Der frühere Bayern-Profi Diego Contento hat zwei schwere Jahre bei Fortuna Düsseldorf hinter sich.
Contento: Liga ist mir nicht wichtig
In der neuen Saison spielt der 30-Jährige bei Zweitligist SV Sandhausen. Doch für den gebürtigen Münchner, der 2013 mit dem FCB die Champions League gewann, ist das nach eigener Aussage kein Rückschritt.
Vor dem Trainingsstart bei seinem neuen Klub am Sonntag spricht Contento im SPORT1-Interview über seine persönlichen Pläne, die Lage beim Rekordmeister, ehemalige Weggefährten und seine Erfahrungen in München.
SPORT1: Herr Contento, Sie spielen in der neuen Saison in Sandhausen, haben dort einen Einjahresvertrag unterschrieben. Und das nach einer schwierigen Zeit in Düsseldorf und in der Corona-Zeit. Wie froh sind Sie?
Diego Contento: Ich bin happy, hatte gute Gespräche mit dem Trainer und Vorstand. Und wie Sie sagen: Es war sehr schwer für mich, in dieser Zeit einen Verein zu finden. Das gilt für jeden Spieler, der ablösefrei ist und einen neuen Klub sucht. Und das Interesse aus Sandhausen kam schnell, aber ich freue mich riesig auf diese neue Herausforderung.
SPORT1: Fast jeder Fußballer sagt, wenn er einen neuen Verein hat, dass er gute Gespräche mit den Verantwortlichen hatte. Können Sie bitte mal beschreiben, was genau diese guten Gespräche ausmacht?
Contento: Ich brauche 100 Prozent Wertschätzung. Von den Verantwortlichen muss da etwas rüberkommen in den Gesprächen. Das ist mir ganz wichtig, weil ich das Vertrauen dann mit Leistung zurückgeben kann. Mein Berater meinte, dass sich einige Vereine gemeldet hätten - auch aus der 1. Liga - und zwei Tage später rief auch schon Herr Koschinat (Sandhausens Trainer Uwe Koschinat, Anm. d. Red.) an. Ich war offen für alles, bin hingefahren und habe mit ihm und dem Vorstand geredet. Ich habe mich sofort wohl und verstanden gefühlt. Und jetzt freue ich mich sehr auf das erste Training und bedanke mich für das Vertrauen.
SPORT1: Sie sagten, dass es auch Anfragen aus der Bundesliga gab. Warum gehen Sie dann lieber in die 2. Liga?
Contento: Mir ist wichtig, dass ich meine Ruhe habe und spielen kann. Ich möchte frei im Kopf sein und ich denke, das kann ich in Sandhausen sehr gut. Wie gesagt, mir war die Wertschätzung sehr wichtig.
SPORT1: Sie haben mit dem FC Bayern die Champions League gewonnen. Jetzt wechseln Sie in die 2. Liga. Diesen Schritt würde nicht jeder Profi machen. Ist Ihnen die Liga nicht mehr wichtig?
Contento: Es ist nicht wichtig, in welcher Liga ich spiele. Es ist wichtig, dass ich mich wohlfühle. Nach meinem Kreuzbandriss habe ich in Düsseldorf kein Spiel gemacht. Freundschaftsspiele schon, aber keine Punktspiele. Ich habe bei der Fortuna leider keine faire Chance bekommen. Aber das Kapitel ist beendet, jetzt fange ich in Sandhausen neu an.
SPORT1: Haben Sie Angst zu scheitern?
Contento: Nein. Ich war immer ein Kämpfer. Ich bin schon oft wieder aufgestanden, wenn ich vorher hingefallen bin. Ich denke gar nicht daran, dass ich scheitern könnte.
SPORT1: Was hat man Ihnen gesagt, warum man Sie unbedingt wollte?
Contento: Ich bringe einfach sehr viel Erfahrung mit. Ich habe mit Bayern in der Champions League gespielt und war danach bei Girondins Bordeaux. Das hat mir viel gebracht. Und ich bin ein Typ, der unbedingt immer gewinnen will. Ich gebe nicht auf, so ist mein Charakter. Und ich denke, das gefällt den Verantwortlichen. Das passt mit Sandhausen.
SPORT1: Sie standen einst in der Königsklasse mit Spielern wie Franck Ribéry, David Alaba und Thomas Müller auf dem Platz. Sind Sie rückblickend etwas traurig, dass es bei Bayern für den ganz großen Durchbruch nicht gereicht hat?
Contento: Nein. Ich gönne den Jungs ihren Erfolg. Man sieht, welches Talent sie haben. Sie haben es verdient. Bei mir kam oft Verletzungspech dazu. Es war eine Ehre, mit ihnen zusammenzuspielen. Es gibt überall Konkurrenz, das ist in jeder Branche so. In der Zeit, als ich bei Bayern war, hatten wir eine super Mannschaft mit tollen Spielern. Es war für keinen Spieler leicht. Ich hatte meine goldene Zeit bei Bayern und die werde ich auch niemals vergessen. Ich habe damals meine Spiele bekommen, wollte dann aber doch regelmäßig spielen, deshalb bin ich nach Bordeaux gewechselt. Dieser Schritt hat mir gut getan.
