Wie lange wird das wohl gut gehen? Es war eine der ersten sportlichen Fragen, die ich mir Anfang des Jahres gestellt habe. Gemeint war das Verhältnis zwischen Hansi Flick und Hasan Salihamidzic. Mit dem FC Bayern war ich für SPORT1 zum zweiten Mal im Wintertrainingslager in Doha/Katar.
Das irre Corona-Jahr mit den Bayern
Flick (damals Interims-Trainer) forderte öffentlich zwei Neuzugänge. Salihamidzic (damals Sportdirektor) stand unter Zugzwang und reagierte, ebenfalls öffentlich.
Hinzu kam das Bekanntwerden der Verpflichtung von Alexander Nübel, ein genervter Manuel Neuer, ein ihm zur Seite stehender Flick, und abermals Salihamidzic, der ob des Transfers, den er den Torhütern auf dem Hinflug mitgeteilt hatte, erneut in Erklärungsnot geriet.
Zwischen Flick und Salihamidzic knistert es
Im warmen Doha knisterte es zwischen den beiden, das spürte man deutlich. Auf dem Platz war davon nichts zu merken, denn die Münchner schwitzten und ackerten an der Aspire Academy. Die Stimmung war gut. Der Kader war klein und verletzungsanfällig. Die achte Meisterschaft in Folge war fest eingeplant, das Double wurde gewünscht, der Champions-League-Titel war der große, unausgesprochene Traum.
Der Triumph in der Königsklasse, er begleitete den FC Bayern in dieser Saison von Tag eins an. Mit den Münchnern war ich im Sommer 2019 auf der USA-Reise: Los Angeles, Houston, Kansas. In vielen Gesprächen mit Spielern und Offiziellen war dort bereits deutlich zu merken, dass das frühe Achtelfinal-Aus in der Vorsaison gegen den FC Liverpool an allen Beteiligten genagt hatte und jedermann auf Besserung aus war.
Ich war mir sicher und habe das nicht nur einigen Kollegen gesagt: Diese Saison traue ich dem FC Bayern den Champions-League-Titel zu. Man hat es einfach gespürt.
Nichts zu spüren war Anfang Januar von der bevorstehenden Corona-Krise. 4:0, 5:0, 3:1, 4:3, 0:0, 4:1, 3:2 - der Rausch unter Flick hielt an. Die Mannschaft spielte im 4-2-3-1-System wieder begeisternden Fußball, Flick fand eine gute Balance zwischen Defensive und Offensive. An der Säbener Straße wurde wieder gelacht. (Ergebnisse & Spielplan der Bundesliga)
Am 25. Februar fegten die Bayern den FC Chelsea in London mit 3:0 vom Platz. Wie immer war ich für SPORT1 vor Ort. Dass es meine letzte Auslandsreise bis zum Endrunden-Turnier in Lissabon sein würde? Vorstellbar war das zu diesem Zeitpunkt nicht.
Flick bekam in London obendrein einen Kugelschreiber von Karl-Heinz Rummenigge geschenkt. Sein Cheftrainer-Vertrag deutete sich an. Aus Reporter-Sicht freute man sich darüber, denn Flick ist im Umgang mit Medienvertretern hochprofessionell und respektvoll.
Hoeneß faltet mich am Abflug-Gate zusammen
Warum ich diese Reise nie vergessen werde, hat auch mit Uli Hoeneß zu tun. Vor dem Abflug nach London kritisierte er mich vor einem Dutzend auf Autogramme wartender Fans dafür, dass ich zuvor im CHECK24 Doppelpass bei SPORT1 hatte verlauten lassen, dass Kai Havertz nicht zum FC Bayern wechseln werde, da die Ablöseforderungen zu hoch seien.
Hoeneß, der erstmals als Ex-Präsident mitreiste, faltete mich am Abflug-Gate für meinen am Mikro gewählten und im Nachhinein betrachtet unpassenden Ich-weiß-Modus zusammen. Nach dem Chelsea-Sieg war unser Scharmützel auf dem Bayern-Bankett vergessen, wir unterhielten uns kurz und verabschiedeten uns freundlich voneinander. Havertz wechselte Monate später bekanntlich zum FC Chelsea und nicht nach München.
In London war zwar nichts vom bevorstehenden ersten Lockdown zu spüren, dass den Bayern ein heißer Transfer-Sommer blühen würde, war aber zu merken. Havertz, Timo Werner, Leroy Sané - täglich fielen etliche Namen, die es galt, richtig einzuordnen.
