Jürgen Klopp, Ronaldinho, Patrick Vieira, Cesc Fàbregas: Raphael Domenach hat sie alle für ausführliche Interviews vor der Kamera gehabt - und das sind nur die größten Namen der vergangenen drei Monate.
Das ist Mbappés Problem mit Tuchel
Der Reporter des französischen TV-Senders Canal+ ist ein absoluter Fachmann, was vor allem den französischen Fußball angeht.
Seit Saisonbeginn waren allein von Paris Saint-Germain Thomas Tuchel, Keylor Navas, Abdou Diallo und Idrissa Gueye bei ihm zu Gast, Stürmerstar Mauro Icardi gab im "Canal Football Club" das erste große Interview nach seinem Wechsel zu PSG.
Domenach ist also ein guter Ansprechpartner, um vor dem Duell mit Borussia Dortmund (Champions League: BVB - PSG, Di. ab 21 Uhr im LIVETICKER) die Lage beim französischen Hauptstadtklub einzuschätzen.
Im SPORT1-Interview spricht er über die Probleme zwischen Thomas Tuchel und Kylian Mbappé, die Situation der deutschen Legionäre Julian Draxler und Thilo Kehrer, und erklärt, warum bei PSG vor dem Duell mit dem BVB die Angst umgeht.
SPORT1: Monsieur Domenach, der ehemalige PSG-Coach Luis Fernández hat Thomas Tuchel kürzlich als den schlechtesten PSG-Trainer seit dem Einstieg Katars bezeichnet. Wie steht es derzeit um Tuchel in Paris?
Raphael Domenach: Tuchel steht wie auch seine Spieler in diesem Champions-League-Achtelfinale unter einem enormen Druck, weil es langsam als eine Art Trauma wahrgenommen wird. Ich glaube, dass Tuchel und PSG viel mehr unter Druck sind als Dortmund und Favre, die als Außenseiter nicht so viel zu verlieren haben. Nicht nur, dass PSG Favorit ist, es gibt eben auch dieses Trauma aus den Vorjahren: die Aufholjagd von Barcelona 2017, das Duell mit Manchester United im Vorjahr. Deshalb ist die Erwartungshaltung rund um den Verein riesig - und der Trainer am Ende oft derjenige, der zur Verantwortung gezogen wird.
"Mbappé gefällt die Sonderbehandlung nicht"
SPORT1: Ist der Druck Tuchels einziges Problem?
Domenach: Entscheidend ist auch, dass Tuchel nicht vom jetzigen Sportdirektor Leonardo verpflichtet wurde, von dem man weiß, dass er in seinem Verein gerne das Sagen hat. Deshalb steckt Tuchel sicherlich in einer heiklen Lage. Aber PSG hat trotz allem gute Chancen, weiterzukommen - und man darf zum Beispiel auch nicht vergessen, dass es seit 1995 kein Trainer mehr geschafft hat, PSG auch nur ins Halbfinale der Champions League zu führen.
SPORT1: Es gab zuletzt mehrfach nach Auswechslungen Bilder eines unzufriedenen Kylian Mbappé. Ist das Verhältnis zwischen ihm und Tuchel wirklich so schlecht, wie es des Öfteren berichtet wird?
Domenach: Sicher ist, dass Mbappé die Sonderbehandlung wegen seines Alters nicht gefällt. Er hat das Gefühl, dass mit ihm anders umgegangen wird als mit Neymar oder den anderen ganz großen Namen des Weltfußballs. Er findet, dass Tuchel ihn manchmal immer noch wie einen Jugendspieler behandelt. Das Umfeld von Mbappé hat zuletzt beklagt, dass er zu oft ausgewechselt worden sei - und dass weder Tuchel ähnliches mit Neymar mache, noch dass so etwas anderen Weltstars passiere. Ich glaube, dass Tuchel Mbappé ein Stück weit schützen möchte - der will aber gar nicht in Schutz genommen werden.
SPORT1: In Thilo Kehrer und Julian Draxler gibt es auch zwei deutsche Spieler in Reihen von PSG. Wie ist der Ruf der beiden in Frankreich?
