:6-Debakel gegen Spanien hatte Bundestrainer Joachim Löw keine Erklärung für die historische Klatsche parat.
Löw ratlos: Das bedeuten seine Worte
"Die ist im Moment schwierig zu erklären, weil es irgendwie von uns ein rabenschwarzer Tag war, es hat gar nichts funktioniert, Körpersprache, Körperspannung, Zweikampfverhalten. Davon haben wir nichts auf dem Platz gesehen", sagte Löw in der ARD. "Wir wollten schon mutig sein, aber es hat nichts funktioniert, weder unsere Defensive, noch unsere Offensive. Da kann man niemanden ausnehmen."
Bei der Analyse der Gründe für die höchste Niederlage einer deutschen Auswahl seit 89 Jahren wirkte Löw ratlos, seine Aussagen lassen dennoch Schlüsse zu. SPORT1 ordnet die Worte des 60-Jährigen ein.
Bleibt Löw Bundestrainer?
Die wohl wichtigste Frage lautete, ob er denn noch Lust habe, im März - wenn die letzten Vorbereitungsspiele auf die EM anstehen - wieder neu anzugreifen.
"Ja, natürlich", bekräftigte Löw. "Es ist unsere Aufgabe und unsere Pflicht, dass wir das alles hinterfragen, auch uns selbst. Man hat gesehen, dass man in der Defensive große Probleme hatte. Wenn ich sage, dass alles schlecht war, dann meine ich das auch so. In jeglicher Beziehung war heute alles schlecht. Da kann man eigentlich nichts Schönes oder Gutes finden."
Auf der Pressekonferenz wenig später ergänzte Löw auf die Frage, ob er sich Sorgen um seinen Job mache: "Da müssen Sie andere fragen. Das kann ich so spontan nicht beantworten."
DFB-Direktor Oliver Bierhoff, der am Sonntag bei SPORT1 Löws Zukunft nach der EM offen gelassen hatte, sicherte ihm jedoch weiter Rückendeckung zu. "Das Vertrauen ist vollkommen da, daran ändert auch dieses Spiel nichts", erklärte er am ARD-Mikrofon im Anschluss an die Partie.
Löws Vertrag läuft noch bis 2022. Eine vorzeitige Entlassung muss der dienstälteste Nationaltrainer der Welt Stand jetzt nicht fürchten. An einen Rücktritt denkt er seinen Aussagen zufolge nicht.
Kehren Boateng, Hummels und Müller zurück?
Angesichts der eklatanten Abwehrprobleme und der fehlenden Kommunikation auf dem Rasen wurden die Forderungen nach einer Rückkehr von Jérôme Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller wieder lauter.
Löw wich der konkreten Nachfrage aus: "Wir haben gesagt, dass wir den Spielern vertrauen. Wir waren auf einem guten Weg. Heute haben wir gesehen, dass wir noch nicht so weit sind, wie wir es uns erhofft und geglaubt haben. Wir vertrauen diesen Spielern, wir müssen das genau analysieren und müssen zurückschlagen." Das Vertrauen in die aktuellen Spieler sei "jetzt nicht völlig erschüttert".
Nach einer Rückkehr des Weltmeister-Trios klingen diese Worte definitiv nicht. Zumal Löw dafür bekannt ist, einmal getroffene Entscheidungen nicht zu revidieren. Im vergangenen Jahr hatte Löw die drei verdienten Spieler öffentlich ausgemustert und seinen Entschluss in der Folge trotz anhaltender Kritik vehement verteidigt.
Wird es personelle Veränderungen im Kader geben?
Die Zeit der personellen Experimente und der großen Rotation hatte Löw zu Beginn des letzten Länderspiel-Dreierpacks des Jahres für beendet erklärt.
Nach dem Debakel von Sevilla meinte Löw: "Ich zweifle nicht an diesen Spielern. Sie haben ihre Qualitäten. Heute haben wir müde gewirkt, wir haben schwerfällig gewirkt. Wir waren immer einen Schritt zu langsam."
Der Bundestrainer hält weiter seine schützende Hand über sein Personal. Aber dieses Vertrauen müssen die Spieler auch zurückzahlen - das sah auch 2014er Weltmeister Bastian Schweinsteiger so.
"Ich nehme die Spieler in die Pflicht", sagte Schweinsteiger in der ARD. "Natürlich hat man als Trainer eine Verantwortung, aber ich wünsche mir von den Spielern, dass sie sich in solchen Situationen mehr wehren. Das habe ich vermisst. Ich hoffe, dass wir ein bisschen böser werden."
Auf welche Führungsspieler kann Löw zählen?
Schweinsteiger war es auf dem Platz zu leise. "Man hat keine Kommandos gehört, nur die Spanier", kritisierte der 36-Jährige.
Auf die Frage, wer denn in so einer Situation der verlängerte Arm des Trainers auf dem Rasen sei, reagierte Löw ausweichend. "Wir haben vorher Dinge klar besprochen, was wir wollen und was wir nicht wollen. Wenn man mal 2:0, 3:0 hinten ist, ist es schwierig, wieder ins Spiel zurückzufinden", meinte der Bundestrainer.
In Joshua Kimmich fehlte ein wichtiger verbaler Antreiber verletzungsbedingt. Kapitän Manuel Neuer wies seine Vorderleute zwar immer wieder lautstark an, erreichte aber niemanden so wirklich. Am deutlichsten hörbar war sein Fluchen ("F***") nach dem 0:4 der Spanier. Hummels und Müller haben ihre Stärken übrigens gerade auch in der Kommunikation und Mannschaftsführung.
Ändert sich die Zielsetzung für die EM?
DFB-Präsident Fritz Keller hatte das Halbfinale als Minimalziel ausgeben. Auch Bierhoff rechnete sich zuletzt Titelchancen aus. "Warum nicht? Wir haben das Zeug dazu, wie viele andere Mannschaften aber auch. Wenn alle Spieler gesund sind, werden wir mit einem guten Kader in das Turnier gehen", sagte Bierhoff im SPORT1-Interview.
Und Löw? Wird die Endrunde nach dem Debakel in Spanien nun zu einer Art Übungsturnier deklariert?
"Es kann nicht unser Ziel sein, dass die EM nur ein Vorbereitungsturnier für die weiteren Turniere ist. Wenn wir ein Turnier angehen, streben wir das Maximale an. Das ist kein Erfahrungsturnier für unsere Spieler", bekräftigte Löw.
Alles andere wäre eines viermaligen Welt- und dreimaligen Europameisters auch nicht würdig. Aber wenn die deutsche Auswahl bei der EURO im kommenden Jahr wirklich um den Titel mitspielen will, muss sich einiges ändern. Denn die Vorrundengruppe mit Frankreich, Portugal und Ungarn verzeiht keine Ausrutscher.