Der Pullover also. Er rettete Pep Guardiolas eleganten Auftritt und sah um die Hüften geschwungen obendrein noch lässig aus.
Zerrissen von der eigenen Leidenschaft
Dass sich der Bayern-Trainer bei einem seiner Veitstänze ein geldbeutelgroßes Loch am linken Hosenbein eingehandelt hatte, war jetzt verdeckt. Und Guardiola wirkte nach 90 magischen Minuten und einem 6:1-Sieg über den FC Porto nicht derangiert, sondern immer noch wie aus dem Ei gepellt.
Es war das letzte Meisterstück einer unvergesslichen Champions-League-Nacht. Einer Nacht, in der die Mannschaft des Spaniers grandios hätte abstürzen können, stattdessen aber mit Glanz und Gloria ins Halbfinale einzog. Es war auch Guardiolas Sternstunde (Die Pressestimmen zum Spiel).
"Sie haben mich sehr glücklich gemacht"
Unheimlich erleichtert bedankte er sich bei seinen Mannen, inklusive der Torschützen Thiago Alcantara, Jerome Boateng, Doppelpacker Robert Lewandowski, Thomas Müller und Xabi Alonso.
"Sie haben mich sehr glücklich gemacht", sagte der Coach. Der Pathos folgte: Es sei um "Leben und Tod" gegangen. Eine Pepsche Übertreibung und eine Umschreibung für ein frühzeitiges Königsklassen-Aus.
Stattdessen stehen die Bayern zum vierten Mal in Folge im Halbfinale der Champions League, das hat selbst dieser Titelsammlerklub noch nie zuvor geschafft. Und Guardiola? Erreichte bei sechs Versuchen (vier mit Barca, zwei mit Bayern) sechsmal mindestens das Semifinale. Kann kein Zufall sein.
Ein Riss in der Bayern-Familie?
Dabei hat es noch vor dem Spiel geheißen, der Trainer mache sich den Klub zu sehr Untertan, bestes Beispiel sei ja der Abgang von Teamarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt.
Einige unkten, es gehe ein Riss durch die Bayern-Familie. Jetzt war das einzige Gesprächsthema der Riss in Guardiolas Hose.
Dieses Sinnbild seiner Passion bekam noch während der Partie einen eigenen Twitter-Account, die sozialen Netzwerke summten und surrten deswegen. Diskussionspunkte: die Farbe der Unterhose (blau oder dunkel) und mögliche Folgen eines nächsten Guardiola-Ausbruchs regte die Phantasie der weiblichen Nutzer an.
Wandlung vom Vulkan zum Kopfmenschen
Gefroren hat der Coach trotz zugigen Beinkleids nicht. "Mir war nicht kalt, eher heiß", bekannte er auf der Pressekonferenz im Bauch der Arena.
Und mit jedem Satz wurde er wieder analytischer, so als ob er die Emotionen schrittweise hinter sich lassen würde.
Seinem Team hatte er eine perfekte Marschroute verschrieben: sehr konzentriert in der Abwehr, mutig nach vorne, dabei auch mit weiten Pässen in die Spitze. Holger Badstuber ersetzte Dante, Philipp Lahm spielte trotz gerade erst überstandener Magen-Darm-Infektion. Just Musterschüler Thiago überragte mit genialen Pässen sowie dem Tor zum 1:0 als Dosenöffner.
Barcelona, ein möglicher Halbfinalgegner bei der Auslosung am Freitag, ist gewarnt.
Nur Ballverluste nerven
Doch in Guardiolas Analyse klang die Bewertung der berauschenden ersten Hälfte und der fünf Tore - begünstigt auch durch einen katastrophalen Keeper der Portugiesen - beinahe lapidar. "War gut", brummelte er.
Von perfektem Fußball wollte er nichts wissen. Noch ehe die Frage dazu fertig formuliert war, grätschte er dazwischen. "Nein, nein, nein", sagte der 44-Jährige.
"Das war heute kein Fußball in Perfektion. Wir hatten in der zweiten Halbzeit zu viele Ballverluste."
Kurzzeitig wackelte Bayern nach Portos Treffer zum 1:5, ein ausgewiesener Pep-Spieler beruhigte dann die Nerven: Xabi Alonso per Freistoß zum 6:1.
"Es hieß: Ich wäre Marionette des Trainers"
Karl-Heinz Rummenigge führte auch den zuvor öffentlich nicht unumstrittenen Routinier als Exempel für Guardiolas Riecher an.
"Alle Ratschläge, die uns Pep Guardiola bisher gegeben hat, sei es Thiago oder Xabi Alonso waren gute Ratschläge", erklärte Bayerns-Vorstandsboss im Gespräch mit SPORT1.
"Ich bin ja auch kritisiert worden, ich wäre eine Marionette des Trainers. Ich muss sagen, der Trainer ist ein Profi, ein absoluter Freund der Qualität, das bin ich auch. Ich unterstütze ihn, denn er hat einfach etwas Außergewöhnliches."
Neuer Frieden im Bayern-Kosmos
Selbst zu Müller-Wohlfahrt fand Rummenigge, dessen Furor in Porto ja angeblich der Auslöser für den Abschied des Teamarztes gewesen sein soll, positive Worte. Rummenigge sprach von der weiterhin vorhandenen großen Wertschätzung und darüber, dass man inzwischen wieder telefoniert habe.
Der Bayern-Kosmos ist also ein wenig befriedet. Nur Matthias Sammer wollte da nicht mitmachen. Nicht die sportliche Kritik nach der 1:3-Pleite in Porto hatte den Sportvorstand aufgeregt, sondern die Debatte über den FC Bayern an sich. Der steht nicht zu vergessen unmittelbar vor der 25. Meisterschale.
Ob eine deutsche Meisterschaft zum Beispiel nichts mehr wert sei, fragte Sammer mit beißender Ironie. Aus seiner Sicht ist Guardiola nicht weniger als ein "Segen für den FC Bayern und den deutschen Fußball".
Im Laufe des Abends dürften den Katalanen auch diese Komplimente erreicht haben. Die Arena verließ er samt Familie erst nach Mitternacht, das Loch in seiner Hose nahm er dabei als Souvenir eines historischen Abends mit.