Es ist ein Heimspiel für Clinton Loomis vom Team "Evil Geniuses".
Vom Klappertisch zum Superstar
"Fear", wie der US-Amerikaner nur gerufen wird, erhebt sich nach dem dramatisch gewonnenen Viertelfinale bei der eSports-Weltmeisterschaft "The International" im Computerspiel DOTA 2 gegen das übermächtige chinesische Team "EHome" von seinem PC. Ihm schallen im Seattle Center "USA! USA!" und "Fear! Fear!"-Rufe entgegen.
Endlich, so könnte man es meinen, ist er am Ziel. Er, den einst sogar die ganz Großen im DOTA fürchteten, greift bei TI5 nach dem höchsten Preisgeld der Geschichte des elektronischen Sports.
Es könnte die Krönung einer Karriere sein, die wie kaum eine zweite als Paradebeispiel für den steinigen und mit Vorurteilen gepflasterten Weg eines Computerspiel-Profis steht.
"Was, wenn nichts dabei herum kommt?"
"Fear" wächst im beschaulichen Medford, Oregon im Westen der USA auf.
Schon früh zeigt er großes Interesse am professionellen Zocken, was seiner alleinerziehenden Mutter wenig gefällt. Die Anwältin tut als Alleinversorger alles für die Familie, nur um ihrem Sohn beim PC-Spielen zuzuschauen. Wie viele besorgte Eltern denkt sie nur eines.
"Es macht dir Angst, wenn du dein Kind siehst, wie es sein komplettes Leben nur auf Gaming ausrichtet, und nicht auf das College oder andere traditionelle Dinge. Was, wenn nichts dabei herum kommt?", sagte sie in der DOTA-Dokumentation "Free To Play".
Hohe Preisgelder meist nur für die Sieger
Die Gefahr dafür ist insbesondere finanziell groß. Zwar steigen die Preisgelder im eSports rasant, aber meist sahnen nur die Gewinner ab.
Bei der ersten Ausgabe der DOTA-WM "The International" wurde nur die Hälfte der Teams überhaupt entlohnt. Allein der Sieger "Na'Vi" nahm von insgesamt 1,6 Millionen US-Dollar eine Million mit nach Hause. Die Organisatoren haben dieses strukturelle Problem erkannt und schütten nun an jeden Teilnehmer fünfstellige Summen aus.
Aber dennoch bleibt eSports wegen der hohen Anfahrtskosten zu den vielen Turnieren eine extrem teure Leidenschaft.
Gaming - Ein Vollzeitjob
Zumal die Profis rund um die Uhr zocken müssen.
In einem sogenannten "Gaming House" rotten sich die Teams teilweise zwei Monate vor Turnierbeginn zusammen, um sich taktisch abzustimmen und die wichtigen Last Hits zu trainieren. Immer, und immer wieder. Bis zu zwölf Stunden und länger dauern solche Sessions, Tag für Tag. Da bleibt keine Zeit für Nebenjobs. Die Finanzierung übernehmen Sponsoren.
Aufgeben geht nicht. "Eine Woche Pause kann dir die ganze Form versauen", sagte der ehemalige deutsche Starspieler Kai "H4nn1" Hanbückers der Zeit. Bei SPORT1 verrät er: "Irgendwann kommt der Moment, wo du spielen musst, obwohl du nicht mehr willst."
Die Turniere selbst sind purer Stress. Warmspielen, auf die Bühne, zurück ins Hotel, schlafen, warmspielen, auf die Bühne, und so weiter. "Man sieht wenig von den Turnier-Städten", sagt Hanbückers.
Das Problem: Der Hund
Auch Loomis kennt das. Jahrelang trainiert er von Medford aus mit europäischen Mannschaften, weil sich in den USA keine zufriedenstellende Teamsituation einstellt.
Das heißt: Nachts zocken. Teilweise bis drei, vier Uhr. "Ich habe einen verrückten Schlafrhythmus", sagte er über sich.
Irgendwann reicht es Loomis' Mutter. Weil der Hund wegen der Leidenschaft stets mit ihrem Sohn aufbleibt und gesundheitlich abbaut, setzt sie ihren Sohnemann vor die Tür. Der zieht in die nächstbeste Wohnung, schnappt sich einen klapprigen grünen Tisch, baut seinen uralten, mehrere Kilo schweren Röhrenbildschirm auf - und verfolgt weiter wie besessen seinen Traum.
Der Zahn der Zeit nagt
Erfolg stellt sich trotz seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten nur spärlich ein. Fear läuft die Zeit davon. Denn die Halbwertszeit eines Gamers ist gering. Das Durchschnittsalter bei The International liegt bei Anfang 20. Zum Vergleich: Der älteste Spieler der Bundesliga-Historie ist Klaus Fichtel mit 43 Jahren.
Weil mit zunehmenden Alter die Reaktionsschnelligkeit nachlässt, sind die meisten bereits mit Mitte 20 kaum noch konkurrenzfähig.
Fear ist inzwischen 27, hat schon Armverletzungen vom Gaming davongetragen - und ist immer noch Weltklasse. Endlich kann er in Kalifornien ein Team mit aufbauen und sorgt mit "Evil Geniuses" für Aufsehen in der Szene.
Das letzte Hurra?
Seit mittlerweile zehn Jahren probiert sich Fear als Profi. Das ist eine gigantische Zeitspanne im eSports mit vergleichsweise wenig Ertrag.
Das ändert sich wohl nun. "Evil Geniuses" haben bereits zwei Millionen US-Dollar sicher. Im Halbfinale (ab 22 Uhr) wartet mit CDEC eine machbare Aufgabe. Mit dem Finaleinzug hätte das Team bereits fast drei Millionen US-Dollar in der Tasche. Der Sieger erhält das Doppelte.
Und ausgerechnet jetzt kokettiert der ewige Star mit dem Karriereende. "Wird das mein letztes TI?" schreibt er auf Twitter.
Es wäre wohl der perfekte Abschied: Seine Mutter ist inzwischen sein größter Fan und platzt vor Stolz, wenn sie auf ihren berühmten Sohn angesprochen wird.
Und dem Hund geht es auch wieder gut.