Jonathan Tah feiert am Donnerstag seinen 25. Geburtstag - erst oder schon?
Tah: Havertz wird alle überzeugen
Der Abwehr-Star ist schon lange im Geschäft, hat 165 Bundesliga-Einsätze für Bayer Leverkusen und den Hamburger SV und ist seit 2016 Nationalspieler.
Im großen SPORT1-Interview spricht der 1,95-Meter-Mann über seine Karriere, den van-Dijk-Vergleich seines Trainers Peter Bosz, die Mega-Talente Kai Havertz und Florian Wirtz sowie die Nationalmannschaft.
SPORT1: Sie sind eine gefühlte Ewigkeit schon im Geschäft, werden am Donnerstag aber erst 25 Jahre alt. Wie sehen Sie es selbst: Erst 25 oder schon 25?
Tah: (überlegt) Auf das Leben gesehen werde ich erst 25. Wenn ich aber nur auf den Fußball schauen, dann sicherlich schon 25. Ich habe schon mit 16 in Hamburg das erste Mal bei den Profis trainiert, habe mit 17 mein Bundesliga-Debüt gegeben und bin nun schon bei über 150 Bundesligaspielen. Das ging schon alles enorm schnell. Aber trotzdem bin ich mit 25 noch jung und habe vieles noch vor mir.
SPORT1: Sie sind Nationalspieler und haben in der Champions League gespielt - seit Ihrem Bundesliga-Debüt mit dem HSV im August 2013 ist viel passiert. Gibt es Momente, in denen Sie das genießen können?
Tah: Fußball ist ein extrem schnelllebiges Geschäft. Man muss sich die Momente bewusst nehmen, um zu reflektieren. Im Urlaub zum Beispiel blende ich alles aus. Ich will dann nichts vom Fußball sehen, lesen oder hören. Ich schalte dann komplett ab und mache alles, was nicht mit Fußball zu tun hat.
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SPORT1: War das immer schon so?
Tah: Ich habe früh gemerkt: Wenn du nicht frisch im Kopf bist, dann hast du im Profifußball ein Problem. Deshalb habe ich schon früh damit angefangen, auch mal bewusst abzuschalten. Jeder hat da seine eigenen Entspannungsmethoden.
Tah: Habe in dieser Saison den nächsten Schritt gemacht
SPORT1: Sie haben in einer Doku mal gesagt, dass Sie gerne 99 Prozent erreichen wollen, "denn 100 wären perfekt und das bekommt man nicht hin". Bei wie viel Prozent liegen Sie aktuell?
Tah: Es ist schwer, eine Prozentzahl zu benennen. Ich finde, dass ich in dieser Saison den nächsten Schritt gemacht habe und auf einem guten Weg bin. Mit 25 bin ich sicher ein anderer Jona als der, der mit 19 nach Leverkusen gekommen ist. Ich gebe Gas und will in Zukunft noch Großes erreichen. Bei 99 Prozent bin ich aber noch lange nicht.
SPORT1: In dieser Saison haben Sie sich nach anfänglichen Startschwierigkeiten stabilisiert und gute Leistungen gezeigt. Vor dem Jahreswechsel haben Sie beim 1:2 gegen die Bayern allerdings folgenschwer gepatzt. Wie gehen Sie mit solchen Rückschlägen um?
Tah: Zunächst würde ich gerne auf die von Ihnen erwähnten "anfänglichen Startschwierigkeiten" kommen. Es ist interessant zu beobachten, wie das von außen gesehen wird. Am Anfang stand ich nicht oft in der Startelf.
SPORT1: In den ersten sieben Spielen kamen sie nur zu zwei Kurzeinsätzen.
Tah: Das ist richtig. Ich habe aber in jedem Spiel, in dem ich eingewechselt wurde, meine Leistung gezeigt. Das schwierige in solchen Phasen ist eher: Wenn du nicht spielst und dann reinkommst, musst du voll da sein. Das ist nicht so einfach. Um auf die Frage nach den Rückschlägen zu kommen: Erfahrungen, und eben auch Fehler wie gegen Bayern, sind wichtig. Der Mensch ist die Summe seiner Erfahrungen. Ich versuche die Situation so nüchtern wie möglich zu betrachten, zu analysieren und daraus gestärkt hervorzugehen.
SPORT1: Haben Sie ein fußballerisches Vorbild?
