Als Oliver Kahn vor ein paar Tagen über seine künftige Aufgabe beim FC Bayern sprach, gab er sich zurückhaltend. Noch sei "nichts spruchreif", sagte er, aber die Gespräche seien schon "sehr weit entwickelt". So weit jedenfalls, dass es schon eine sehr große Überraschung wäre, wenn Kahn nicht die Nachfolge von Karl-Heinz Rummenigge antreten sollte.
Kahn hat schon als Teenie erstaunt
Vom 1. Januar 2020 an soll er im Vorstand des FC Bayern eingearbeitet werden, um sukzessive den AG-Chef Rummenigge abzulösen, der sich Ende 2021 verabschieden wird. Das Vorgehen konkret abstimmen wollen sie nach dem Urlaub. Eine überraschende Abkehr von diesem Plan ist nicht zu erwarten.
Schwierige Aufgabe wartet auf Kahn
Am 15. Juni feierte Kahn seinen 50. Geburtstag, und statt seines Leitspruchs "Weiter, immer weiter" scheint für seinen Werdegang mittlerweile eher "Höher, immer höher" zu gelten.
Mit dem bevorstehenden Aufstieg zum Lenker des FC Bayern verbunden ist allerdings seine Ahnung, dass ihm die schwierigste Aufgabe seiner Karriere wohl noch bevorsteht, spätestens nach dem ebenfalls nicht mehr allzu fernen Abschied von Präsident Uli Hoeneß.
Angesprochen auf den geplanten Transfer von Leroy Sané ließ Kahn seinen Respekt vor der neuen Herausforderung anklingen, als er sagte: Der Verein versuche, "international konkurrenzfähig zu bleiben". Das sei gegen Europas Topklubs "eine große Aufgabe, da der finanzielle Unterschied riesig ist". Es sei "in dem jetzigen Fußball-Umfeld schon eine riesige Leistung", dass die Münchner seit 2012 – außer in der abgelaufenen Saison – in der Champions League stets vorne mitspielten.
Beim FC Bayern trauen sie Kahn zu, dass das mit ihm möglich bleibt. Den nötigen Ehrgeiz dafür bringt er jedenfalls mit.
Kahns Torwart-Ambitionen zeigten sich früh
Abzusehen war dieser Karriereweg noch lange nicht, als er als Kleinkind mit einem Plastikball im heimischen Garten stand. Blau war die Grundfarbe des Balles, unterbrochen von ein paar braunen, grünen und gelben Flecken, von denen der kleine Kahn auf dem Familienbild nicht wusste, was diese bedeuten sollen.
Im Nachhinein aber passt es ganz gut zu seiner Karriere, dass er damals in Karlsruhe mit einem Plastikball spielte, der den Globus darstellte. Und wie der ehemalige Torwart findet, fügt es sich ebenso gut ins Bild seines Lebens, dass er den kleinen Erdball nicht zuerst mit dem Fuß berührte, sondern diesen in die Hände nahm.
Kahn mit Debüt-Leistung zufrieden
An seinem Ehrentag kann Kahn auf eine weltweit beachtete Karriere als Torwart zurückblicken, die sich auch noch nicht absehen ließ, als er am 27. November 1987 - als 18 Jahre alter Abiturient mit blonder Mähne - erstmals in der Sportschau auftaucht und in eine Fernsehkamera spricht.
"Es ist net so, dass ich jetzt hier irgendwie schlaflose Nächte hätt'", sagt der Teenager Kahn dabei in breitem Badisch, "natürlich ist Nervosität da. Aber die Nervosität – ich bin sicher, wenn der Anpfiff erfolgt ist, verspüre ich keine Nervosität mehr."
Nach dem Spiel wird der damalige Amateur-Fußballer auf eine 0:4-Niederlage mit dem Karlsruher SC beim 1. FC Köln blicken und dabei für seine Verhältnisse erstaunlich gelassen wirken. "Wenn man vier Tore kriegt, na gut, kann man eigentlich net zufrieden sein", sagt er, "aber es war für ein Debüt eigentlich einigermaßen." Danach dauerte es noch drei Jahre, bis Kahn zur dauerhaften Nummer eins beim KSC aufstieg.
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KSC erzielt mit Kahn-Transfer Rekordablöse
Es war Geduld für den Durchbruch gefragt, der ihn mit seinem Wechsel 1994 zum FC Bayern für die damalige Bundesliga-Rekordablöse eines Torwarts (4,6 Millionen D-Mark) in neue Dimensionen führte. Achtmal wurde Kahn bis zu seinem Karriereende 2008 dort Meister, zudem sechsmal DFB-Pokal-Sieger und als Höhepunkt 2001 Gewinner der Champions League, als er im Finale gegen den FC Valencia drei Elfmeter parierte.
Dreimal wurde er als Welttorhüter ausgezeichnet, bei der WM 2002 in Japan und Südkorea gar als bis heute einziger Torwart zum besten Spieler gekürt.
Der Boulevard erhob ihn zu "King Kahn" und zum Torwart-Titan, auch ohne maßgebliches Mitwirken an einem großen Titel der DFB-Auswahl. Den Gewinn des EM-Titels 1996 erlebte er als Reservist der Nationalmannschaft, für die er zwischen 1993 und 2006 86 Spiele bestritt.
Kahn sah sich als "wildes Tier" auf dem Platz
Wenn Kahn nun seinen 50. Geburtstag feiert, wird auch und vor allem an seinen einzigartigen Ehrgeiz erinnert, ohne den er kaum zum gefürchteten Ballfänger geworden wäre.
Im Ligagedächtnis geblieben sind dabei auch seine Ausbrüche. Wie seine Annäherung im April 1999 an den Hals von Borussia Dortmunds Stürmer Heiko Herrlich, gefolgt nur Minuten später von seiner Kung-Fu-Einlage gegen Stéphane Chapuisat. Als "Höhepunkt meiner Aggressionen, die sich je in mir entladen haben", sollte er diese Aktionen später einstufen und sich selbst mit einem "wilden Tier" vergleichen.
Ähnlich legendär waren seine markanten Aussagen vor laufenden Kameras. "Eier, wir brauchen Eier", sagte er 2003 nach einer 0:2-Niederlage beim FC Schalke. Zwei Jahre zuvor, bei der Last-Minute-Meisterschaft in Hamburg samt entrücktem Eckfahnenjubel, wurde sein Lebensspruch "Weiter, immer weiter" zum Markenzeichen. Auch deshalb, weil ihn heftige Rückschläge zusätzlich anstachelten.
Rummenigge glaubt an Kahn als Bayern-Boss
Wie 1999, als er durch zwei Gegentore in der Nachspielzeit die "Mutter aller Niederlagen" im Finale der Champions League gegen Manchester United erlebte (1:2).
Auch in seiner zweiten Karriere im ZDF seit 2008 und als Geschäftsmann für Torwart-Förderprogramme trieb ihn sein Ehrgeiz an. Nach anfänglicher Kritik gelang ihm die Wandlung vom verbissenen Profi zum souveränen Experten. So gibt er sich nun auch in Bezug auf seine dritte Karriere.
Und beim FC Bayern sind sie überzeugt, in ihm den richtigen Fachmann für die Zeit nach Rummenigge und Hoeneß gefunden zu haben. "Ich glaube, dass er ein guter Nachfolger sein wird", sagte Rummenigge gerade der Sport Bild über Kahn, der nun "gelassener" sei. Nach einer Eingewöhnungszeit könne dieser "das Schiff Bayern München (…) erfolgreich als Kapitän steuern". Kahns Respekt vor seiner vielleicht größten Herausforderung kann dabei nicht schaden.