Der 12. März vor neun Jahren war für den deutschen Fußball ein trauriger Tag - und für Timo Konietzka eine Erlösung.
Der Star, der aus dem Leben schied
An einem Montagnachmittag schied damals der langjährige Profi und Schütze des allerersten Bundesligatores mit Hilfe der Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit aus dem Leben und wurde so, wie er selbst in seinen letzten Worten schrieb, "von seinen Qualen" erlöst. Konietzka war unheilbar krank.
Liga-Präsident Reinhard Rauball verneigte sich damals vor einem großen Sportler und Menschen: "Sein besonderer Humor, seine Listigkeit auf dem Platz und seine Gradlinigkeit im Leben machten ihn zu einem liebenswerten Mitglied der Fußball-Familie."
Und tatsächlich: Der als Friedhelm Konietzka am 2. August 1938 in Lünen geborene Sohn einer Bergarbeiterfamilie war ein besonderer Mensch - über den es viele spannende Geschichten zu erzählen gibt.
Aufnahmen vom ersten Bundesliga-Tor der Geschichte gibt es nicht
"Mit den letzten Kohlestücken, die ich rausgeholt habe, wird heute noch geheizt", hat Timo Konietzka einmal schmunzelnd gesagt. Seit seinem 15. Lebensjahr hatte er als junger Mann im Steinkohlebergbau auf der Zeche Viktoria I/II gearbeitet, als ihn 1958 der damalige Trainer des BVB, der österreichische Grantler Max Merkel, für den "Rote Erde"-Rasen verpflichtete.
Der Beginn einer einzigartigen Erfolgsgeschichte, die am Samstag, dem 24. August 1963, einen unsterblichen Höhepunkt erfahren sollte.
Wer es damals nicht rechtzeitig auf seinen Platz im Bremer Weserstadion geschafft hatte, der verpasste das frühe 1:0 für die Borussia aus Dortmund gegen den heimischen SV Werder. Für die deutsche Sporthistorie wird der unvergessliche Treffer von Konietzka immer ein Trauma bleiben, weil tatsächlich kein einziges Foto oder Bewegtbild von diesem bedeutsamen Moment existiert.
Und noch etwas anderes ist an diesem ersten Tor der Bundesligageschichte besonders, wie Konietzka einmal erzählte. Denn beinahe wäre der ewige Ruhm an ihm vorbeigegangen: "In Bremen wollte ich anfangs gar nicht spielen. Ich hatte so eine verdammte Oberschenkelgeschichte - sie hatte mich die Teilnahme am Pokalfinale gekostet - und ich musste das Bein nachziehen. Aber meine Kameraden überredeten mich: Du musst spielen! Ich ließ mich breitschlagen. Dann kam die erste Minute. Emma zog am linken Flügel los, flankte, ich war da. Schuss, 1:0!"
Aus Friedhelm wurde Timo Konietzka
Zu diesem Zeitpunkt war aus "Friedhelm" schon länger der "Timo" geworden. Den Spitznamen hatte Konietzka seinem kurzen Bürstenhaarschnitt, der an den sowjetischen General im Zweiten Weltkrieg, Semjon Konstantinowitsch Timoschenko, erinnerte, zu verdanken.
Sein Mitspieler Helmut "Jockel" Bracht hatte ihn wegen der angeblichen Ähnlichkeit zu Timoschenko abgekürzt gleich von Beginn an immer nur "Timo" gerufen. Irgendwann hatten es dann schließlich alle so gemacht. Und noch etwas später wusste schon niemand mehr, dass Timo eigentlich Friedhelm hieß - und so nahm Konietzka den Namen 1985 tatsächlich offiziell an.
In den alten Zeiten, als Konietzka noch der Friedhelm und für die große Fußballöffentlichkeit noch unentdeckt war, kannte die ganze Zechensiedlung in erster Linie seine Mutter. Denn Emma Konietzka kannte kein Erbarmen.
Wenn ein Mitspieler auf dem Bolzplatz einem der drei Konietzka-Brüder zu nahe kam, rannte sie auf das Feld und verprügelte die ungehorsamen Gegner ihrer Söhne mit dem Regenschirm. Dieses Verhalten muss der Bundesligaspieler Konietzka wohl irgendwie adaptiert oder gleich in den Genen gehabt haben.
Denn als Stürmer des TSV 1860 München war Timo Konietzka wahrlich kein Kind von Traurigkeit. Das zeigte sich gleich in der ersten Minute der neuen Saison 1965/66, als es zu einem echten Paukenschlag kam.
Konietzka tritt Schiedsrichter gegen Schienbein
Beim Derby der frisch aufgestiegenen Münchner Bayern gegen 1860 schoss Konietzka damals den Neu-Bayern-Profi Pitter Danzberg aus kurzer Distanz k.o. Und während der Münchner noch am Boden lag, spielte Konietzka Drescher elegant aus, zog an Beckenbauer vorbei und traf unhaltbar für Sepp Maier ins Tor. Nicht ganz fair, aber erfolgreich.
Anders verlief die Geschichte ein Jahr später, am 8. Oktober 1966. Konietzkas Sechzger traten damals zu Hause gegen seine ehemalige Borussia aus Dortmund an. Eine verhängnisvolle Partie für den TSV-Stürmer, die ebenfalls in die Historie des deutschen Fußballs einging. Denn erst im Frühsommer 2012 wurde der damals aufgestellte Rekord Konietzkas von einem gewissen Lewan Kobiaschwili überboten.
Doch zurück ins Jahr 1966. Damals war Konietzka mit einer Entscheidung des Schiedsrichters Max Spindler ganz und gar nicht einverstanden - und stieß den Schiri deshalb zuerst vor die Brust, riss ihm dann die Pfeife aus dem Mund, trampelte auf dieser rum und trat anschließend Spindler - immer noch außer sich vor Wut - auch noch vors Schienbein.
Später sagte Konietzka - immer noch wenig einsichtig und rasend vor Erregung - er habe den Mann in Schwarz doch nur ein "klein bisschen" mit seinen Stollenschuhen getreten. Wie dem auch sei: Konietzka erhielt die bis ins Jahr 2012 längste Strafe eines Bundesligaprofis.
Konietzka wird sechs Monate gesperrt
Sechs Monate musste der Angreifer aussetzen. Der DFB kannte keine Gnade. Erst nachdem der Herthaner Kobiaschwili nach dem Relegationsspiel der Berliner gegen Fortuna Düsseldorf den Unparteiischen im Spielertunnel mit einem Faustschlag an den Hinterkopf traktiert hatte, war Konietzkas Rekord Geschichte. Kobiaschwili erhielt eine Sperre von siebeneinhalb Monaten.
Am heutigen 12. März werden wieder viele Fußballfreunde an den besonderen Menschen und großen Spieler der Bundesligageschichte, Timo Konietzka, zurückdenken. In seinen letzten Worten schrieb Konietzka im Jahr 2012: "Macht alle das Beste aus Eurem Leben! Meines war lang und doch so kurz."
Ben Redelings wurde 1975 im Flutlichtschatten des Bochumer Ruhrstadions geboren und ist Experte für die unterhaltsamen Momente des Fußballs. Sein aktueller Bestseller "Das neue Buch der Fußballsprüche" verkauft sich sprichwörtlich wie das gut gekühlte Stadionbier. Als SPORT1-Kolumnist schreibt Ben regelmäßig über die "Legenden des Fußballs" und "Best of Bundesliga".