Die "Barney Army" versuchte lautstark, ihren gefallenen Helden noch ein allerletztes Mal aufzumuntern.
Barneys gnadenlose Abrechnung
Doch der am Boden zerstörte Raymond van Barneveld war nach dem traurigen Schlusspunkt seiner glanzvollen Karriere untröstlich. Der Frust über die schmachvolle Auftaktniederlage bei der Darts-WM (JETZT im LIVESTREAM) saß sichtlich tief - mit hängenden Schultern starrte die niederländische Ikone ins Leere und schüttelte immer wieder den Kopf, dann ging sie hart mit sich ins Gericht.
"Ich habe in der ersten Runde nach einem desaströsen Jahr verloren. Das werde ich mir niemals verzeihen. Niemals", stammelte der fünfmalige Weltmeister im Londoner Alexandra Palace ins Mikrofon von Sky Sports, nachdem seine Karriere gegen den stark aufspielenden US-Außenseiter Darin Young (1:3) überraschend jäh ihr Ende gefunden hatte.
Dass kurz darauf auch Ex-Weltmeister Rob Cross sang- und klanglos ausschied, ging in der "Barney"-Tristesse völlig unter. "Die Dämonen haben erneut gewonnen. Ich bin ein Verlierer", meinte er zur PDC.
Barney: "Werde mich jeden einzelnen Tag hassen"
Der Niederländer hatte überhaupt keine Lust, sich an große Momente zu erinnern. Stattdessen: Frust pur - und eine gnadenlose Selbstabrechnung.
"Wenn du in den vergangenen beiden Jahren in der ersten Runde verlierst, bist du ein Amateur. Dann gehörst du nicht in dieses Spiel", sagte van Barneveld nach dem Aus gegen den US-Nobody: "Ich gehöre nicht mehr auf dieses hohe Niveau. So fühle ich mich auch. Das werde ich mir für den Rest meines Lebens sagen."
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Für seinen glanzlosen Abschied werde er sich "jeden einzelnen Tag hassen". Selbst ein Dank an seine Fans ging ihm zunächst nicht über die Lippen, per Tweet holte er das nach.
"Ich konnte mit dem Druck meines letzten Turniers nicht umgehen. Vielleicht wollte ich es zu sehr. Meine Fans habe mich inspiriert, aber ich habe sie enttäuscht. Meine Liebe für euch wird niemals enden."
Schlusspunkt als Befreiung?
Der Schlusspunkt wird für Barneveld eine Befreiung sein. Er hatte seine Karriere schon zweimal in den vergangenen Jahren für beendet erklärt, um sich dann - auch nach Einwirken seines Umfeldes - doch noch mal zusammenzureißen.
Womöglich bereut der Niederländer inzwischen seine Rückzieher, er hätte sich einige Qualen und Enttäuschungen erspart.
Bereits seit vielen Jahren leidet van Barneveld an Diabetes, er war schon wegen Depressionen in Therapie, die immer häufigeren Niederlagen raubten ihm den Spaß am Sport.
"Es ist nicht nur die Diabetes-Erkrankung (…). Ich habe Probleme mit den Augen und sehe teilweise verschwommen. Es kommen auch private Geschichten dazu. Bei mir zuhause wurde eingebrochen, da konnte ich nicht für meine Frau und Familie da sein. Ich habe im letzten Jahr vier gute Freunde verloren und konnte bei keiner Beerdigung sein, weil ich irgendwo im Flugzeug saß", haderte Barney im Februar dieses Jahres in einem Interview von Spox und DAZN.
Van Barneveld: "Ekele mich selbst an"
Schon im Vorjahr war er beim Spektakel im Alexandra Palace in seiner Auftaktpartie am relativ unbekannten Litauer Darius Labanauskas gescheitert. Es folgte eine von Formtiefs und Motivationsproblemen geprägte Abschiedssaison, wenngleich er sich bei der Generalprobe für die WM, Players Championship Finals, gut präsentierte.
Seinem Selbstvertrauen gab das aber offenbar keinen zusätzlichen Schub, sein letzter Turniersieg gelang ihm vor fünf Jahren.
"Ich habe große Hoffnungen in diese Weltmeisterschaft gesetzt, aber dann bin ich schon in der ersten Runde ausgeschieden. Schrecklich. Ich ekele mich selbst an", wird er in niederländischen Medien zitiert.
Auch wenn er es nicht wahrhaben wollte, hinterlässt van Barneveld im Darts ein gewaltiges Vermächtnis.
Barney verdrängt seine großen Leistungen
Als einfacher Postbote aus Den Haag wurde er zum mehrfachen Millionär, mit vier WM-Titeln bei der British Darts Organisation (BDO) versetzte er seine Heimat um die Jahrtausendwende ins Pfeile-Fieber. Unsterblich wurde "Barney" aber nach seinem Wechsel zur lukrativeren Professional Darts Corporation (PDC), als er direkt ins WM-Finale einzog und sich am 1. Januar 2007 gegen Rekordweltmeister Phil Taylor im wahrscheinlich besten Spiel der Geschichte die Krone aufsetzte.
Doch selbst die Erinnerung an solche Sternstunden vermochte seinen Frust nicht zu vertreiben. "Was habe ich erreicht? Gar nichts", meinte er. Seine großen Triumphe seien "Vergangenheit", und dramatisch fügte er an: "Ich kann von diesem Punkt an nicht mehr mit mir selbst leben, nie wieder." Während der 16-malige Champion Taylor seine Karriere vor gut zwei Jahren mit einem weiteren WM-Finale beendete, verabschiedete sich van Barneveld mit dem "schlimmsten Jahr meines Lebens".
Gefeiert wurde er im Tollhaus Ally Pally trotzdem. Von seinem letzten Walk-on zur Rocky-Hymne "Eye of the Tiger" bis zum traurigen Abgang stand die "Barney Army" hinter ihm. Und wenn van Barneveld dann künftig mit seinen drei Enkelkindern herumtollt, wird er vielleicht doch mit einem Lächeln zurückblicken.