Eine Trainer-Legende wird 75!
Flick: "Heynckes und ich ähneln uns"
Jupp Heynckes feiert an diesem Samstag Geburtstag. Nicht pompös, sondern in gemütlicher kleiner Runde, zu Hause mit seiner Frau Iris.
Einer der Gratulanten, vermutlich per Telefon, wird Hansi Flick sein, denn ihn und Heynckes verbindet seit Jahren ein besonderes Verhältnis.
Geprägt wurde dieses durch ein für Flick besonderes Erlebnis. Er war seit 1985 Mittelfeldspieler beim FC Bayern, Heynckes wurde 1987 zum ersten Mal Trainer der Münchner.
Flick: "Erlebnis, das mich bis heute geprägt hat"
"Ich kann mich noch gut an eine Situation erinnern, als ich in einer Trainingseinheit loslegen wollte und er vor Beginn zu mir gesagt hat: 'Du hast heute trainingsfrei und bleibst drin.' Ich habe dann gesagt: 'Trainer, ich will aber trainieren.' Seine Antwort: 'Nein. Ich bin zufrieden mit dir, heute lässt du dich behandeln, morgen ist frei und dann sehen wir uns wieder'", schildert Flick im Gespräch mit SPORT1.
Notgedrungen hört Flick auf seinen Trainer, dreht um und verschwindet in der Kabine, während seine Mitspieler trainieren. "Im ersten Moment habe ich nicht verstanden, was er von mir wollte, aber dann habe ich reflektiert und mir wurde klar, dass seine Sätze eine Wertschätzung waren und er mit mir zufrieden ist", sagt Flick heute: "In der damaligen Zeit war ein solches Verhalten wie das von Jupp Heynckes nicht alltäglich, sondern etwas ganz Besonderes. Das war für mich ein Erlebnis, das mich bis heute geprägt hat. Ich habe immer versucht, sein Vertrauen in mich mit Leistung zurückzuzahlen."
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Es sind Erzählungen wie diese, die ein gutes Bild davon zeichnen, mit welcher Empathie Heynckes seinen Spielern schon damals begegnet war und dies bis zu seinem offiziellen Karriereende im Juni 2018 fortgeführt hat. Im Kicker sagte Heynckes über seine erste Trainerstation bei Borussia Mönchengladbach (1979-1987) und anschließend bei Bayern: "Im Grunde war ich ein sehr aufmerksamer, hilfsbereiter Trainer, der mit seinen Spielern in einer angenehmen Atmosphäre zusammenarbeitete. Ab und zu brauchten die Jungs allerdings Klartext."
Drei Jahrzehnte nach der Heynckes-Ansage werden dem neuen Bayern-Cheftrainer Flick jene Attribute nachgesagt, die auch für Trainer Heynckes gelten. Es geht um Kommunikation, Verständnis und die Antizipation von Sorgen und Nöten der Spieler. Um einen guten Mix aus Nähe und Distanz in puncto Mannschaftsführung.
Heynckes' Authentizität immer zu spüren
Vor allem geht es um gegenseitiges Vertrauen. Jener Wert, den Heynckes dem jungen Flick mit seiner Trainings-Ansage vermittelt hat. "Vertrauen ist im Leben immer wichtig, in jeder Lebenslage. Vor allem für Kinder ist es elementar wichtig, dass sie ihren Eltern vertrauen können. Vertrauen muss man aber vorleben. Man darf nichts vorspielen, man muss authentisch sein. Das hat man bei Jupp Heynckes immer gespürt", erklärt Flick.
Im Spieler-Trainer-Verhältnis menschelt es beim FC Bayern unter Flick, wie zuvor unter Heynckes. Dem Anspruch an Erfolg immer untergeordnet.
"Ich denke schon, dass sich Jupp Heynckes und ich in unserer Herangehensweise als Trainer sehr ähnlich sind", sagt Flick. "Er war für mich mit Abstand der beste Trainer, den ich in meiner Profikarriere hatte. Er war mit seiner Art und Weise schon damals besonders. Sein Umgang mit den Spielern hat mir immer imponiert."
106 Pflichtspiele hat Mittelfeldspieler Flick in den Jahren 1987 bis 1990 unter Heynckes absolviert. In der Saison 1988/89 und 1989/90 feierten sie zusammen beim FC Bayern zwei Meisterschaften.
2013 fügt sich das Schicksal der beiden wieder zusammen. Heynckes ist zum dritten Mal Trainer der Bayern. Er weiß, dass er zur Saison 2013/14 von Pep Guardiola abgelöst wird, ist darüber enttäuscht, aber gewinnt mit dem FC Bayern sensationell das Triple aus Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League.
Ein Triumph, den anschließend kein Bayern-Trainer mehr erreichen soll. Kein Pep Guardiola, kein Carlo Ancelotti, kein Niko Kovac. Selbst Heynckes nicht, als er im Oktober 2017 mit 72 Jahren zum vierten und letzten Mal das Ruder beim Deutschen Rekordmeister übernimmt. Als Nachfolger des entlassenen Ancelotti beendet er die Saison 2017/18 mit der Meisterschaft, das DFB-Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt verliert er.