Tah: Auf meiner Position gibt es viele Spieler, von denen man sich etwas abschauen kann. Virgil van Dijk und Sergio Ramos zählen für mich beispielsweise zu den besten Innenverteidigern der Welt. Sie haben eine gewisse Ausstrahlung, eine große Persönlichkeit und sind Leader auf dem Platz. Das macht sie besonders.
Tah: "In mir steckt viel Potenzial"
SPORT1: Dann wird Ihnen der Vergleich Ihres Trainers mit Virgil van Dijk sicherlich gefallen haben, oder? Für Peter Bosz gibt es "absolute Parallelen" zwischen Ihnen und dem Liverpool-Star.
Tah: Virgil van Dijk war ja nicht von Anfang an auf seinem jetzigen Top-Niveau, er hat sich erst von einem ganz jungen Profi mit viel Potenzial zu einem der besten Abwehrspieler der Welt entwickelt. Dieses Potenzial meinte Peter Bosz wohl. Da sieht er Parallelen zwischen uns. Es freut mich, wenn er das so sieht. Ich nehme das als Kompliment auf, bewerte es aber auch nicht über. Ich will noch viel erreichen, muss aber auch jeden Tag eine Menge dafür tun. So wie es van Dijk tun musste.
SPORT1: Sie spielen seit 2015 unterm Bayer-Kreuz, ihr Vertrag läuft noch bis 2023. Haben Sie einen Karriereplan?
Tah: Mein Ziel ist es, der beste Jonathan Tah zu sein, der ich werden kann - auf den Fußball, aber auch aufs Leben bezogen. In mir steckt viel Potenzial, davon bin ich überzeugt. Ich will mich in jedem Bereich verbessern. Wenn ich irgendwann mal am Ende meiner Karriere bin und merke, dass ich alles gegeben und aus mir rausgeholt habe, dann bin ich glücklich.
SPORT1: Wäre ein Wechsel in die englische Premier League nicht der nächste Schritt für Sie?
Tah: Ich habe immer gesagt, dass mich England sehr reizt. Das ist kein Geheimnis. Die Liga ist interessant, dort spielen viele große Mannschaften und der Spielstil passt zu mir. Wenn ich irgendwann merke, dass mich ein Wechsel weiterbringt und ich in meiner Entwicklung stagniere, dann ist das eine Option. Aber ich bin aktuell sehr zufrieden hier in Leverkusen.
SPORT1: Mit Kai Havertz ist ein langjähriger Teamkollege nach England gewechselt. Wie bewerten Sie seine Leistungen bei Chelsea?
Tah über Havertz: "Kai wird alle Kritiker überzeugen"
Tah: Ich schaue mir die Chelsea-Spiele seitdem regelmäßig an. Es ist super interessant, weil auch Timo Werner oder Antonio Rüdiger dort spielen. Ich weiß, welche Qualitäten Kai hat. Das Spiel dort ist anders als in Deutschland. Es wird in solchen Phasen viel geredet: Er muss das und das leisten, weil er so und so viel gekostet hat. Das ist aber Quatsch. Gebt dem Jungen Zeit, dann wird er seine enormen Qualitäten auch bei Chelsea zeigen. Kai wird alle Kritiker dort drüben überzeugen!
SPORT1: Über den damals 17-jährigen Havertz haben Sie mal gesagt, dass sein Puls vor wichtigen Spielen "halb so hoch wie meiner" ist. Wie sieht das bei Florian Wirtz aus?
Tah: (lacht) Er ist mindestens genauso cool. Es ist phänomenal, wie entspannt er vor den Spielen ist. Das hat nichts damit zu tun, dass er nicht fokussiert ist. Florian hat einfach keine Angst - vor nichts und niemandem! Vielleicht liegt es auch daran, dass er noch total befreit aufspielen kann. Er denkt nicht viel nach und will einfach nur Fußball spielen. Wir alle haben mal angefangen mit diesem Spiel, weil wir es lieben, aus Leidenschaft und Spaß. Er hat diese Leichtigkeit. Es macht Spaß, ihm zuzuschauen.
SPORT1: Helfen Ihm die Spiele in der Corona-Zeit ohne Fans? Der Druck ist schließlich nicht so groß.
Tah: Glauben Sie mir: Wie ich Florian kenne, will er lieber vor voller Hütte spielen. Er hat noch kein Bundesligaspiel vor Fans gemacht. Ich bin mir sicher: Wenn Zuschauer da sind, wird er sogar noch mehr performen.
