Oliver Kahn geht wieder einmal neue Wege.
Kahn: "Ancelotti braucht noch Zeit"
Mit dem Werbe-Video für sein neues Unternehmen Goalplay, mit dem er unter anderem Torhüter bei ihrer Entwicklung unterstützen möchte, sorgte er für große Aufregung.
Natürlich hat der dreimalige Welttorhüter neben seinem Wirken als Unternehmer aber nach wie vor den FC Bayern und das aktuelle Fußballgeschehen genau im Blick. Und da macht der Titan den Verantwortlichen nach dem enttäuschenden 2:2 bei Eintracht Frankfurt und zuletzt drei sieglosen Spielen Mut.
Im SPORT1-Interview spricht Kahn über den Rekordmeister, dessen Trainer Carlo Ancelotti, die Champions League - und äußert sich zu den Missverständnissen um sein neues Projekt.
SPORT1: Herr Kahn, Sie haben zuletzt bei der Verkündung Ihrer neuen Aufgabe für einige Verwirrung gesorgt. Finden Sie, dass der Start etwas unglücklich gelaufen ist oder würden Sie sagen: "Alles richtig gemacht!"?
Oliver Kahn: Natürlich liegt es im Interesse des Unternehmens Goalplay, zum Launch eine gewisse Aufmerksamkeit zu erzielen. Das haben wir erreicht. Die Botschaft einer "neuen Aufgabe", die auf mich zukommt, entsprach zu jeder Zeit der Wahrheit. Für mich ist die Führung einer neuen Marke, an der wir seit eineinhalb Jahren gearbeitet haben, eine große Aufgabe.
SPORT1: Können Sie Fans verstehen, die sich verschaukelt fühlten?
Kahn: Die virale Kampagne war natürlich etwas provokativ und hat ziemlich polarisiert. Das lag vor allem an dem Logo des FC Bayern, das im Hintergrund teilweise zu sehen war. Ich kann die Fans, die von einer Rückkehr meiner Person zum FC Bayern ausgegangen sind, bis zu einem gewissen Grad verstehen. Hier habe ich bestimmte Erwartungen enttäuscht, was mich auch emotional berührt hat.
SPORT1: Hat Ihnen diese ganze Geschichte eher geschadet oder profitieren Sie davon?
Kahn: Von einem Schaden würde ich nicht reden. Es ist richtig, dass einige Fans enttäuscht waren. Die große Mehrzahl aller Posts in den sozialen Medien beim Launch von Goalplay war aber positiv. Den von einigen Medien zitierten Shitstorm habe ich nicht erkennen können. Viele haben geschrieben, sie hätten sich nicht vorstellen können, dass ich eine bevorstehende Aufgabe beim FC Bayern München über die sozialen Medien ankündige.
SPORT1: Sie sprechen bei Goalplay von Torspielern und nicht mehr von Torhütern. Warum?
Kahn: Der Begriff Torspieler ist überall dort, wo Torhüter ausgebildet werden, ein gängiger Begriff, der mit der Veränderung des Torwartspiels einhergeht. Manuel Neuer ist der Prototyp, der für eine Art von Torhütern steht, die von ihrer technischen Qualität durchaus auch Feldspieler sein könnten.
SPORT1: Ist Marc-Andre ter Stegen auch einer dieser neuen Torspieler?
Kahn: Absolut. Beim FC Barcelona wird es von ihm verlangt, ständig anspielbar zu sein. Entsprechend ist das Risiko höher, auch mal einen Fehler zu machen. Es darf natürlich nicht zu oft vorkommen. Bei Barcelona muss ter Stegen auch mal Risikopässe über 30, 40 Meter spielen. Damit wird er zu einem wichtigen zusätzlichen Aufbauspieler seiner Mannschaft.
SPORT1: Könnten Sie sich denn in das heutige Torwartspiel reinversetzen oder ist das eine ganz neue Welt?
