Was will St. Pauli? Welche Folgen drohen?
Die Hamburger haben in einem Antrag vom 10. November, den der kicker in Auszügen veröffentlichte, von der DFL gefordert, Werksklubs komplett von der Verteilung der Einnahmen aus der Fernsehvermarktung sowie der Gruppenvermarktung (adidas-Ligaball, Hermes-Ballbote, Krombacher) auszuschließen.
Konkret würde das vier Klubs betreffen: Bayer Leverkusen und den VfL Wolfsburg als 100-prozentige Töchter der Konzerne Bayer bzw. Volkswagen, die TSG 1899 Hoffenheim unter Mäzen und Mehrheitseigner Dietmar Hopp sowie Hannover 96, wo Präsident und Geldgeber Martin Kind nach 20 Jahren an der Spitze eine Ausnahme der "50+1"-Regel nutzen und sein Engagement ausweiten könnte.
Für diese Saison schüttet die DFL aus der zentralen Vermarktung insgesamt 850 Millionen Euro an die Vereine aus. 170 davon (20 Prozent) gehen in die Zweite Liga, Leverkusen, Wolfsburg, Hoffenheim und Hannover bekommen zusammen 140 Millionen Euro - würde St. Paulis Antrag akzeptiert, würden dem Quartett diese Einnahmen entgehen.
Warum fordert St. Pauli den Ausschluss?
St. Pauli äußert sich bisher nicht öffentlich zum Antrag, Medienchef Christoph Pieper erklärt auf SPORT1-Anfrage: "Es gibt kein Statement und wird auch voraussichtlich am Montag keines geben."
Hintergrund des Vorstoßes dürfte aber sein, dass die von der 50+1-Regel ausgenommenen Klubs zusätzlich über Großinvestoren wie Konzerne oder Mäzene erhebliche monetäre Vorteile nutzen können. Diesen Umstand will St. Pauli ändern und durch die Wegnahme des Vermarktungsgeldes zurück zu mehr Chancengleichheit.
Was bekommen die Werksklubs zusätzlich?
Wolfsburg soll von VW aktuell pro Saison um die 90 Millionen Euro bekommen, mit insgesamt 90 Millionen kaufte der Konzern über Audi 2009 zudem 9,09 Prozent der Anteile am FC Bayern.
Leverkusens Fußballer bekommen als 100-prozentige Tochter des Bayer-Konzerns offiziell aus Werbezwecken jährlich 25,2 Millionen. Zum tatsächlichen Umfang der finanziellen Unterstützung macht Bayer keine Angaben.
Dietmar Hopp pumpte bisher mehreren Berichten zufolge über 350 Millionen in sein Herzensprojekt Hoffenheim.
Kind kann in Hannover 2017 wie zuvor schon Hopp in Hoffenheim die 50+1-Regel umgehen, weil er sich dann ebenfalls 20 Jahre für den Klub engagiert hat.
Welche Folgen hätte St. Paulis Antrag?
Gravierende. Nicht nur, dass das genannte Quartett komplett von den Einnahmen ausgeschlossen würde. Diese Regelung wäre der Anfang vom Ende der Solidargemeinschaft aller 36 Profiklubs.
Hannover-Boss Kind erklärt bei SPORT1 sogar, die Zentralvermarktung wäre dann nicht mehr möglich.
"Es würde dann zur Einzelvermarktung kommen", führt der 71-Jährige aus: "Es würde Gewinner geben, extrem Bayern München, und es würde Verlierer geben. Das wäre insbesondere die Zweite Liga, die kaum noch Chancen hat, sich selbst zu vermarkten."
Wolfsburgs Geschäftsführer Klaus Allofs warnt in einem Vereinsstatement sogar: "Für die gesamte Bundesliga wäre dies eine schädliche Entwicklung, die die Grundwerte des Erfolgs des deutschen Profifußballs in Gefahr bringen würde."
Wie beispielsweise in Spanien Real Madrid und der FC Barcelona könnten auch in Deutschland die großen Klubs Bayern und Dortmund noch mehr Geld abschöpfen, St. Pauli gefährde "die wirtschaftlichen und finanziellen Interessen aller Klubs und sägt am Ast, auf dem die Vereine der Zweiten Liga sitzen", warnen Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim und Hannover in einem gemeinsamen Schreiben vom 19. November an die DFL.
Grundsätzlich profitiert die Zweite Liga vom aktuellen Modell, gerade St. Pauli ist aber in zweifacher Hinsicht eine Ausnahme. Zum Einen ist die Marke St. Pauli nicht nur locker auf Erstliganiveau, sondern deutschlandweit in der Spitze. In einer Studie der TU Braunschweig zur Markenlandschaft 2015 rangiert der Millerntor-Klub hinter Dortmund, Gladbach und Bayern schon auf dem vierten Platz.
Zum Anderen wissen die Hamburger mit Geschäftsführer Andreas Rettig einen ausgewiesenen Experten in Sachen Vermarktung und Fernsehgelder in ihren Reihen: Von Januar 2013 bis Anfang 2015 war er selbst Geschäftsführer der DFL.
Leverkusens Sportchef Rudi Völler attackierte ihn für den Vorstoß scharf. "Das ist ein typischer Rettig. Er macht das, was er gerne tut: Er gibt ein bisschen Schweinchen schlau", sagte Völler vor dem Abflug zum Champions-League-Spiel bei BATE Borissow. Rettig war einst auch viele Jahre für den Werksklub tätig.
Wie realistisch ist die TV-Revolution?
Nicht sonderlich. Neben Kind erklärt Allofs, "dass dieser Antrag gegen die gültige Satzung verstößt".
Für Kind ist St. Paulis Vorstoß daher "ein unüberlegter Antrag ohne die Probleme und Auswirkungen wirklich zu Ende zu überlegen."
Auch wenn sich vielleicht einige Traditionsvereine auf St. Paulis Seite schlagen - eine Mehrheit aus den 36 DFL-Klubs für den Antrag, der auf der Mitgliederversammlung am 2. Dezember im Frankfurter Marriott Hotel diskutiert wird - ist dann doch sehr unwahrscheinlich. Zu groß wären die Nachteile gerade für kleinere Klubs.
Auch deshalb hat St. Pauli offenbar schon Plan B in der Tasche. Nach kicker-Informationen will der Verein auf der Mitgliederversammlung eine abgespeckte Version seines Antrags anbieten. Dieser würde beinhalten, dass die betroffenen Vereine nicht gänzlich von den Einnahmen ausgeschlossen werden, sondern lediglich Abschläge in Kauf nehmen müssen.
In jedem Fall dürfte es in Frankfurt hitzige Diskussionen um St. Paulis Vorstoß geben.