Lucien Favre verstand die Welt nicht mehr. Nach der bitteren 3:4-Pleite bei Bayer 04 Leverkusen tigerte der Trainer von Borussia Dortmund völlig konsterniert durch die Mixed Zone der BayArena. "C’est pas possible", murmelte der französischsprachige Schweizer immer wieder vor sich hin ("Das kann nicht sein!").
Favre verzweifelt am BVB
In der Tat ist das, was seine Mannschaft in den vorangegangenen 90 Minuten gezeigt hatte, mal wieder nur schwer zu erklären. Zwei Mal führten die Dortmunder im Bundesliga-Topspiel gegen Leverkusen, um am Ende mit leeren Händen die Rückfahrt in den Pott anzutreten. "Wir müssen reifer auftreten", wagte Favre hinterher einen Erklärungsversuch. "Wir müssen aggressiver spielen, aber vor allem intelligenter."
Vier Tage nach dem Pokal-Aus in Bremen setzte es für die Borussen einen herben Rückschlag im Titelkampf. Nach dem 3:4 bleiben die Schwarz-Gelben auf dem dritten Platz. Die Bayern können mit einem Sieg am Sonntag gegen Leipzig auf sechs Punkte davonziehen. (SERVICE: Tabelle der Bundesliga)
Lizenzspielerchef Sebastian Kehl sagte zerknirscht: "Wir hatten die Möglichkeit, an diesem Spieltag nach vorne zu rücken. Nach der Niederlage müssen wir uns aber mit anderen Dingen beschäftigen." Und weiter: "Wenn man erneut so viele Gegentore kassiert, dann kann man ein Spiel nicht gewinnen."
Dortmunder Zahlen des Grauens
Der BVB lief in Leverkusen sieben (!) Kilometer weniger als der Gegner und kassierte letztlich die vierte Niederlage in dieser Bundesliga-Saison– so viele wie im gesamten letzten Spieljahr. Mit 32 Gegentoren in 21 Spielen haben die Dortmunder im Übrigen so viele Tore kassiert wie zuletzt vor zwölf Jahren.
In den drei Auswärtsspielen im neuen Jahr musste die BVB-Wackelabwehr satte zehn Gegentore hinnehmen! Horror-Zahlen, die auch Sportchef Michael Zorc ärgern: "Die Probleme sind offensichtlich: Wir bekommen zu viele Gegentore. Die Tore gegen uns fallen zu einfach. Bis zur 80. Minute machen wir ein ordentliches Spiel und sind dann in den entscheidenden Situationen einfach zu passiv."
Emre Can, der sein Startelfdebüt feierte und auch gleich traf, stieß ins gleiche Horn: "Wir machen wieder drei Tore, kassieren aber vier. So gewinnst du keine Spiele. Die Mannschaft hat Potenzial, aber sie muss eins lernen: Wenn man in Führung geht, muss man auch mal dreckiger werden, auch mal Foul spielen."
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Favre stellte sein Team im Vergleich zum Bremen-Spiel von einer Dreier- auf eine Viererkette um, brachte neben Can auch Erling Haaland von Beginn an. Nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Marco Reus agierte Julian Brandt (musste in der Halbzeit verletzt raus) weiter vorne.
Zu viele individuelle Fehler
Die BVB-Offensive zeigte sich einmal mehr in Top-Form, die Defensive dagegen erneut total anfällig. Vor dem 0:1 durch Kevin Volland ließ sich Manuel Akanji zu leicht abschütteln, vor dem 2:2 durch Volland erlaubte der zuletzt arg schwächelnde Schweizer eine Amiri-Flanke ohne großere Schwierigkeiten. Das 3:3 leitete Can mit einer unglücklichen Grätsche für Leon Bailey ein, im Zuge des 3:4 verlor Mats Hummels das Kopfballduell gegen Lars Bender.
Zorc erklärte: "Mir fehlt das konsequente Verteidigen und Beschützen des eigenen Tores." Und Kehl ergänzte: "Wir haben jetzt in unterschiedlichen Abwehrsystemen gespielt, zuletzt mit Dreier-, heute mit Vierkette. In beiden haben wir es nicht geschafft, stabil zu sein. Wir waren zu passiv."
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Favre wirkte am SPORT1-Mikrofon ob der erneut haarsträubenden individuellen Fehler seiner Spieler ratlos: "Ich fühle mich nicht machtlos. Ich probiere mein Bestes, um ein paar Sachen zu korrigieren und Fortschritte zu erreichen. Wir haben Schwierigkeiten. Ich hatte das selten bei einer Mannschaften, seitdem ich Trainer bin." Ein bemerkenswerter Satz, schließlich spielte Favre einst mit Gladbach gegen den Abstieg. Der 62-Jährige weiter: "Das Alles ist momentan schwer zu erklären. Details machen zurzeit den Unterschied. Wir müssen weiterkämpfen und arbeiten. Sonst ist es schwer."
Favre verzweifelt allmählich am BVB! Und als wäre der Samstagabend für ihn nicht ohnehin schon ein gebrauchter, kam er weit nach Schlusspfiff und nach einem Interviewmarathon zunächst nicht in seine verschlossene Trainerkabine. Um 21.40 Uhr verschwand der BVB-Coach dann in die Nacht mit den Worten: "Wir haben viel zu analysieren."