Domenach: Kehrer ist ein Krieger! Er hat sich leider kurz nach Saisonbeginn schwer verletzt, aber er spielt meistens gut und vor allem sehr solide. Er wird hier absolut respektiert, die Stammspieler in der Innenverteidigung sind jedoch Marquinhos und Thiago Silva, danach kommt erst einmal noch Presnel Kimpembe. Ich persönlich finde aber, dass Kehrer ein exzellenter Spieler ist, ein Teamplayer mit einer sehr guten Mentalität.
SPORT1: Und Draxler?
Domenach: Draxler hat riesiges Talent, großartiges Passspiel, eine tolle Übersicht - aber viele PSG-Fans sind der Meinung, dass er im Verhältnis zu seinen Fähigkeiten zu wenig liefert. Die Fans empfinden ihn als etwas zu leichtsinnig und nicht effizient genug. Er hat große Qualität, aber das sieht man eben nicht immer. Die Fans erwarten eigentlich mehr von ihm.
"Dortmund ist so etwas wie das deutsche Liverpool"
SPORT1: Jetzt steht das Achtelfinal-Hinspiel in Dortmund an. Wie wird der BVB in Frankreich wahrgenommen?
Domenach: Mit viel Respekt! Dortmund ist so etwas wie das deutsche Liverpool. Es ist ein Verein, der für viel Leidenschaft steht, die Gelbe Wand ist auch in Frankreich legendär. Für viele steht der BVB noch für den "echten Fußball", gerade im Gegensatz zu PSG - auch wenn vieles davon natürlich Klischees sind. Aber man könnte sagen, dass Paris ein junger Verein mit viel Geld und großen Stars ist, während Dortmund eher ein populärer Klub ist. Trotzdem hat der BVB beispielsweise Jadon Sancho von Manchester City losgeeist und gibt auch Geld für bekannte Spieler aus. Der Respekt vor der Borussia ist auf jeden Fall groß in Frankreich: Sie haben vor gut 20 Jahren die Champions League gewonnen und zählen auch für die Menschen hier seit 25, 30 Jahren zu den größten Klubs Europas.
SPORT1: Und wer ist der Favorit auf den Einzug ins Viertelfinale?
Domenach: Bei allem Respekt sind sich die Menschen in Frankreich dann doch einig, dass PSG der Favorit in diesem Duell ist. Ja, der BVB ist ein großer Verein - aber PSG mit seinen ganzen Investitionen und vielleicht zwei der fünf besten Spieler der Welt in seinen Reihen sollte sich dann doch durchsetzen.
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SPORT1: Beide Mannschaften sind vor allem sehr offensivstark, die Abwehrreihen wirkten dagegen zuletzt nicht immer ganz sattelfest. Dürfen sich die Fans auf ein großes Spektakel freuen?
Domenach: Ich hoffe es sehr! Bei PSG muss man aber berücksichtigen, dass sie in den letzten Wochen sehr viele Ausfälle hatten, als sie wie in Amiens das eine oder andere Gegentor zu viel kassiert haben. Auf dem Papier hat Paris in meinen Augen eine sehr gute Abwehr, sie haben es in letzter Zeit auch wegen der Verletzungen aber nicht so auf den Platz gebracht. Insgesamt ähneln sich die beiden Mannschaften vom Spielstil her natürlich: das Bestreben, viel Ballbesitz zu haben; das schnelle Umschaltspiel nach Ballgewinn; das schnelle Gegenpressing nach eigenem Ballverlust. Es verspricht eigentlich, ein großes Spektakel zu werden - aber bei K.o.-Spielen muss man da natürlich immer etwas vorsichtiger sein.
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SPORT1: Sollte Paris schon wieder früh aus der Champions League ausscheiden - käme dann sogar das ganze Projekt PSG ins Wanken?
Domenach: Ja, dann wäre das Projekt in Gefahr. Man kann nie genau vorhersagen, wie die Reaktion in Katar ausfallen würde. Im Verein gibt es definitiv Menschen, die wirklich Angst haben, dass das Projekt vor dem Aus stehen könnte. Der Druck vor diesen Spielen gegen Dortmund ist in jedem Fall gewaltig!