Als Beobachter steht man kopfschüttelnd am Rand und fragt sich, wie ausgewiesenen Profis solche Fehler passieren können.
Bierhoff und Grindel machen viel kaputt
Nein, es geht nicht um die historisch schlechten Auftritte der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Russland. Es geht um das Krisenmanagement des Deutschen Fußball-Bunds rund um "Erdogate". Auch das kann man jetzt schon als historisch schlecht einordnen.
Ausgerechnet der Direktor für die Nationalmannschaft und der DFB-Präsident haben in den vergangenen vier Tagen Zweifel aufkommen lassen. Zweifel daran, ob der DFB an seiner Spitze richtig aufgestellt ist, um die sportlich und imagemäßig schwierigste Situation der letzten 14 Jahre erfolgreich zu meistern.
Sowohl Oliver Bierhoff als auch Reinhard Grindel sind (Medien-)Profis. Dass Bierhoff seine mindestens unglücklichen Aussagen über Mesut Özil mit einer Panne im Freigabeprozess zu erklären versucht, ist schon hart an der Schmerzgrenze.
Und als sich die Erregung über Bierhoffs Aussagen halbwegs gelegt hat, biegt Grindel um die Ecke. Der DFB-Präsident besitzt die Gabe, bei öffentlichen Auftritten auf Knopfdruck in den Interviewmodus wechseln zu können. Wie kann es dann sein, dass jemand, der fast schon über-professionell mit Journalisten umgeht und selbst mal einer war, noch mal Öl ins Feuer gießt?
Ist das wirkliche Ziel von Bierhoff und Grindel vielleicht, von eigenen Fehlern abzulenken? Wenn Özil angesichts der wiederholten Bloßstellung durch seinen eigenen Verband die Konsequenzen zieht und zurücktritt, hätte sich das unliebsame Thema vermeintlich von selbst gelöst.
Sollte wirklich so viel Kalkül dahinterstecken, wird das aber nicht aufgehen, dafür ist es zu spät. Alles, was Bierhoff und Grindel auf den Tisch bringen, ist legitim. Hätte man Özil zu Hause lassen müssen, weil er durch sein Schweigen Unruhe ins Team zu bringen drohte? Womöglich. Hätte man Özil frühzeitig ein Ultimatum stellen müssen, sich zu äußern? Ja, auf jeden Fall.
Aber das hätte direkt nach Veröffentlichung der Bilder passieren müssen, die sind immerhin schon fast zwei Monate in der Welt. Vor sechs Wochen hat der Verband Özil noch gestattet, Medientermine bei der WM abzublasen, um sich keine unangenehmen Fragen anhören zu müssen. An diesem Punkt hat das Krisenmanagement versagt.
Jetzt, wo das Thema Özil längst von Rechtsauslegern im ganzen Land zur Stimmungsmache gegen Migranten und Familien mit Migrationshintergrund genutzt wird, wäre der Zeitpunkt, sich mit breitem Kreuz hinter den Spieler zu stellen, um ihn gegen alle nationalistischen Anfeindungen zu verteidigen.
Irgendwie ist dem DFB aber der Kompass abhanden gekommen, um bei bei politisch heiklen Themen Haltung zu zeigen. Ende vergangener Woche posierte DFB-Ehrenspielführer Lothar Matthäus mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Der ist im Unterdrücken der Pressefreiheit und bei der Drangsalierung Oppositioneller mindestens so versiert wie Erdogan. Zum Auftritt von Matthäus gibt es von der DFB-Spitze aber nichts zu hören.
Stattdessen macht die mit ihren wiederholten Wortmeldungen zu Özil ganz neue Fronten auf. Es wird sehr interessant sein zu beobachten, wie Bundestrainer Joachim Löw reagiert, sollte Lieblingsschüler Özil wirklich zurücktreten.
In der Mannschaft könnten sich zudem Gräben auftun zwischen denen, die sich von Özil mehr Problembewusstsein gewünscht hätten. Und denen, die auf seiner Seite stehen. Auch weil sie die Zwänge und Anfeindungen kennen, denen man als Nationalspieler ausgesetzt ist, wenn man anders aussieht, als es Teile der Bevölkerung gerne hätten.
Sollte es zu dieser Spaltung kommen, hätten Grindel und Bierhoff mehr kaputt gemacht als das Team mit seinen Leistungen in Russland. Und dann bliebe auch ihnen nur noch der vorzeitige Abgang.