SPORT1: Mit Bayer läuft es nach starker Hinrunde nicht mehr so gut: Das bittere Aus im DFB-Pokal gegen Essen, nur Platz fünf in der Liga. Wie erklären Sie sich diesen Einbruch?
Tah: Wir müssen in den nächsten Spielen wieder die Punkte einfahren, so wie in der Hinrunde, damit wir unsere Ziele erreichen. Wir haben das letzte Spiel gegen Stuttgart mit 5:2 gewonnen und drei Punkte geholt - daran wollen wir anknüpfen.
SPORT1: Aber Sie werden die Niederlagen im Januar gegen Frankfurt, Wolfsburg, Leipzig und Union doch sicherlich aufgearbeitet haben?
Tah: Das haben wir auch. Wir hatten Probleme damit, das Spiel frühzeitig auf unsere Seite zu ziehen. Wir haben unsere Konter nicht gut ausgespielt, unsere Chancen nicht genutzt und blöde Gegentore bekommen. Gegen Union beispielsweise müssen wir halt auch mal ein 0:0 annehmen und akzeptieren, dass einfach nicht mehr geht. Stattdessen kriegen wir kurz vor Schluss noch ein Gegentor. Aus solchen Niederlagen müssen wir lernen und wachsen.
Tah: "Mein Anspruch ist es, bei der Nationalmannschaft zu spielen"
SPORT1: Im Sommer steht die EM an. Gehen Sie davon aus, dass Sie sicher dabei sind?
Tah: Die Corona-Krise hat uns allen vor Augen geführt, dass nichts im Leben sicher ist. Ich gebe jedenfalls alles, um bei der EM dabei zu sein.
SPORT1: Wie sehen Sie die Konkurrenz in der Innenverteidigung? Jerome Boateng und Mats Hummels sind nicht mehr dabei, Niklas Süle, Toni Rüdiger, Niklas Stark und Robin Koch schwanken zuletzt in Ihren Leistungen oder sind verletzt. Einzig Matthias Ginter zeigt stabile Leistungen.
Tah: Wir haben auf dieser Position sehr gute Spieler, die alle auf Top-Niveau spielen können. Am Ende entscheidet der Bundestrainer, wer spielt. Wir haben enorm viel Qualität. Mein Anspruch ist es aber natürlich, dass ich auch bei der Nationalmannschaft spiele und meinen Teil dazu beitrage, dass wir wieder erfolgreich sind.
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SPORT1: Wie sehen Sie die Debatte um die aussortierten Weltmeister Hummels, Boateng und Thomas Müller?
Tah: Das sind absolut verdiente Spieler. Die Entscheidung wurde vom Bundestrainer getroffen. Das haben alle zu akzeptieren. Mir steht es nicht zu, darüber zu urteilen.
SPORT1: Ist bei der EM mit der deutschen Mannschaft zu rechnen?
Tah: Natürlich! Davon bin ich überzeugt.
Tah schließt HSV-Rückkehr nicht aus
SPORT1: Nicht nur wegen der historischen 0:6-Pleite gegen Spanien stand die DFB-Elf zuletzt in der Kritik. Wie wollen Sie die Fans wieder für sich gewinnen?
Tah: Wir durchleben gerade einen Generationswechsel. Es ist normal, dass man da auch mal durch eine schwierige Phase muss. Wir müssen jetzt schauen, dass wir das, was wirklich in uns steckt, gemeinsam als Team auf den Platz kriegen. Mit dieser Mannschaft, davon bin ich überzeugt, können wir die Herzen der Fans wieder zurückerobern. Das wollen wir alle und darum kämpfen wir.
SPORT1: Zuletzt der Blick in Ihre Heimat: Sie sind in Hamburg-Altona aufgewachsen und haben Ihre ersten 16 Bundesliga-Spiele beim HSV gemacht. Ist eine Rückkehr zum HSV irgendwann möglich?
Tah: Wer weiß. Sag' niemals nie. Hamburg ist meine Heimat und die schönste Stadt der Welt. Ich drücke dem HSV natürlich die Daumen. Seit Jonas Boldt dort ist, verfolge ich das noch intensiver. Ich hoffe, dass der HSV aufsteigt. Dieser Verein und diese Stadt gehören in die 1. Liga.