Lucien Favre schüttelte immer wieder den Kopf und flüchtete in die Kabine, die Pfiffe der wütenden Fans bekam der Trainer schon gar nicht mehr mit.
Krisensitzung nach BVB-Blamage
Borussia Dortmund hat zwar mit einer furiosen Aufholjagd eine unfassbare Blamage gerade noch abgewendet, doch Favre gerät immer mehr unter Druck.
Die unerklärlich desolate erste Halbzeit beim 3:3 (0:3) gegen den Aufsteiger SC Paderborn könnte den Schweizer nach eineinhalb Jahren in Dortmund den Job kosten.
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Krisensitzung beim BVB bis in die Nacht
Der Coach selbst kündigte bereits kurz nach Abpfiff Konsequenzen an: "Wir werden das zusammen analysieren, das ist sehr, sehr nötig. Das kann nicht so weitergehen", mahnte der 62-Jährige. Laut eines Berichts der Ruhrnachrichten setzte Favre seine Ankündigung direkt in die Tat um.
In der Kabine des Stadions soll es bis tief in die Nacht eine Krisensitzung gegeben haben. Favre, sein Trainerteam und Führungsspieler um Lukasz Piszczek und Kapitän Reus sollen etwa zwei Stunden lang diskutiert haben.
Erst nach ein Uhr sollen die Beteiligten nach Hause gefahren sein.
Watzke, Zorc und Co. beraten lange
An anderer Stelle trafen sich auch die Bosse zum Krisengespräch, wie Bild berichtet. Knapp zwei Stunden tagte demnach die BVB-Spitze um Sportdirektor Michael Zorc, Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, Klub-Justiziar Robin Steden sowie Anwalt und Watzke-Vertraute Dr. Thilo Igwecks.
Zorc hatte sich schon direkt nach dem Spiel bedeckt gehalten. "Ich werde nicht so viel sagen. Die erste Halbzeit war komplett inakzeptabel. Dafür muss man sich bei den Zuschauern entschuldigen", erklärte er lediglich: "Morgen ist auch noch ein Tag."
Nach Bild-Informationen dauerte der Boss-Gipfel in der Nacht bis 0.22 Uhr - mit dem Ergebnis: Favre steht endgültig vor dem Aus, bekommt allerdings mit der Partie beim FC Barcelona am Mittwoch in der Champions League noch ein Schicksalsspiel (Champions League: FC Barcelona - Borussia Dortmund 21 Uhr im LIVETICKER).
Zorc bestätigte am Samstag, dass Favre gegen Barcelona auf der Bank sitzen wird. "Es ist ja klar, dass das Thema öffentlich diskutiert wird, denn unsere Situation ist mehr als unbefriedigend. Natürlich analysieren wir das sehr intensiv. Aber wir gehen mit Lucien Favre in das Spiel in Barcelona und erwarten, dass wir da eine deutliche Leistungssteigerung sehen", sagte der Sportdirektor Funke Sport.
Vor der mit Spannung erwarteten Jahreshauptversammlung am Sonntag ist die Situation für den Schweizer Coach schlechter denn je.
"Das war absolut scheiße"
Favres Mannschaft trug am Freitag ihren Teil dazu bei. Der selbst ernannte Titelanwärter ließ sich auskontern wie eine Schülermannschaft, kam zwar zurück, zufrieden kann allerdings niemand sein: Wieder hatte der BVB zwei Punkte fahrlässig hergeschenkt.
"Wir müssen uns bei allen Fans für diese Leistung entschuldigen. So dürfen wir nie, nie wieder auftreten, das war absolut scheiße", schimpfte Kapitän Marco Reus, Schütze des späten Ausgleichs, bei DAZN: "Keine Ahnung, was wir da in der ersten Halbzeit fabriziert haben." (Stimmen zum Spiel)
Der Rückstand auf Spitzenreiter Borussia Mönchengladbach könnte am Samstag auf acht Punkte anwachsen. (SERVICE: Tabelle der Bundesliga)
Streli Mamba (5., 37.) und Gerrit Holtmann (43.) sorgten mit ihren Treffern zur Halbzeit für Schockstarre unter der Mehrzahl der 81.365 meist fassungslosen Zuschauern. (SERVICE: Spielplan der Bundesliga)
Die in den ersten 45 Minuten völlig neben sich stehenden BVB-Profis wurden mit einem gellenden Pfeifkonzert in die Kabine verabschiedet. Das zeigte Wirkung: Jadon Sancho (47.), Axel Witsel (84.) und Marco Reus (90.+2) verhinderten gegen den bisher selten konkurrenzfähigen Aufsteiger zwei Wochen nach dem 0:4-Debakel bei Bayern München die totale Blamage. Vor der Jahreshauptversammlung am Sonntag ist die Stimmung dennoch äußerst explosiv.
BVB lässt sich auskontern
Reus nahm Favre allerdings aus seiner Kritik. "Der Trainer stellt uns jedes Mal super ein. Wir sind dafür verantwortlich auf dem Platz unsere Leistung zu zeigen. Das schaffen wir momentan überhaupt nicht, jeder muss sich an seine eigene Nase fassen. Wir müssen als Team enger zusammenrücken. Darüber müssen wir reden, nicht über einen Trainer."
Von Wiedergutmachung für den schwachen Auftritt in München war von Beginn an beim BVB nichts zu spüren. Eine Ecke der Gastgeber nutzten die Ostwestfalen zur frühen Führung. Kai Pröger lief auf der rechten Seite mühelos Nationalspieler Nico Schulz davon und bediente den völlig freistehenden Mamba, der Torhüter Roman Bürki aus kurzer Distanz keine Chance ließ.
Die Dortmunder waren nach dem Gegentor schockiert. Der achtmalige deutsche Meister, der am Mittwoch beim FC Barcelona den Einzug ins Achtelfinale der Champions League klarmachen kann, hatte zwar mehr Ballbesitz, fand aber offensiv keine Lösungen. Axel Witsel, Marco Reus und Co. agierten im Spielaufbau viel zu behäbig. Einzig Raphael Guerreiro sorgte für Torgefahr (16., 25.).
Und hinten? Die schnellen Paderborner waren von der BVB-Defensive überhaupt nicht zu stoppen. Mamba beim zweiten und Holtmann beim dritten Tor ließen Julian Weigl ganz alt aussehen und blieben vor Bürki eiskalt. (LIVETICKER zum Nachlesen)
Favre reagiert zur Halbzeit
Und Favre? Der reagierte. Kurz vor der Pause ersetzte Julian Brandt den verletzten Paco Alcacer, zur zweiten Halbzeit brachte der Schweizer Thorgan Hazard und Achraf Hakimi für die schwachen Schulz und Mahmoud Dahoud.
Der BVB begann den zweiten Durchgang druckvoll und wollte seine stolze Serie wahren: Seit fast 16 Jahren waren die Dortmunder vor der Begegnung in 26 Spielen am Freitagabend unbesiegt (19 Siege).
Sancho sorgte mit seinem Anschlusstreffer für ein Aufblitzen von Stimmung, eine Minute später scheiterte Reus an Torhüter Leopold Zingerle. Es waren die Signale für einen Dortmunder Sturmlauf - der hielt allerdings nur eine gute Viertelstunde an. Dann verfiel der BVB zunächst wieder in den alten Trott, ehe Witsel und Reus immerhin noch einen Zähler retteten.