Aller guten Dinge sind drei. Das wird sich wohl auch Tomas Oral vor den beiden Relegationsspielen gegen den VfL Osnabrück (Hinspiel am Donnerstag ab 18.15 Uhr im LIVETICKER) denken. Dieses Mal soll es nämlich endlich für den 48 Jahre alten Trainer des FC Ingolstadt mit dem Aufstieg in die 2. Bundesliga klappen.
Oral: "Ich hätte es Mölders gegönnt"
2019 scheiterte Oral mit dem FCI in der Relegation an Wehen Wiesbaden und musste in die 3. Liga absteigen. 2020 zogen die Ingolstädter gegen den 1. FC Nürnberg den Kürzeren und blieben drittklassig. Vor den beiden Duellen mit dem VfL gab Oral SPORT1 das einzige Interview.
SPORT1: Herr Oral, das letzte Saisonspiel gegen 1860 war ein heißer Ritt mit einem positiven Ausgang für Sie und Ihr Team. Konnten Sie inzwischen komplett runterkommen? (Tabelle der 3. Liga)
Tomas Oral: Wir waren auch vor und nach dem Sieg gegen die Löwen gelassen, weil wir absolut überzeugt sind von uns und von dem, was wir in den zurückliegenden Monaten gemacht haben. Diese Saison war keine Selbstverständlichkeit nach dem Kraftakt in der Relegation im vergangenen Jahr gegen Nürnberg. Auch die sehr schwierige Vorbereitung nach dieser Enttäuschung war nicht leicht. Wir haben eine sehr junge Truppe, die in der regulären Saison kontinuierlich oben stand und trotzdem nochmal gewachsen ist. Deshalb war gegen 1860 die Anspannung da, aber wir waren alle davon überzeugt, dass wir die Situation meistern.
Oral will KSC-Zeit nicht missen
SPORT1: Vor Ihrer zweiten Amtszeit beim FCI hatten Sie 2016 keine glückliche Zeit beim Karlsruher SC. Heute nimmt man Sie anders wahr.
Oral: Auf jeden Fall. In Karlsruhe hatten wir einen großen Umbruch und wenn in einer holprigen Phase der Manager ausgetauscht wird, dann ist es klar, dass die Uhr auf Null gestellt wird. Es folgte ein Neustart und das war schon ein bisschen unglücklich. Trotzdem möchte ich die Zeit nicht missen, weil ich da unglaublich viel herausgezogen und tolle Menschen kennengelernt habe.
SPORT1: Sie sind zum dritten Mal in Ingolstadt, spielen mit den Schanzern zum dritten Mal hintereinander die Relegation. Schon etwas Besonderes, oder?
Oral: Beim FCI hatten wir in der ersten Amtszeit fast nur Erfolg, konnten den Verein konsolidieren und auf einen guten Weg bringen. 2019, als ich dann zum zweiten Mal zum FCI kam, habe ich eine Harakiri-Situation übernommen. Wir hatten damals in der 2. Liga fast keine Chance mehr und es gab jede Woche ein brutales Endspiel. Für Thomas Linke und mich war klar, dass es seinerzeit nach der Saison wieder in eine andere Richtung gehen würde. Und jetzt war die dritte Amtszeit dem geschuldet, dass der Klub Veränderungsbedarf sah. Unser gemeinsames Ziel seitdem ist es, dass der Klub immer auf gesunden Beinen steht, was das Spielermaterial angeht - egal, was passiert. Kamikaze-Aktionen mit 20 neuen Spielern darf es nicht mehr geben.
SPORT1: Es gibt vor allem sehr viele junge Spieler...
Oral: Ganz genau. Das ist unser Faustpfand. Unser NLZ liefert nachhaltig Talente in die erste Mannschaft. Und bei den jungen Spielern, die wir haben, ist es nicht selbstverständlich, dass sie in der 3. Liga sofort Fuß fassen. Da gehört viel Aufbauarbeit dazu. Doch es gibt bei uns schon das ein oder andere Juwel.
SPORT1: Nicht selbstverständlich war sicher, dass das Team nach dem Drama gegen Nürnberg in dieser Runde von Beginn an oben dabei war. Wie haben Sie das hinbekommen?
