Marcel Kittel fiel nach dem neuerlichen Rekord-Coup jedem Teamkollegen einzeln um den Hals, dann schloss sich ein Jubelkreis um den freudestrahlenden Sprintkönig der Tour de France: Eiskalt war der Thüringer zuvor bei der 104. Frankreich-Rundfahrt zum fünften Etappensieg gerast.
Kittel holt sich fünften Sieg
Mit der erneuten Galavorstellung im Massensprint von Pau stellte Kittel die 40 Jahre alte deutsche Bestmarke von Didi Thurau ein, der 1977 ebenfalls fünfmal triumphiert hatte.
"Im Moment kommt alles zusammen, es stimmt einfach alles. Das fühlt sich so geil an, wenn alles passt", sagte der 29 Jahre alte Quick-Step-Profi, der nach 203,5 km am Fuße der Pyrenäen im Massensprint vor dem Niederländer Dylan Groenewegen und dem Norweger Edvald Boasson Hagen lag: "Ich hatte super Beine und wieder das richtige Gefühl für die Hinterräder. Wahnsinn!"
Kittels Sieg mit historischem Ausmaß
Der historischen Tragweite seiner Vorstellung war sich Kittel da noch gar nicht bewusst. Als erster Fahrer seit 108 Jahren (!) hat der Arnstädter mindestens fünf der ersten elf Etappen gewonnen - das war zuletzt dem Luxemburger Francois Faber gelungen, 1909, in der Tour-Steinzeit.
Insgesamt hat Kittel nun 14 Tour-Erfolge auf dem Konto, den bisherigen deutschen Rekordmann Erik Zabel (12 Siege) hatte er bereits am Dienstag überflügelt.
In einem packenden Finale hatten die Sprintzüge erst 300 Meter vor dem Ziel den polnischen Ausreißer Maciej Bodnar vom deutschen Team Bora-hansgrohe geschnappt. Kittel musste einen weiten Weg fahren, schoss aber noch am viel zu früh jubelnden Boasson Hagen vorbei und machte das historische "Quintuple" perfekt.
Kittels Leistung spricht für sich
Andre Greipel, der auf den Tag genau sechs Jahre zuvor den ersten seiner elf Tour-Etappensiege gefeiert hatte, kam nach seiner "beschämenden Leistung" beim zwölften Platz am Vortag diesmal auf Rang sieben.
"Ich hatte einfach wieder nicht die Beine, simple Erklärung", sagte Greipel, der bei seiner siebten Tour erstmals ohne Etappensieg bleiben könnte und derzeit klar in Kittels Schatten steht: "Marcels fünf Siege sprechen für sich, da muss man nichts mehr sagen."
Kittel wandelt derweil auf den Spuren des "blonden Engels". Thurau hatte bei seiner glanzvollen Tour 1977, auf der er 15 Tage lang das Gelbe Trikot getragen hatte, auch in Pau gesiegt. Dort setzte sich der 20-jährige Sieg-Rhythmus der deutschen Profis fort: Nach Thurau und vor Kittel hatte hier 1997 Zabel feiern dürfen.
Fünf oder mehr Etappensiege bei einer einzigen Tour hatte vor Kittel in der Geschichte der Frankreich-Rundfahrt als einziger reiner Sprinter Mark Cavendish erreicht. Der Brite, der nach der dritten Etappe verletzt ausgestiegen war, gewann 2009 sechsmal, 2010 und 2011 sicherte er sich jeweils fünf Erfolge.
Grünes Trikot ist zum Greifen nahe
Bei noch drei Chancen auf einen Massensprint könnte Kittel "Cav" übertreffen - und sogar in Reichweite des Tour-Rekords kommen, den Charles Pelissier (1930), Eddy Merckx (1970/1974) und Freddy Maertens (1976) mit jeweils acht Siegen halten.
Dem pfeilschnellen Thüringer winkt die Krönung einer jetzt schon märchenhaften Tour. Seinen Vorsprung im Kampf in der Punktewertung baute Kittel weiter aus. Die Chance, das Grüne Trikot als erster Deutscher seit Zabel im Jahr 2001 auch nach dem Finale in Paris zu besitzen, ist riesig. "Ich denke natürlich daran, bis Paris ist es aber noch weit", sagte Kittel.
Das Gelbe Trikot des Gesamtführenden behauptete der britische Titelverteidiger Christopher Froome problemlos, auf dem Weg zu seinem vierten Tour-Sieg wird er aber ab Donnerstag wieder gefordert: Die erste Pyrenäen-Etappe bietet sieben Anstiege, darunter einen der höchsten Kategorie zum Port de Bales - und endet mit einer Bergankunft in Peyragudes.