Jupp Heynckes war fein raus, wenn man so will.
Flicks Fluch der guten Tat
Als er 2013 mit dem FC Bayern München das Triple holte, war längst beschlossen, dass er danach Platz machen sollte für Welttrainer Pep Guardiola, der damals auf dem Markt war und den sich seine Bosse nicht entgehen lassen wollten.
Der größte Erfolg seiner Trainerkarriere war für Heynckes auch der krönende Abschluss dieser Amtszeit, er musste sich danach nicht herumschlagen mit der Frage, mit der Hansi Flick sich nun herumschlagen muss. Einer großen Frage, die so einfach klingt und zugleich so schwierig zu beantworten ist: Und nun?
Wie macht ein Trainer weiter, der mit seiner Mannschaft das höchstmögliche Ziel schon erreicht hat, in Flicks Fall noch dazu gleich in seiner ersten Saison? Wie findet er aus dem Olymp von Lissabon zurück in den Alltag? Wie schafft er es, den Hunger nach mehr zu wecken? Wie begegnet er dem Fluch der guten Tat, den hochgeschraubten Ansprüchen, der Last, dass jede kommende Spielzeit nur weniger erfolgreich werden kann als diese?
Guardiola und Ferguson wiederholten Coup
Guardiola weiß am besten, wie schwer diese Last wiegt, er hatte sie schon zweimal zu tragen: nach dem eigenen Triple mit Barca 2009, als Heynckes' Erbe bei Bayern 2013.
Seine Bayern-Jahre blieben bekanntlich mit dem Makel behaftet, dass er diesen Erfolg nicht wiederholen konnte. Andererseits wurde Guardiola 2011 auch zum einzigen Trainer in der jüngeren europäischen Fußballgeschichte, der sein Team kurz nach dem Triple noch einmal zum Champions-League-Sieg coachte.
Der ewige Sir Alex Ferguson holte nach dem Triple 1999 zwar auch noch mal den Henkelpott mit Manchester United, aber erst neun Jahre später. Mit einer Ausnahme schafften es alle Anderen entweder nicht mehr auf den Gipfel (Jock Stein mit Celtic 1967, Guus Hiddink mit Eindhoven 1987, Luis Enrique mit Barca 2015) oder zogen auf dem Höhepunkt weiter (José Mourinho mit Inter 2010).
Der einzige Triple-Trainer überhaupt, der den damaligen Europapokal der Landesmeister verteidigen konnte, war Rumäne Stefan Kovacs mit Ajax Amsterdam und dem unerreichten Johan Cruyff 1973.
Flick hat ein Team mit noch mehr Potenzial
Dass Flick sich so früh in diese Ahnengalerie einreiht, ist bemerkenswert. Und es gibt auch durchaus Faktoren, die dafür sprechen, dass er sein Vermächtnis ausbaut.
Anders als die Generation Kahn / Effenberg / Elber 2001 und die Generation Lahm / Schweinsteiger 2013 ist das aktuelle Siegerteam weniger von Spielern am Zenit geprägt. Leistungsträger wie Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Serge Gnabry und Alphonso Davies haben noch viel vor sich und werden die Lust auf weitere Großtaten kaum verlieren.
"So früh einen so großen Titel zu gewinnen, kann nur eine gute Erfahrung für die Spieler sein", betonte auch Bundestrainer Joachim Löw in der DFB-PK am Dienstag: "Es gibt Selbstwertgefühl und die Motivation, weitere Titel zu gewinnen, wird bei so jungen Spielern nicht nachlassen. Und solche großen Spiele hinter sich und gewonnen zu haben, gibt einen Impuls für kommende Aufgaben."
Große Bayern-Ära?
Die Mitglieder der aktuellen Bayern-Generation hat in den kommenden Jahren die Chance, ihre Vorbilder zu übertrumpfen und zu den noch größeren Klubikonen aufzuschließen: zu Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Gerd Müller und Co., die zwischen 1974 und 1976 dreimal den Landesmeister-Pokal gewonnen und auch international eine Epoche prägten – so wie Seriensieger Real Madrid mit Zinédine Zidane im vergangenen Jahrzehnt.
Die Aussicht, mit Bayern Ähnliches zu vollbringen, kann Sogkraft entwickeln. Und ein Neuzugang wie Leroy Sané oder ein Pechvogel wie Niklas Süle werden ohnehin keine Extra-Motivation brauchen, einer potenziellen Bayern-Ära ihren eigenen Stempel aufzudrücken.
Risiken: Umbruch, Konstellationen, Druck
Flick wird sich über die sich bietenden Chancen genauso im Klaren sein wie über die Herausforderungen, die damit verbunden sind: Noch immer sind im Sommer zahlreiche offene Personal- und Transfer-Fragen zu klären, der wohl abwandernde Finalheld Thiago zu ersetzen, Baustellen wie der fehlende Backup für Stürmer Robert Lewandowski zu schließen.
Der Umbruch im Kader muss vorangetrieben, heikle Konstellationen wie das Torwart-Duell zwischen Manuel Neuer und dem ambitionierten Neuzugang Alex Nübel moderiert werden. Die älteren Stars sind bei Laune zu halten, ebenso junge Talente wie Joshua Zirkzee oder Michael Cuisance, die in Lissabon keine Rolle spielten.
Wenn Flick all das gelingt, winkt auch ihm ein noch prominenterer Platz in der Vereinschronik. Mit einem zweiten Champions-League-Triumph würde er Heynckes, Ottmar Hitzfeld und Udo Lattek übertreffen und mit Dettmar Cramer gleichziehen.
Einen dritten hat noch keiner geschafft.