Davon unbeirrt, gewannen die Bayern unter Flick einfach weiter. 6:0 in Hoffenheim und der Fast-Spielabbruch aufgrund der Plakate gegen Mäzen Dietmar Hopp. Im Nachhinein betrachtet wirkt dieses Spiel wie aus einem anderen Leben: Ausverkauftes Stadion, Stimmung, Pyro, Aufregung, Stress in den Katakomben. Ich vermisse diese Welt!
Nach zwei weiteren Siegen kam der erste Lockdown. Niemand wusste, wann es weitergeht. Beruflich waren die Wochen zwischen dem 8. März und dem Bayern-Re-Start am 17. Mai die bislang schwierigsten meiner Laufbahn.
Die Mannschaften igelten sich ein, öffentlich sprach kaum jemand. Dennoch musste ich Artikel abliefern und die Leser mit Informationen versorgen. Der Exklusivitäts- und News-Druck war unverändert hoch. Jedoch mit dem Unterschied, dass der Ball nicht mehr rollte.
Flick bleibt während des Lockdowns locker
Spätestens ab meinem ersten Geisterspiel vor Ort, die Bayern gewannen am 26. Spieltag 2:0 bei Union Berlin, war mir klar, wie herausfordernd die kommenden Monate werden würden: Spiele ohne Stimmung, arbeiten mit Maske, digitale Pressekonferenzen, kein Zugang zu den Spielern, kaum Kontakt zu Kollegen. (Tabelle der Bundesliga)
Dafür ergaben sich Geschichten, weil man die Spieler-Kommandos auf dem Platz hören konnte. Aufgrund der fehlenden Atmosphäre waren meine Sinne als Reporter noch geschärfter, weil es keine Ablenkung mehr von den Rängen gibt. In der Folge entdeckt man Geschichten, die man mit 70.000 Zuschauern vielleicht nicht bemerkt hätte.
Flick blieb in dieser Zeit locker. Seine Spieler verschafften sich in der ersten Corona-Pause per Cyber-Training im Home-Office die zweite Luft für einen geschichtsträchtigen Saisonendspurt.
Elf Siege am Stück fuhr die Flick-Elf nach dem Re-Start ein. Seit langer Zeit wirkten die Münchner wieder unbesiegbar. Die Bayern wurden Meister und Pokalsieger und schienen mehr denn je für die Königsklasse in Lissabon bereit zu sein. Für SPORT1 war ich von Tag eins an in der portugiesischen Hauptstadt. 4:1 gegen Chelsea, die Bayern im Achtelfinale.
Coman schießt den FC Bayern zum Triple
Nie werde ich vergessen, welche Stimmung das 8:2 gegen Barcelona erzeugt hat. Spanische Reporter-Kollegen schüttelten fassungslos mit dem Kopf. Den deutschen Reportern fiel sprichwörtlich die Kinnlade runter. Und die Flick-Bayern? Sie kommentierten diesen Gala-Abend nüchtern, fast emotionslos. Denn am Ziel waren sie noch lange nicht.
Ausgerechnet Kingsley Coman, der bis dato fast schon abgeschrieben war, weil Leroy Sané in den Startlöchern stand, köpfte die Bayern zum Triple. Warum auch immer, aber mein erster Blick nach Abpfiff galt Robert Lewandowski, der sofort weinte. Mein zweiter Thomas Müller, der mit beiden Fäusten vor Freude auf den Boden schlug.
Die folgenden Feier-Szenen wirkten ehrlicher denn je, die Reaktion der Bayern war echte Freude und Erleichterung. Die Jubelarien in Lissabon waren kein Vergleich zu den kühl wirkenden Minuten, nachdem sie zum Deutschen Meister in Wolfsburg gekürt und Pokalsieger in Berlin wurden.
Als sich Flick zu Alaba, Kimmich und Gnabry gesellt
Weit nach Abpfiff im Champions-League-Finale gegen Paris erlebte ich am 23. August meine persönliche Szene der Saison: Das Flutlicht im Estádio da Luz ging aus. Flick gesellte sich am Mittelkreis zu David Alaba, Joshua Kimmich und Serge Gnabry. Sie hockten sich hin und redeten miteinander.
