"Ich habe noch nie einen Spieler, den ich haben wollte, so gejagt wie Hrubesch. Manchmal bin ich in der Nacht aufgewacht und habe 'Hrubesch' geschrien."
Warum Netzer nach Hrubesch schrie
Günter Netzer kann sich noch heute ganz genau an die nervenaufreibenden Stunden, Tage und Wochen des Sommers 1978 erinnern. Es war eine irre, wilde Zeit. Aber Netzer weiß auch noch, dass am Ende alles gut wurde. Und wie gut!
Wie hart, steinig und kurvig der Weg zum etablierten Bundesligaprofi und Nationalspieler sein kann, weiß kaum einer so gut wie Horst Hrubesch, der am Samstag seinen 70. Geburtstag feiert. Erst mit 24 Jahren spielte der gelernte Dachdecker für Rot-Weiss Essen in der Bundesliga. Und dass es von dort noch weiter hinausging, verdankt er maßgeblich einem Mann: Günter Netzer. Doch die Geschichte der Entstehung dieser heutigen Männerfreundschaft ist kompliziert – und etwas länger.
Damals im Frühsommer 1978 wollte Horst Hrubesch Rot-Weiss Essen verlassen. Ein Jahr nach dem Abstieg seines Klubs in die zweite Liga saß er eines Tages schon im Zug nach München. 1860 hatte großes Interesse bekundet und dem Torjäger eine 1. Klasse-Fahrkarte nach Essen geschickt. Am Bahnhof ermahnte ihn seine Frau noch, dass er nichts voreilig unterschreiben solle.
Hrubesch kehrte auf dem Weg zu 1860 um
Doch soweit sollte es erst gar nicht kommen. Kurz hinter Düsseldorf begann Hrubesch nachzudenken. In Köln stand sein Entschluss dann bereits fest und in Bonn wechselte er den Zug – und fuhr wieder zurück nach Essen. Der Presse dort sagte er den wunderschönen Satz: "Ich bin einer für zu Hause!"
Das brachte Dortmunds Trainer Otto Rehhagel auf den Plan. Der gebürtige Essener verkündete umgehend, dass man den Mann unbedingt im Pott behalten wolle: "Es wäre Landesverrat, wenn wir Westfalen einen Westfalen nach Bayern auswandern lassen würden." Einem Wechsel zum BVB stand nun eigentlich nichts mehr im Wege, wenn da nicht am 29. April das legendäre 12:0 der Gladbacher gegen Dortmund gewesen wäre. Otto "Torhagel" wurde entlassen und Hrubesch musste sich einen neuen Verein suchen. Doch Bewerber gab es mehr als genug.
Einer von ihnen war Günter Netzer. Der ehemalige Meisterspieler von Borussia Mönchengladbach war damals gerade frisch als Manager des Hamburger SV verpflichtet worden. Noch lebte Netzer allerdings nicht in der Hansestadt – sah sich aber bereits nach neuen Spielern für den HSV um.
Netzer entdeckt Hrubesch in der Zeitung
Und dann passierte Folgendes, wie sich Netzer erinnert: "Ich habe ihn aus der Schweiz entdeckt - via Zeitung. 42 Tore hatte er geschossen in der Zweiten Liga. Und da habe ich gesagt: Okay, das ist ein Ausweis, den man ernst nehmen muss. Denn auch in der Zweiten Liga schießt man nicht so einfach 42 Tore.
Ich habe ihn dann auf Umwegen verpflichtet, weil dieser selten große Dummkopf auch noch einen anderen Vertrag unterschrieben hatte, in Frankfurt. Der Trainer der Eintracht war damals Dettmar Cramer und der hatte pastorale Züge. Wenn der mit jemandem gesprochen hat, den hat er überzeugt - und erst Recht meinen gutmütigen Horst.
Hrubesch hat zwar immer zu mir gesagt: 'Machen Sie sich keine Sorgen, ich gehe nicht nach Frankfurt.' Doch da musste ich ihm sagen: 'Mein lieber Horst, wir haben da ein kleines Problem: Sie haben einen Vertrag unterschrieben!'"
Unter Mithilfe des damals bekannten und gefürchteten Spielerberaters Holger Klemme versteckte man Hrubesch schließlich für 14 Tage unter anderem im schönen Westerwald. Und tatsächlich: Es gelang, den Vertrag in Frankfurt zu lösen. Klemme meinte einmal rückblickend über diese Zeit: "Der Günter Netzer hat damals nur noch von Tabletten gelebt!"
Hrubesch erste Leistung war unterirdisch
Und das lag auch daran, dass der neue HSV-Manager Hrubesch bisher ja nur aus der Zeitung kannte. Netzer: "Und dann hatte ich das Vergnügen, ihn das erste Mal live spielen zu sehen, bei einer Partie von Rot-Weiss Essen. Anfangs saß ich aufrecht auf meinem Platz. Zur Halbzeit saß ich schon nur noch zur Hälfte aufrecht, weil die Leistung von Hrubesch unterirdisch war. Zum Schluss wäre ich am liebsten aus Scham unter den Stuhl gekrochen.
Ich habe zu mir selbst gesagt: Netzer, das war deine erste und letzte Verpflichtung als Manager des HSV. Es war grausam mit anzusehen. Und ich hatte 1,5 Millionen ausgegeben, viel Geld in der damaligen Zeit. Aber ich habe nicht in Horst Hrubesch als Fußballspieler investiert - ich habe seinen Charakter gesehen. Er hat die Mannschaft auf dem Platz zur Ordnung gerufen. Dafür bedurfte es keines Trainers. Das hat der Horst erledigt. Und die Weltstars wie Keegan, Kaltz und Magath haben auf ihn gehört."
Dass Hrubesch diese Führungsrolle für sich beanspruchen konnte, liegt unter anderem an einem einfachen Grund: Bis heute ist er nach Gerd Müller der Bundesligaspieler mit der besten Torausbeute pro Spiel. Und diese Bilanz ist es, die Günter Netzer – trotz all der Strapazen damals – heute mit einem zufriedenen Lächeln an diesen wilden Sommer 1978 zurückdenken lässt.
Ben Redelings wurde 1975 im Flutlichtschatten des Bochumer Ruhrstadions geboren und ist Experte für die unterhaltsamen Momente des Fußballs. Das Buch zur SPORT1-Serie ist ein gern gelesener Bestseller: "Best of Bundesliga: Die lustigsten Legenden des deutschen Fußballs". Als SPORT1-Kolumnist schreibt Ben regelmäßig über die "Legenden des Fußballs" und "Best of Bundesliga".