Triple-Gewinn eine "unfassbare Leistung"
Ist Flick der nächste Triple-Trainer? "Ein Triple zu erreichen ist nie einfach. Dazu braucht man einen starken Kader und ein ebenso starkes Team drumherum", sagt Flick, der schwärmend hinzufügt: "Sein Triple-Gewinn war eine unfassbare Leistung. Den Pott nach dem verlorenen "Finale dahoam" nur ein Jahr später zu holen, das war schon etwas ganz Besonderes."
Als Heynckes den Henkelpott in die Höhe stemmt, ist Flick seit fast sieben Jahren Co-Trainer der Deutschen Nationalmannschaft. Ein Jahr später soll er, zusammen mit Bundestrainer Joachim Löw, vom Heynckes-Erfolg profitieren. "Der Gewinn des Triples vom FC Bayern in der Saison 2012/13 war meiner Meinung nach die Basis dafür, dass wir 2014 Weltmeister geworden sind. Die Generation mit Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller, Manuel Neuer, Jérôme Boateng und Toni Kroos hat das Triple erreicht und dadurch viel Selbstvertrauen für das Weltmeister-Jahr gesammelt."
Triple-Trainer Heynckes, Weltmeister Flick!
Nach dem Triumph in Brasilien wird Flick Sportdirektor beim DFB und Heynckes, seinerzeit im Ruhestand und wohl nicht ahnend, dass er abermals auf die Trainerbank des FCB zurückkommen wird, folgt einer Einladung seines Ex-Spielers, laut Flick "eine Art Kamingespräch mit unseren U-Trainern".
Es soll ein weiterer Moment werden, der sein Verhältnis zu Heynckes nachhaltig prägt. "Er hat sofort zugesagt, unseren Trainern viele Fragen beantwortet und ihnen die Dinge vermittelt, die für ihn wichtig sind", erinnert sich 55-Jährige. "Alle Trainer waren begeistert von ihm, vor allem aufgrund seiner Bodenständigkeit und Freundlichkeit. Sein Trainerpaket war einfach traumhaft gut. Für mich war es daher umso schöner zu sehen, dass er sein Wissen weitergibt und die Werte vorlebt, für die er auch einsteht."
Flick wird zur Saison 2019/20 Co-Trainer des FC Bayern und obwohl ihm zunächst die Reihe zwei hinter Ex-Cheftrainer Niko Kovac vorbehalten ist, erinnert er mit seiner kommunikativen und gleichermaßen analytischen Herangehensweise bei den Spielern schnell an Heynckes.
Heynckes spricht sich für Flick aus
Als er im November 2019 nach der Freistellung von Kovac zunächst Interimstrainer wird, er mit den Bayern Sieg um Sieg einfährt und das Mia-san-Mia-Gefühl an der Säbener Straße zurückkehrt, sind es Routiniers wie Manuel Neuer, die öffentlich lobende Vergleiche zwischen Heynckes und Flick ziehen. Nicht nur wegen ihrer Art, denn Flick, wie Heynckes, überzeugt mit einer Spielidee und fachlichem Wissen.
Flick stärken diese Worte und dank erfolgreicher Arbeit mausert er sich immer mehr zum Trainerkandidaten auf Dauer. Es ist vor allem Heynckes, der sich öffentlich vehement für eine Festanstellung Flicks ausspricht und seine Meinung über seinen Ex-Schützling vereinsintern bei den Bayern-Bossen hinterlegt.
Heynckes Worte haben Gewicht, Flick setzt seine Erfolgs-Serie fort und wird mit einem Vertrag bis 2023 belohnt. Vor allem wegen seines eigenen Handeln und Tuns, der Einsatz von Heynckes hat aber gewiss nicht geschadet. "Es ist immer schön, wenn man Unterstützung hat und mich freut es auch sehr, dass mich Jupp Heynckes so positiv sieht", sagt Flick.
Heynckes wird auch zukünftig genau hinschauen, wie sich Flick und der FC Bayern entwickeln. Nach insgesamt neun unterschiedlichen Trainerstationen (u.a. Borussia Mönchengladbach, Real Madrid) und zwölf Titeln, darunter der zweimalige Gewinn der Champions League, hat sich Heynckes seinen Ruhestand redlich verdient – und feiert nun glückselig seinen 75. Geburtstag!
"Es gibt zwei Dinge, die im Leben wichtig sind: Gesundheit und Zufriedenheit. Wenn beides gegeben ist, geht es einem Menschen grundsätzlich gut. Vor allem in der aktuellen Zeit", richtet Flick seine emotionalen und aufrichtigen Glückwünsche an die Trainerlegende: "Jupp Heynckes kann sehr stolz auf seine Lebensleistung sein, denn er kann auf ein sehr spannendes und erfolgreiches Leben zurückblicken. Die Erfahrungen, die er im Leben bislang hat machen können, machen nur wenige."