In den schweren Stunden des Lebens ist es gut, Freunde zu haben.
Federer hilft Zverev aus dem Loch
Besser ist es, wenn Roger Federer dazugehört. Als Alexander Zverev nach seiner nächsten Grand-Slam-Pleite völlig niedergeschlagen durch die Katakomben der Rod-Laver-Arena in Melbourne schlich, tauchte plötzlich der Maestro aus der Schweiz auf, klopfte dem jungen Hamburger aufmunternd auf die Schulter und fand die passenden Worte.
"Lerne aus deinen Fehlern"
"Ich habe ihm gesagt, sei geduldig. Setz dich nicht unter unnötigen Druck. Lerne aus deinen Fehlern", berichtete Federer. Er riet Zverev: "Bleib ruhig, verbuddel dich nicht in einem Loch. Dafür gibt es keinen Grund."
Federer hoffte, "ein paar nette Worte würden ihn aufmuntern, damit er über die Niederlage ein paar Stunden eher hinwegkommt als normalerweise."
Tatsächlich schien das kurze Gespräch magische Wirkung zu haben. "Ich hatte zwei Minuten mit Roger", erzählte Zverev später, "er hat mir sehr geholfen."
Schon eine Stunde nach der bitteren Fünfsatzniederlage in der dritten Runde der Australian Open gegen den Südkoreaner Chung Hyeon wirkte Heißsporn Zverev aufgeräumt wie selten zuvor nach einem Rückschlag. Seine Grand-Slam-Misere analysierte der Weltranglistenvierte ohne Ausflüchte und Wehklagen.
"Wer hat schon mit 20 ein Grand Slam gewonnen?"
"Diese Turniere bedeuten mir noch zu viel. Bei den Masters bin ich nach meinen zwei Titeln ruhig", sagte er: "Aber ich mache mir keine Sorgen. Wer hat schon mit 20 Jahren ein Grand-Slam-Turnier gewonnen?" Federer jedenfalls nicht, und heute, 16 Jahre später, spielt er um seinen 20. Titel, ist der erfolgreichste Spieler der Geschichte und darf im Kabinengang weise Ratschläge verteilen.
Es sei schlauer, "zuerst auf das Viertel- oder Halbfinale zu schauen" und nicht mit dem Anspruch auf den Titel zu den größten Turnieren zu fahren, sagte Federer und hielt Zverev damit den Spiegel vor.
Dessen Entwicklung hatte im vergangenen Jahr derart rasant an Fahrt aufgenommen, dass die Erwartungen stiegen und die üblichen Probleme einer jungen Karriere aus dem Blick gerieten.
Becker mit schonungsloser Analyse
In seiner Funktion als Eurosport-Experte sprach Boris Becker die Schwachpunkte schonungslos an. "Man hat das Gefühl, bei Zverev gibt es derzeit nur ein A-Spiel, kein B und kein C. Irgendwann stellt sich der Gegner darauf ein", sagte der Chef-Berater der deutschen Tennis-Herren. Und auch Davis-Cup-Teamchef Michael Kohlmann mahnte an, dass es Zverev in kritischen Situationen oft mit der Brechstange versuche.
"Viele wissen mittlerweile, wie sie gegen Sascha spielen müssen. Das ist doch klar: Er ist ein Topspieler, damit beschäftigen sich die Konkurrenten", sagte Kohlmann, der hofft, seiner Nummer eins die perfekte Frustbewältigung bieten zu können.
Der Davis Cup in Brisbane (2. bis 4. Februar) sei "eine gute Chance für Sascha, die Australien-Reise mit einem Highlight abzuschließen", sagte Kohlmann: "Unsere Aufgabe ist es, ihm diese Chance schmackhaft zu machen. Dafür haben wir noch ein paar Tage Zeit."