Es war ja eigentlich ein ziemlicher Hammer, den Arsene Wenger ausgepackt hat zum Thema Doping und Fußball.
Die Dopingwunde des Fußballs
"In 30 Jahren als Trainer habe ich meinen Spielern nie ein Produkt verabreicht, das zur Verbesserung ihrer Leistung führt. Ich bin stolz darauf", hielt der Trainer des FC Arsenal vor zwei Monaten im Interview mit der Zeitung L'Equipe fest: "Ich habe gegen viele Teams gespielt, die das nicht so gesehen haben."
Dopende Teams also. Viele. Über drei Jahrzehnte hinweg. Ein recht schwerer Vorwurf, vorgetragen nicht von irgendwem, sondern von einem der angesehensten Fußballtrainer der Welt.
Wengers Aussagen haben die Fußballwelt trotzdem nicht unbedingt erschüttert. Ein paar Tage Aufregung, die sich dann recht schnell wieder gelegt hat.
Berechtigterweise? Absolut, zumindest wenn man den offiziellen Verlautbarungen Glauben schenken möchte.
UEFA: Fußball ist dopingfrei
Der Fußball ist dopingfrei, behauptet Europas Fußballverband in einem umfangreichen Frage- und Antwort-Dossier, das er kurz nach Wengers Interview veröffentlicht hat.
"Die UEFA wird niemals Doping akzeptieren und immer an vorderster Front dafür kämpfen, dass der Fußball dopingfrei bleibt", heißt es darin. Sichergestellt sei das durch "ein dynamisches, facettenreiches und intelligentes Programm, dem die teilnehmenden Klubs, Spieler und sogar Trainer voll und ganz vertrauen können".
Zu Beginn der laufenden Saison ist es auch erst verschärft worden: Ein biologischer Pass zur langfristigen Analyse von Blut- und Urinwerten der Spieler wurde eingeführt, Übereinkünfte mit diversen nationalen Anti-Doping-Agenturen geschlossen.
Seit Jahresbeginn läuft zudem ein spezielles Testprogramm, dem sich alle potenziellen EM-Spieler unterwerfen müssen, auch beim Turnier in Frankreich soll genauer als bisher kontrolliert werden. Vom "größten Anti-Doping-Programm in der Geschichte des europäischen Fußballs" spricht die UEFA.
Experte Simon: Testsystem untauglich
Klingt gut. Ist es aber nicht, findet ein renommierter Doping-Experte im Gespräch mit SPORT1(das komplette Interview online und in der SPORT1-App).
"Ein Feigenblatt" ist der biologische Pass für Professor Dr. Dr. Perikles Simon, Leiter der Abteilung Sportmedizin an der Universität Mainz. Generell hält er das ganze Testsystem im Fußball und anderswo für eine "riesige Geldverschwendung" - zu gering sei der Anteil der Betrüger, dem es wirklich auf die Spur kommen könne.
"Die Testverfahren hinken den Betrugsverfahren schlicht um Jahre hinterher", sagt Simon: "Einen Spitzenathleten, der pro Jahr nur 10.000 Dollar ins Betrügen investiert und in Verfahren, wie er den Betrug verschleiert, kann man nicht durch einen positiven Test erwischen." Außer er begehe eine Dummheit.
Einem Fußballer ist das System im vergangenen Herbst jedenfalls auf die Spur gekommen: Arijan Ademi, positiv getestet bei einer Champions-League-Partie seines Vereins Dinamo Zagreb - gegen Wengers FC Arsenal.
Sperre mit fadem Beigeschmack
Zagreb zeigte sich überrascht, dass in Ademis Körper das Steroid Stanozolol gefunden wurde, "weil Ademi dieses Jahr sechsmal kontrolliert wurde und die Resultate jedes Mal negativ waren". Die UEFA sperrte den Mittelfeldspieler für vier Jahre.
Ein strenges Durchgreifen - trotzdem hinterließ es einen faden Beigeschmack bei Wenger wie bei Simon.
Trotz des Dopingfundes blieb nämlich das Ergebnis des Spiels, ein 2:1-Sieg Zagrebs, unangetastet. "Das ist doch verrückt", findet Simon. Wenger kritisierte das Signal, dass "die UEFA Doping damit im Grunde akzeptiert".
Der Verband sieht das anders, verweist auf den Code der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA - der tatsächlich nicht festschreibt, dass bei einem Dopingfall die ganze Mannschaft bestraft werden muss.
Warum die UEFA nicht dennoch einfach härter durchgreift? Simon vermutet, dass es gar nicht im Interesse des Verbands ist. Er sieht "vor allem den Mechanismus, dass man das Thema zur Ruhe bringen möchte".
Fußball nicht großflächig dopingverseucht
Simon selbst geht nicht davon aus, dass der Fußball großflächig dopingverseucht ist. Dieser Zustand sei eher typisch für Sportarten, "wo Sportler die Besten der Welt werden wollen, die Elite der Elite sein wollen".
Diese Art von Wettbewerbsdruck gebe es im Fußball so nicht - anders als in der Leichtathletik - zu der es am Donnerstag einen neuen Skandalreport der WADA geben wird.
Der Professor fürchtet allerdings schon, dass es im Fußball mehr Doping gibt, als dessen Offizielle wahrhaben wollen.
UEFA-Studie liefert Doping-Indizien
Ein Indiz dafür lieferte kürzlich eine Studie, die die UEFA selbst veranlasst hatte - und die kurz nach den Regelverschärfungen im Herbst publik wurde.
In anonymisierten Urinproben von Spitzenfußballern aus den Jahren 2008 bis 2013 wurden dort auffällige Testosteronwerte gefunden wurden, ein möglicher Hinweis auf Steroiddoping. Betroffen waren 7,7 Prozent, also einer von 13 Getesteten.
Ein Anlass, genauer hinzusehen
Simon zweifelt zwar daran, dass die Studie methodisch sauber durchgeführt wurde - trotzdem sieht er sie als Anlass, genauer hinzuschauen. Nicht mit mehr Tests, Blutpass und ähnlichem, "man muss mit staatsanwaltschaftlichen Methoden ran".
Wo es Anhaltspunkte gebe, "wie eben im Fall Ademi, müsste ein Strafverfolger sich das genauer angucken. Nichts anderes hat im Radsport zum Auffliegen der großen Dopingaffären und ihrer Hintermänner geführt".
Aus dieser Erfahrung hat der Fußball aus Simons Sicht bis heute nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Der Professor findet das fatal. Es werde - zu Lasten der fairen Athleten - ein System erhalten, "in dem der Generalverdacht gedeiht".
Ein Verdacht, wie ihn offensichtlich auch Arsene Wenger hegt.