Oral: Es waren viele Gespräche zur Aufarbeitung der Situation notwendig. Wir lagen am Boden und sind wieder aufgestanden. Der wichtigste Faktor war dann, dass wir länger Urlaub gemacht haben und gleich auch wieder das Ziel ausgegeben haben, aufsteigen zu wollen. Mit einer Mannschaft, die Entwicklungspotenzial hat. Das war ein Prozess, bei dem jeder wusste, in welche Richtung wir gehen wollen. Wir wollten uns nicht wochenlang in den Armen liegen und rumheulen. Stattdessen richteten wir den Blick ganz klar nach vorne, ohne wenn und aber.
"Eine zweite Heimat"
SPORT1: Was ist der FCI für Sie?
Oral: Mit dem Klub verbinde ich längst eine zweite Heimat. Es gibt ja immer den Wunsch, Identifikation zu leben. Und das wird schwer, wenn du Jahr für Jahr ein anderes Wappen auf dem Shirt hast. Ein großes Geheimnis im Fußball ist für mich die Identifikation. Deshalb sind die großen Vereine, die das vorleben, sehr erfolgreich. In meiner ersten Amtszeit war ich noch sehr jung und bin jetzt immer noch nicht der älteste Trainer. Und weil die erste Zeit in Ingolstadt sehr erfolgreich war, wurde 2019 noch mal daran gedacht und mit mir der letzte Strohhalm in der 2. Liga gezogen. Da haben wir überdurchschnittlich performt und mit einer sehr guten Truppe wieder regelmäßig die Spiele gewonnen.
SPORT1: Und persönlich?
Oral: Ich habe vom ersten Tag an gewusst, dass ich beim FCI willkommen bin und dass der Verein mit mir alles dran setzen wollte das Unmögliche möglich zu machen. So entstand für uns ein Wir-Gefühl, das man in so einer kurzen Zeit selten erlebt. Deshalb war es für mich beim dritten Anruf keine Frage, dass ich das wieder mache. Ich fühle mich mit dem Klub und den Leuten sehr verbunden.
SPORT1: Wie haben Sie sich verändert in den Jahren?
Oral: Wenn ich ausreichend Zeit hatte, habe auch ich mit Mannschaften immer das Maximale erreicht. Und natürlich bin ich erfahrener geworden. Meine erste Zeit in Ingolstadt liegt zehn Jahre zurück. Dann hatte ich durch den Verlust meiner Mutter einen privaten Schicksalsschlag, der mich damals sehr nachdenklich gemacht hat. Wenn du in jungem Alter deine Mama verlierst, dann ist das ein Schlüsselmoment im Leben. Das hat mich zwischenmenschlich reifen lassen. Ich habe Erfahrungen mit großen Trainern sammeln dürfen. So fühlte ich mich immer in meiner Arbeit bestätigt. Das hat mir Ruhe gegeben, obwohl ich 2019 beim FCI enormen Druck hatte. Da war ich schon sehr ausgepowert.
"Natürlich hat mir der Fußball geholfen"
SPORT1: Hat der Fußball Ihnen nach diesem Verlust geholfen?
Oral: Natürlich hat mir der Fußball geholfen. Aber auch mein privates Umfeld. Ich hatte damals viel Zeit, um mich zu reflektieren. Auch, weil ich zu der Zeit keinen Job als Trainer hatte. Da habe ich gelernt, gewisse Dinge im Leben gelassener zu sehen.
SPORT1: Gelassen hat der FCI auf die Sticheleien der Sechziger vergangene Woche reagiert. Sie sagten im Vorgespräch, das das zum Fußball dazu gehört. Wirklich?
Oral: Ja. Man muss ja auch die Umstände sehen. Die Löwen hatten sehr viel Selbstbewusstsein getankt und der Verein hat durch die sportliche Führung eine gewisse Ruhe bekommen. Sie haben viele junge, interessante Spieler, mit denen sie einen tollen Lauf hatten. Das musst du als Gegner erstmal schaffen zu durchbrechen. Sechzig hat eine individuelle Klasse mit Spielern, die in der 1. Liga schon Erfahrung gesammelt haben. Und sie haben mit Sascha Mölders einen Stürmer, der in der alten Saison eine unglaubliche Trefferquote hatte. Und deshalb kamen sie sehr selbstbewusst daher. Trotz allem waren wir überzeugt davon, sie in Schach halten zu können. Es ist im Leben oftmals so, dass der eine redet und der andere macht. Das war unser Credo am vergangenen Samstag.
