Beinahe hätte Manuel Neuer einem ohnehin schon skurrilen Abend im Emirates Stadium noch die Krone aufgesetzt.
Zentimeter zwischen Genie und Wahnsinn
In der vierten Minute der Nachspielzeit des Champions-League-Spiels beim FC Arsenal kratzte der Keeper des FC Bayern einen Schuss des freistehenden Mesut Özil sensationell aus seinem Kasten.
Es war eine Parade, die an eine Glanztat in der ersten Hälfte erinnerte, als Neuer einen Kopfball von Theo Walcott aus fünf Metern mit einem irren Reflex Zentimeter vor der Torlinie entschärft hatte.
"Den hält keiner außer Manuel"
"Den hält auf der Welt glaube ich keiner außer Manuel", sagte Münchens Kapitän Philipp Lahm bei Sky über jene Szene. In den sozialen Netzwerken hatten sich binnen Sekunden nicht nur Fans, sondern auch Kollegen und Kontrahenten Neuers mit Lobeshymnen und Superlativen überschlagen.
Englands Fußball- und Twitter-Ikone Gary Lineker ließ sich scherzhaft dazu hinreißen, "diesem jungen Keeper" eine große Zukunft in Aussicht zu stellen.
In jener 94. Minute jedoch feierte niemand mehr Neuer. Was nicht nur daran lag, dass er den Ball erst wenige Zentimeter hinter der Torlinie erwischte und das 0:2 aus Sicht des FC Bayern nicht mehr verhindern konnte. (Ergebnisse und Spielplan der Gruppe F)
Neuer: "Habe den großen Fehler gemacht"
Vor allem lag es daran, dass Neuer knapp 20 Minuten vorher zwar nur um Zentimeter, aber doch ziemlich übel an einer Flanke vorbeigesegelt war und damit die erste Münchner Niederlage nach zwölf Pflichtspielsiegen in Folge maßgeblich mitverschuldet hatte.
"Ich habe durch meinen Fehler die Niederlage eingeleitet", räumte Neuer auf SPORT1-Nachfrage ein, wenngleich er festhielt: "Wir hatten im Spielverlauf genug Chancen. Wenn wir das 1:0 machen, gehen wir hier nicht als Verlierer vom Platz."
Kurioserweise war er der Einzige, der mit sich so hart ins Gericht ging.
"Man kriegt auch mal Gegentore, das gehört zum Fußball dazu", sagte Lahm lediglich. Thomas Müller meinte am SPORT1-Mikrofon: "Ich mache ihm da keinen Vorwurf. Solche Situationen sind nie ganz leicht." Und Trainer Pep Guardiola hielt sogar ganz deutlich fest: "Wir haben nicht wegen Manuel verloren."
Mertesacker nimmt Neuer in Schutz
Selbst Gegenspieler Per Mertesacker nahm seinen Weltmeisterkollegen in Schutz: "Ich glaube, er sieht den Ball gar nicht. Dann ins Dunkle zu springen, ist immer schwierig." So lobenswert die schützenden Worte Richtung Neuer aber auch waren, so wenig konnten sie an seiner Verantwortung für die Münchner Niederlage rütteln.
"Der Manuel darf da gar nicht rauskommen, da sind noch genug Spieler dabei. Das war ein Riesen-Torwartfehler, gar keine Frage", kritisierte SPORT1-Experte Peter Neururer im Bitburger Fantalk.
Und doch waren auch die Pro-Neuer-Stimmen vollkommen gerechtfertigt.
Lewandowski und Costa zu fahrlässig
Während die Offensive um Tormaschine Robert Lewandowski und Startelf-Rückkehrer Douglas Costa eine ungewohnte Fahrlässigkeit in der Chancenverwertung an den Tag legte, bewahrte Neuer sein Team mehrfach vor einem Rückstand.
Schon in der Anfangsphase hatte er eine Großchance von Özil zunichte gemacht, spätestens nach der Wahnsinnsparade gegen Walcott schien er unbezwingbar zu sein. Erinnerungen an das WM-Achtellfinale gegen Algerien wurden wach.
Schmaler Grat zwischen Heldentat und Platzverweis
Nicht nur damals wandelte Neuer mehrfach auf einem schmalen Grat zwischen Heldentat und Platzverweis. Mehr als jeder andere Torhüter bringt sich der 29-Jährige durch seine offensive Spielweise in Extremsituationen.
Man könnte es als Künstlerpech bezeichnen, dass ihm sein entscheidender Fehler in London bei einer banalen Flanke in den Strafraum unterlief.