SPORT1: Zuletzt sagten Sie bei SPORT1, dass Sie mindestens noch das Niveau hätten wie bei Bayern. Ganz schön selbstbewusst.
Contento: So bin ich aber. Ich weiß, was ich kann. Jeder kann sich doch selbst einschätzen. Die Leute, die mich gut kennen, wissen, wie ich spiele und was ich noch drauf habe. Wenn ich regelmäßig meine Spiele bekomme, dann werde ich jedem zeigen, was in mir steckt. Wenn ich so nicht mehr sein darf, wie ich bin, dann kann ich die Fußballschuhe an den Nagel hängen. Ich habe genug Selbstbewusstsein und das werde ich in der neuen Saison zeigen.
SPORT1: Was würden Sie rückblickend anders machen, wenn Sie heute noch mal in der Jugend bei Bayern anfangen könnten?
Contento: Noch mal Bayern-Jugend? Ich würde nichts ändern. Ich bin glücklich, wie alles gelaufen ist und dass ich meine Jugend bei Bayern sein durfte. Ich bin noch einer der Wenigen, die den Sprung von der Jugend zu den Profis geschafft haben. Darauf bin ich stolz.
Contento: Lob für Bayerns Jugendarbeit
SPORT1: Lange gab es nach David Alaba beim FC Bayern keinen Jugendspieler, der hoch kam zu den Profis. Inzwischen werden wieder einige Juwele am Campus entwickelt. Wie kriegen Sie das mit?
Contento: Ich finde das super. Da wurde der Campus gebaut, das gab es damals zu meiner Zeit nicht. Das ist schon toll. Endlich wächst da wieder etwas heran und die Jugend beim FC Bayern entwickelt sich toll. Das freut mich für den Verein, denn es ist immer schön, wenn junge Spieler wie früher aus der zweiten Reihe hochkommen. Da ist man auf einem sehr guten Weg.
SPORT1: Hätten Sie sich damals auch einen Campus gewünscht?
Contento: Ganz ehrlich? Nein, denn dann wäre ich nicht der, der ich heute bin. Dann wäre ich vielleicht nicht so selbstbewusst und hätte diesen Charakter. Das soll nicht heißen, dass heute die jungen Spieler bei Bayern nicht selbstbewusst sind und keinen Charakter haben.
SPORT1: So klingt es aber. Wie meinen Sie das?
Contento: Die Zeiten ändern sich und ich bin noch sehr oldschool. Joshua Zirkzee kommt in eine ganz andere Zeit und der Fußball hat sich total verändert. Er wird schneller und robuster. Dieser neue Campus ist wirklich perfekt. Ich war einmal dort und das war echt faszinierend. Früher an der Säbener Straße waren fast drei Mannschaften in einer Kabine, heute hat jeder Spieler quasi seine eigene Kabine und seinen Ruheraum. Das gab es früher so nicht. Das ist schon sehr beeindruckend.
SPORT1: Werden heutzutage die Jugendlichen zu schnell wie Superstars behandelt?
Contento: Heute kriegt ein Spieler alles vom Klub. Er hat eigene Schuhe, früher mussten wir uns die Schuhe selbst kaufen, um es überspitzt zu sagen. Früher gab es auch kein Instagram. Es wird alles noch schneller medial gepusht. Die Bosse beim FC Bayern achten auf so etwas ganz genau. Da kannst du dir nichts erlauben. Ich habe keine Bedenken, dass die Spieler da irgendeinen Schmarrn machen.
"Beim FC Bayern gilt nur 100 Prozent"
SPORT1: Welche Tipps würden Sie heute einem Talent aus dem Campus geben?
Contento: Beim FC Bayern gilt nur 100 Prozent. Ein junger Spieler sollte immer versuchen, alles zu geben und nicht nachzulassen. Und wenn ein junger Spieler seine Chance kriegt, muss er sie nutzen. Im Fußball bekommst du heute nicht mehr so viele Chancen wie früher. Und auch die jungen Spieler wissen schon, was sie am FC Bayern haben. Da wird keiner etwas ausnutzen und über die Stränge schlagen.
SPORT1: Wie ist Ihre Meinung von Hasan Salihamidzic? Er hatte jetzt schon einige gute Moves, oder?
Contento: Absolut. Er macht eine super Arbeit. Spieler wie Alphonso Davies und Ivan Perisic waren gute Entscheidungen. Er formt die Mannschaft in seiner Perfektion. Er macht einen tollen Job. Leroy Sané war für Brazzo der Königstransfer. Da bin ich gespannt, ob Leroy das 'Mia san Mia'-Gen hat.
SPORT1: Dieses 'Mia san Mia'-Gen, was macht es aus? Macht das wirklich einen Spieler stärker?
Contento: Schon damals zu meiner Zeit hat man das 'Mia san Mia' deutlich gespürt. Wir waren in vier Jahren dreimal im Champions-League-Finale und das steht für die Gemeinschaft, für die Bayern-Familie. Ich denke, es ist auch heute noch stark davon geprägt.
