Bremer Freimarkt? Das größte Volksfest des Nordens? Die fünfte Jahreszeit der Hansestadt? Serge Gnabry hat davon noch nie etwas gehört.
Gnabry will's wie Özil machen
"Wie kann man mich hier so bloßstellen?", fragte der Neuzugang des SV Werder Bremen auf der Pressekonferenz am Donnerstag, grinste dann aber in Richtung von Cheftrainer Alexander Nouri, Geschäftsführer Frank Baumann und Mediendirektor Michael Rudolph.
Tatsächlich ist der 21-Jährige noch nie irgendwie mit dem Trubel auf der Bürgerweide in Berührung geraten. Wie denn auch? Seine Jugend verbrachte er im Schwabenland, spielte bis 2011 für den VfB Stuttgart, ehe er zum FC Arsenal ging.
Und aus London kam er erst zum Ende der Transferperiode, zuletzt war er in den Länderspielphasen zur deutschen U21-Nationalmannschaft abgestellt. Abseits von Trainingsplatz, Weserstadion und Hotel hat der Flügelflitzer noch nicht viel gesehen.
Mit geliehenem Damenrad zum Training
Bester Beleg: Zum Training am Donnerstag kam der junge Mann mit einem Damenrad. "Das habe ich mir vom Hotel geliehen, ich habe noch kein Auto." Der Dienstwagen, so viel zur Beruhigung, wird allerdings in Kürze übergeben.
Mag es also mit der Sozialisation am Arbeitsplatz in vielerlei Hinsicht noch ein bisschen dauern, auf dem Fußballplatz ist er angekommen. Ein Vollspannkracher in Mönchengladbach (1:4) und ein Vollsprint in Darmstadt (2:2) waren seine ersten Tor-Ausrufezeichen für den SV Werder.
Darüberhinaus ist der Irrwisch zuletzt an fast jeder torgefährlichen Aktion beteiligt gewesen. Claudio Pizarro und Max Kruse sind noch verletzt - da spielt er eben den Alleinunterhalter. Und er soll auch im Heimspiel gegen Bayer Leverkusen am Samstag (ab 18 Uhr LIVE in unserem Sportradio SPORT1.fm und im LIVETICKER) wieder wirbeln.
Taugt er schon zum Werder-Gesicht? Bei der Frage (oder Feststellung?) musste Gnabry durchatmen. Kurze Pause. "Ich freue mich, so angesehen zu werden. Aber der Verein steht über allem."
Lob von Hrubesch - Tipps von Özil
Gerade erst hat ihn sein früherer U21-Nationaltrainer Horst Hrubesch geadelt. "Er ist beidfüßig, schnell, hat eine super Technik, das Auge für den Pass, er ist torgefährlich. Er besitzt eine Qualität, die musst du suchen."
Hrubesch tat bei den Olympischen Spielen das, was Arsene Wenger bei Arsenal nicht gemacht hatte: Er ließ das Talent von der Leine, gab ihm Selbstvertrauen, redete ihm Mut zu.
Mit breiter Brust wechselte der flinke Angreifer dann überraschend nach Bremen - und lässt sogar Vergleiche mit Mesut Özil zu, der im Weserstadion zündete, nachdem er auf Schalke nicht zurechtkam. "Jeder weiß, dass Mesut Özil ein überragender Kicker ist", sagt Gnabry zu diesem Vergleich, "von ihm habe ich viel gelernt, viel abgeguckt".
Werders neuer Cheftrainer Alexander Nouri weiß, dass der Verein einen Glücksgriff gelandet hat: "Er ist einfach nicht ausrechenbar."
Traum von der A-Nationalmannschaft
Anders als Özil tritt Gnabry aber mehr als Vollstrecker auf, sucht zielgerichteter den Abschluss. Im letzten Auswärtsspiel trumpfte der Offensivspieler mit den blondierten Haaren so eindrucksvoll auf, dass Darmstadts Coach, der Ex-Werderaner Norbert Meier, sagte: "Werder hat eine Qualität, und sie haben einen Gnabry. Ich weiß nicht, wie lange der noch in Deutschland spielt."
Der Instinktfußballer mit den schnellen Beinen, der von der A-Nationalmannschaft träumt ("mein Ziel"), hat bei Werder zwar einen Vertrag bis 2020 unterzeichnet, aber es soll eine Ausstiegsklausel geben, die in erster Linie gedacht ist, um den FC Bayern zu bedienen.
Und Werders scheidendes Aufsichtsratsmitglied Willi Lemke hatte unlängst im SPORT1-Doppelpass ausgeplaudert, was in der Branche als offenes Geheimnis gilt: dass der Rekordmeister ein Zugriffsrecht auf diesen Spieler besitzt, sofern der weiter auf der Überholspur bleibt.
Ansonsten kann er sich an der Weser weiterentwickeln. Und endlich auch den Freimarkt kennenlernen. Denn wie sagte er nun noch? "Wenn so ein guter Tipp kommt, schaue ich mir das natürlich an."