Selbst "Scudetto" ist für Napolis Trainer Maurizio Sarri ein Schimpfwort, aber er ist eben Toskaner, "und wo ich herkomme, fluchen wir eine ganze Menge".
Der außergewöhnlichste Coach der Serie A
Sarri, gerade 57 geworden, ist ein sehens- und hörenswerter Mann. In Italien vergleichen sie ihn mit Jean Renos Rolle "Leon, der Profi", seine Witze knarzen so wie seine Stimme nach einer rund 40-jährigen Raucherkarriere.
Neapel ist Wintermeister
Der Profi hat seinen SSC Neapel zum Wintermeister in Italien gemacht, Tabellenführer nach der Hinrunde, in seiner allerersten Saison in der Serie A. Am Samstag (ab 20.40 Uhr LIVE im TV auf SPORT1+ und im LIVETICKER) kann Napoli mit einem Sieg über Sassuolo Calcio die Spitzenposition untermauern.
Seine Mannschaft und er sind eine Schau, die ganze Stadt ist bereit für den ersten Meistertitel seit 26 Jahren. Zuletzt holte der Wintermeister zwölfmal in Folge am Ende der Saison auch den Scudetto, aber noch nie mit einem wie Sarri.
Vor exakt vier Jahren stand er ohne Job da, gerade gefeuert von einem Drittligisten. Bis Anfang 40 hatte er nur Mannschaften in den unteren Amateurligen trainiert.
Im Anzug auf den Trainingsplatz
Er verdiente sein Geld als Bankangestellter, war für Finanz- und Aktiengeschäfte zuständig, sowohl im Hauptsitz seines Arbeitgebers in Siena, als auch im Ausland, in London, der Schweiz und Luxemburg.
Oft hatte er Anzug und Krawatte noch an, wenn er abends auf den Trainingsplatz kam.
Die Allüren der Serie A interessieren ihn deshalb überhaupt nicht. Sarri lässt überall den gleichen Fußball spielen, egal ob in der sechsten Liga mit dem AS Sansovino, mit dem er zweimal aufstieg, in der zweiten Liga mit dem FC Empoli oder jetzt mit Neapel.
Sarri lässt immer direkt spielen
"Man muss das Spiel so vertikal wie möglich machen, wenn nötig eben wieder zurück und so wenig wie möglich quer spielen", sagte er mal zu Zweitliga-Zeiten.
Seine Angriffsreihe mit dem italienischen Nationalstürmer Lorenzo Insigne, dem Argentinier Gonzalo Higuain, den Carlo Ancelotti gern in der kommenden Saison beim FC Bayern hätte, und dem ehemaligen Real-Madrid-Profi Jose Callejon darf freifüßlerisch angreifen, wie es in Italien so gar nicht üblich ist.
Auch das Dreier-Mittelfeld dahinter ist maximal offensiv eingestellt. Kapitän Marek Hamsik trifft jetzt zwar nicht mehr so oft wie früher, er rennt dafür mehr und schneller und schafft Platz für die Kollegen.
Higuain in Topform
In fünf Pflichtspielen dieser Saison schoss Napoli bereits fünf Tore, Higuain führt die Torjägerliste mit 18 Treffern meterweit an.
Sarri vertraut seinen Spielern, er lässt sie angreifen, wie es ihnen gefällt. Gleichzeitig ist harte Arbeit für ihn viel mehr als eine hohle Phrase.
Als Bankangestellter-Trainer lernte er, sich die Zeit effizient einzuteilen, war jeden Tag von 8 bis 22 Uhr beschäftigt. Diesen Rhythmus zieht er bis heute durch.
Sarris Vater lehrte Hingabe
Von seinem Vater, einem Profi-Radrennfahrer, bekam er vorgelebt: "Es ist ein Ausdauersport, und er hat mir beigebracht, dass du im Fußball nichts erreichen wirst wenn du dich nicht verausgabst. Im Fußball gibt es weniger Hingabe und weniger sportliche Kultur als in anderen Sportarten."
Als er in Neapel unterschrieb, verlangte er von Präsident Aurelio De Laurentiis keine spektakulären Ausgaben, verlangte aber, dass die Mannschaft zusammenbleibt. Schlüsselspieler war Mittelfeldmann Allan von Udine, aus Empoli brachte Sarri Mirko Valdifiori und Elseid Hysaj mit.
Spieler spüren Sarri-Effekt
Vor der Saison schnappte er sich Higuain und machte ihm klar: Er steckt zu viel Anspannung in Dinge, die kontraproduktiv sind. "Jetzt konzentriert er sich mehr aufs Spiel", sagte Sarri.
Die Spieler spürten schnell den positiven Effekt des Mannes, der schon in der dritten und zweiten Liga Italiens je zweimal gefeuert wurde.
Eigentlich dürfte er gar nicht hier sein. "Am Anfang habe ich nur gehofft, zum jetzigen Zeitpunkt meinen Job noch zu haben", sagte er nach dem jüngsten 5:1 bei Frosinone.
Nun steht er aber da, an der Spitze. Und flucht Napoli womöglich bis zum Titel.