Kahn: Heutzutage legen Torhüter eine Strecke von ca. acht Kilometern zurück und haben zahlreiche Ballkontakte mit dem Fuß. Das sind normale Anforderungen an die junge Torspieler-Generation. Die Rückpassregel wurde 1992 eingeführt. Da war ich schon voll ausgebildet und musste mich mit rund 23 Jahren umstellen. Das war für mich natürlich schwieriger als für Jugendliche, die schon mit zehn Jahren komplett in das Spiel einbezogen werden.
SPORT1: Ter Stegen und Kevin Trapp unterliefen zuletzt Fehler. Trapp sitzt bei Paris Saint-Germain nur noch auf der Bank. Was können diese zwei Torhüter noch verbessern?
Kahn: Ein Torwart ist mit seiner Entwicklung nie fertig. Noch mit 35 wollte ich mich unter Sepp Maier weiterentwickeln. Jeder Top-Profi, der zu den ganz Großen gehören will, sollte diese Einstellung haben. Aber wir diskutieren auf einem absoluten Spitzen-Niveau. Neuer, Trapp, ter Stegen, Bernd Leno oder Ron-Robert Ziemer sind alle technisch stark. Da geht es um feine Nuancen im Spiel. Überall gibt es Ansatzpunkte zur Verbesserung und das macht das Torwartspiel so anspruchsvoll.
SPORT1: Wollen Sie das mit Goalplay aufzeigen?
Kahn: Es war schon immer ein Wunsch von mir, ein Unternehmen ins Leben zu rufen, das sich ganzheitlich um die Bedürfnisse des Torspielers kümmert. Mit ganzheitlich meine ich Equipment sowie physisches und mentales Training. Torhüter haben ja fast ein religiöses Verhältnis zu ihren Handschuhen, das ist manchmal schon extrem (lacht). Es geht aber auch um den Trainingsbereich.
SPORT1: Spaßig gefragt: Sind Sie der Dieter Bohlen des Torwart-Castings?
Kahn: Es geht nicht um Casting, sondern um die Vermittlung von Wissen, Erfahrung und Spaß. Mit funktionalem Equipment, digitalen Trainingsübungen, Analysen und mentalen Trainingstipps wollen wir den Torspielern und Torspielerinnen helfen, jeden Tag ein Stück besser zu werden. Scheinbar ist da einiges falsch verstanden worden.
SPORT1: Seit Jahren ist Ihr Weg unternehmerisch orientiert. Können Sie sich vorstellen, bei einem Verein als Sportchef zu arbeiten?
Kahn: Mir macht es großen Spaß, mit meinem Team Neues auf den Weg zu bringen. Durch meine zahlreichen Aktivitäten bin ich nicht gerade unterbeschäftigt. Deshalb stellt sich die Frage nicht.
SPORT1: Werden wir sportlich. Wie sehen Sie die aktuelle Lage in der Liga, speziell die Situation bei den Bayern mit Carlo Ancelotti?
Kahn: Ancelotti und die Bayern werden noch eine gewisse Zeit brauchen, bis sich alles eingespielt hat und die Spieler die Ideen von Ancelotti verstanden und verinnerlicht haben. Qualitativ ist der FC Bayern so stark und so weit voraus, dass es mich schon sehr überraschen würde, wenn es anderen Teams gelingt, mit den Bayern zu konkurrieren. Ob die Dortmunder mit sehr vielen jungen Spielern schon die nötige Konstanz haben, wird sich zeigen. Leipzig und Köln sind die Mannschaften der Stunde.
SPORT1: Die Bayern empfangen am Mittwoch in der Champions League die PSV Eindhoven. Gibt es in der Königsklasse wieder einen Fünfkampf?
Kahn: Die Überraschungen werden jedenfalls immer weniger. Früher gab es in Spanien nur Barca und Real Madrid. Seit vier Jahren hat es auch Atletico Madrid geschafft, sich in der Königsklasse zu etablieren, was eine großartige Leistung ist. Ich bewundere Atletico-Coach Diego Simeone, wie er es auch jetzt wieder geschafft hat, nach dem zweiten verlorenen Finale das Team erneut auf eine hohe Motivations-Ebene zu bringen, um noch einmal anzugreifen.