SPORT1: Hat Ihnen Sascha Mölders leidgetan? Er hat nach dem Spiel Rotz und Wasser geheult.
Oral: Nein, aber natürlich verstehe ich seine Enttäuschung. Ich kenne ihn ein bisschen. Er spielte lange bei meinem Heimatverein FSV Frankfurt und war in seinem Jahrgang immer ein Topstürmer, der viel erreicht hat. Und ganz ehrlich? Ich hätte es Sascha auch gegönnt, weil es eine außergewöhnliche Geschichte gewesen wäre. Aber es gab mit uns noch einen Gegner, der das gleiche Ziel hatte. Aber wir konnten das Momentum auf unsere Seite ziehen und haben verdient gewonnen. 1860 ist dennoch ein sympathischer Verein, der die Fußballwelt mit Leben füllt.
SPORT1: Sie sind Mr. Relegation. Ist das ein besonderer Nervenkitzel, den Sie brauchen?
Oral: (lacht) Es war in der abgelaufenen Runde in allen Tabellen-Regionen eine ganz enge Kiste. Wenn du lange oben stehst und den Aufstieg nicht schaffst, ist das schon tragisch. Fragen Sie mal beim HSV, bei Werder oder Schalke nach. Die wären gerne in unserer Situation und würden alle sehr gerne auf einem Relegationsplatz stehen, um ihre Ziele noch zu erreichen. Wir freuen uns auf beide Spiele, weil wir auch wissen, dass es nicht selbstverständlich war in dieser Spielzeit von Anfang an oben mitzumischen. Es zahlt sich jedenfalls aus, dass in Ingolstadt auf Kontinuität und Nachhaltigkeit gesetzt wird. Die handelnden Personen gehen verantwortungsvoll mit den Ressourcen um.
FCI eine Geldmaschine? "Das ist absurd!"
SPORT1: Ist der FCI also nicht die Geld-Maschine, für den ihn die Kritiker immer gehalten haben?
Oral: Das ist absurd. Das sind wir nicht. Wir haben in der jüngsten Vergangenheit viel an Sympathien gewonnen. Die Kenner der Szene sehen auch, dass bei uns nicht mit Geld um sich geworfen wird. Wir haben Spieler wie Röhl, Bilbija, Butler, Canigia-Elva, Keller, Kaya oder Sussek in unseren Reihen haben, die ihre Zukunft noch vor sich haben und eine Basis für den Klub sind, das wird oftmals verkannt. Ich habe selten einen Verein gesehen, der in der 3. Liga so viele Jungs aus der eigenen U19 integrieren konnte.
SPORT1: Wie gehen Sie jetzt mit Ihrem Team emotional um vor dem ersten Relegationsspiel zu Hause gegen Osnabrück?
Oral: Die Jungs wissen, worauf es unter Stress und Druck ankommt. Wir sind nicht der Favorit, das ist in der Relegation der Zweitligist. Wir werden unsere Marschroute beibehalten und uns auf unsere Stärken besinnen. Aber wir haben Respekt vor Osnabrück, die auch den einen oder anderen erfahrenen Spieler in ihren Reihen haben.
SPORT1: Würden Sie lieber zuerst auswärts spielen?
Oral: Wir nehmen es, wie es kommt. Wir können es ohnehin nicht ändern. Wir sind heiß auf die Relegation und es ist schön, dass der FCI in Deutschland wieder präsent ist. Jeder normale Fußballfan wird auf dieses Spiel schauen. Das werden zwei hoch interessante Partien.
SPORT1: Der Druck liegt vielleicht etwas mehr beim VfL, weil Sie schon durch 1860 mit Druck umgehen mussten?
Oral: Beide Teams haben denselben Druck, weil sie dasselbe Ziel haben. Ganz klar ist, dass wir in diese hochkarätige 2. Bundesliga wollen.