SPORT1: Wie sehr fehlt Uli Hoeneß? Glauben Sie, dass der Übergang nach ihm problemlos klappen kann?
Contento: Das glaube ich nicht. Wenn man weiß, was Herr Hoeneß für den FC Bayern geleistet hat, dann kann das nicht problemlos ablaufen. Aber die neue Generation mit Brazzo und Oliver Kahn macht auch eine tolle Arbeit. Ganz weg wird Hoeneß nie sein. Ich denke, er wird schon fehlen. Seine ganze Art und diese Menschlichkeit ist unbezahlbar. Aber wenn einer das Bayern-Gen kennt, dann Oliver Kahn. Da sind auch nach Hoeneß die richtigen Leute am Werk.
SPORT1: Sie haben in der Jugend auch lange unter Hermann Gerland trainiert. Wie denken Sie an ihn zurück?
Contento: Nur positiv. Man musste aber mit ihm auskommen. Er fördert dich aber ungemein. Ich brauchte früher auch mal einen Arschtritt. Da war Gerland genau der Richtige. (lacht) Er ist immer an der Seitenlinie herumgesprungen und ich spielte damals auch auf der Seite. Er schrie mich an, aber er meinte es gut. Seine Art hat mir gut getan. Dank Gerland war ich bei den Profis. Menschlich ist er wie Hoeneß top.
Als Gerland Contento anraunzte: "Du Pappnase"
SPORT1: Was war das krasseste Erlebnis mit Gerland?
Contento: Als er mich das erste Mal zu den Profis hochbrachte, nannte er mich auch mal 'Du Pappnase' und ich als junger Kerl wusste nicht, wie er das meint. Ich tat mich anfangs auch schwer, ihn zu verstehen. Er war mein Förderer und ich bin ihm unendlich dankbar.
SPORT1: Fehlen solche Typen heute im Fußballgeschäft?
Contento: Er ist bei Bayern im Jugendbereich schon noch weiter da und schaut auch im Campus, dass alles läuft. Aber so Typen wie Gerland fehlen, würden dem Fußball gut tun. Die Jugend früher und heute ist nicht zu vergleichen. Früher hat man akzeptiert, wenn man angeschrien wurde, heute reagiert der eine oder andere da schon selbstbewusster.
SPORT1: Sind Profis heute selbstbewusster und lassen sich weniger sagen?
Contento: Ich denke schon. Ich kann nur sagen, dass ich selbstbewusst genug bin und mir schon etwas sagen lasse.
SPORT1: Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu Spielern von damals? Gibt es sogar enge Freundschaften?
Contento: Natürlich. Ich habe mit David Alaba und Franck Ribéry und auch mit Anatolij Tymoschtschuk noch guten Kontakt, auch mit Xherdan Shaqiri. Und ich freue mich immer, wenn ich die Jungs sehe.
"Eine sehr schwierige Entscheidung"
SPORT1: Sollte Alaba bei Bayern verlängern?
Contento: Zuerst mal muss David sich wohlfühlen mit seiner Entscheidung. Er weiß sicher, was der FC Bayern ihm gegeben hat. Eine sehr schwierige Entscheidung für ihn. Er ist ein Weltklassespieler und bei Bayern einer der Führungsspieler. Ich würde ihm raten, bei Bayern zu verlängern. David kann Geschichte schreiben.
SPORT1: Miro Klose hat als Spieler auch Geschichte geschrieben. Er ist ab der neuen Saison Co-Trainer bei den Bayern. Richtig so?
Contento: Er hat eine wahnsinnige Entwicklung hinter sich. Er war Jugendtrainer bei Bayern und hat das Zeug zu einem großen Trainer. Es ist eine super Entscheidung von den Bossen, dass Miro jetzt als Co-Trainer von Hansi Flick arbeiten darf. Miro war früher mein Lieblingsstürmer. Wenn ich ihm die Bälle aufgelegt habe, dann hat er sie oft eingenetzt. Er weiß, wie ein Fußballer tickt. Zusammen mit Flick und Gerland passt das ideal.
Lob für Flick: "Alles spricht für ihn"
SPORT1: Hansi Flick hat alle überrascht, oder?
Contento: Man braucht über ihn nicht zu diskutieren. Alles spricht für ihn. Die Arbeit ist überragend. Unter ihm kann sich ein Spieler nur wohlfühlen.
SPORT1: Leroy Sané wurde am Donnerstag offiziell vorgestellt. Wie bewerten Sie diese Personalie?
Contento: Ein Wahnsinns-Transfer. Bayern brauchte auf der Seite einen wie ihn, und bei der Menge der Spiele kann das nur gut sein. Und Leroy war immer bei Bayern im Visier. Schön, dass es jetzt geklappt hat. Ein ganz starker Transfer.
SPORT1: Letzte Frage: Holt Bayern mit Flick das Triple?
Contento: Ja. Ich wünsche es mir sehr. Und bin davon überzeugt. Wenn es auch schwer wird, aber Flick hat alles im Griff.