Es war eine magische Szene, die unter eine lange und intensive Saison einen Schlussstrich zog. Nach dem Finale und den letzten ins Büro geschickten Artikeln gönnte ich mir zusammen mit einem Kollegen ein kaltes, portugiesisches Bier. Uns wurde an jenem Abend erstmals richtig klar, dass wir Teil eines einzigartigen Fußball-Moments waren. Danach folgten für mich erstmals ein paar Tage Urlaub.
Corona verändert alles
Mein Job hat sich durch die Corona-Krise schlagartig geändert. Mit Flick kommuniziere ich im Stadion ausschließlich digital, Spielerinterviews führen wir Reporter der schreibenden Zunft nach Abpfiff nicht mehr. Mein Austausch mit Informanten erfolgt zumeist nur noch per Telefon. Im Stadion herrscht zwischen den ausgewählten Reportern großer Abstand.
Der Mund-Nasen-Schutz ist überall Pflicht. Die Attraktivität von Geisterspielen variiert von Stadion zu Stadion. In der Allianz Arena hört man viel, in der Stuttgarter Mercedes-Benz Arena wenig. Insgesamt bereitet die Anreise zu Spielen nur noch wenig Bauchkribbeln. Kein Fan kreuzt kurz vor den Stadion-Toren meinen Weg, niemand pöbelt oder bleibt interessiert stehen, wenn ich mit meinem SPORT1-Mikro schalte.
Ich höre keine Gesänge mehr, bevor ich ins Stadion gehe. Stattdessen dudeln in deutschen Stadien Einschlaf-Hits aus den 60ern, 70ern und 80ern bis hin zur Melodie von Winnetou, wie neulich in der Allianz Arena.
Auf Auslandsreisen haben wir zuletzt bei SPORT1 aus Sicherheitsgründen ebenfalls verzichtet. Nach den Spielen leben wir Reporter zumeist von Spieler-Stimmen an fremden Mikros der übertragenden Sender. Direkten Digital-Kontakt gibt es als schreibender Reporter nach Abpfiff nur in Video-Konferenzen mit dem Trainer, dem wir zumeist per Zoom ein bis zwei Fragen stellen können. Der Ablauf klappt mittlerweile reibungslos.
Doch ich merke auch: Die digitalen Pressekonferenzen werden inhaltlich zunehmend dünner. Aufgrund des engen Terminplans muss Flick bis zu sechs Pressekonferenzen pro Woche abhalten. Umso wohltuender war zuletzt mein Interview mit Bayern-Präsident Herbert Hainer an der Säbener Straße, wenngleich dieses mit Abstand und unter Einhaltung sämtlicher Hygiene-Vorschriften durchgeführt wurde.
Der FC Bayern ist zusammengewachsen
Trotz Corona war beim Rekordmeister in diesem Jahr immer was los. Der FC Bayern ist aufgrund des Erfolgs unter Flick und dem gemeinsamen Stemmen gegen die Corona-Krise in den vergangenen Monaten zusammengewachsen. Als Lohn holten die Bayern auch noch den UEFA Super Cup in Budapest. Es war das erste Bayern-Finale, das ich für SPORT1 bislang verpasst habe.
Mit einem 8:0 gegen Schalke starteten die Triple-Sieger in die laufende Saison, ehe am 2. Spieltag die 1:4-Pleite in Hoffenheim folgte. Für mich war es seit dem 8. März das erste Spiel mit Zuschauern. Eine Wohltat! Flicks Mannen wirkten in Sinsheim erstmals müde. Die Bayern waren schlichtweg unterlegen.
Wann hatte es das zuletzt gegeben? Trotzdem folgten elf Siege am Stück, aber die Dominanz des Sommers war verflogen. Die Bayern schleppten sich durch, weshalb in den darauffolgenden neun Partien vier Remis folgten.
Die Corona-Krise hat bei uns allen Spuren hinterlassen. Das Miteinander ist bei allen Beteiligten geprägt von Vorsicht und Distanz. Es fehlen die persönlichen Gespräche, der Austausch in den Stadien-Katakomben, der Kick des persönlichen Gesprächs.
Dennoch: Unter dem Strich kann Fußball-Deutschland stolz darauf sein, mit welcher Vernunft und Vorsicht der Spielbetrieb fortgeführt werden konnte. Ein Geisterspiel-Jahr 2021 ist wahrscheinlich, wäre aber kaum zu ertragen.