Immer verrücktere Ablösesummen, immer wahnwitzigere Gehälter, immer scheinheiligere Versprechen: Der Profifußball ist zu einem gigantischen Geschäft entartet und die Entwicklung verstärkt sich durch die astronomischen Summen, die England bald mit seinem neuen Fernsehvertrag in den Markt pumpt.
Premier League: Gefahr für Fußball?
Robin Dutt, Sportdirektor des VfB Stuttgart, hat sich dazu am Sonntag im "Volkswagen Doppelpass" auf SPORT1 kritisch geäußert: "Die Gier frisst langsam unseren Fußball auf. Es ist kein Spiel mehr, das auf Training - und Taktikübungen aufgebaut ist, sondern es ist nur noch ein reines Managerspiel."
Der ehemalige DFB-Sportdirektor beobachtet kritisch den Hype "um so einen jungen Menschen wie beispielsweise Wolfsburgs Kevin de Bruyne", um den mittlerweile "eine Horde Menschen" herumschwirre. "Er weiß doch gar nicht mehr, was er entscheidet. Mit dem Geld, was die Spieler auch beim VfB Stuttgart verdienen, kommt man locker über die Runden. Wir brauchen endlich eine Diskussion über eine Obergrenze sowohl von Transfersummen als auch von Gehaltssätzen. Irgendwann platzt die Blase", mahnte Dutt.
Ruf nach Gehaltsobergrenzen
Genau in dieselbe Kerbe hatte vor wenigen Tagen auch ein Bundesliga-Profi geschlagen. Frankfurts Neuzugang Stefan Reinartz hatte ebenfalls eine Gehaltsobergrenze gefordert. "Zum einen würde dann kein Spieler mehr schauen, was der andere verdient und die Gehälter könnten sich nicht hochschaukeln. Zum zweiten könnte man so das Geld eben anderweitig einsetzen."
Dem 26-Jährigen lagen angeblich finanziell deutlich besser dotierte Angebote aus England vor, die er aber bewusst abgelehnt habe. Aber damit dürfte Reinartz kein Trendsetter sein – gerade erst hat sein Präsident Peter Fischer ja wortreich die moralisch fragwürdige Jagd auf Jugendspieler beklagt, bei der "die Burschen älter, die Scheine größer, die Automarken bedeutender werden." Im Großen wie im Kleinen regelt die Geldfrage (fast) alles. Bietet eine Gehaltsobergrenze da wirklich die Lösung?
Harald Strutz, Präsident von Mainz 05 und DFL-Vizepräsident, glaubt nicht, dass sich getreu dem amerikanischen Vorbild feste Gehälter durchdrücken lassen: "Ich bin Verfechter der freien Marktwirtschaft auch im Sport und will mir bei meiner Verantwortung nicht in die Vereins- und Unternehmenspolitik reinreden lassen. Solche Themen sind populistisch und bringen nichts." In Deutschland war Schalke mit einem solchen Antrag 2009 bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) gescheitert.
Heidel: Keine Angst vor England
Zumal FSV-Manager Christian Heidel die von vielen Kollegen geschürte Furcht vor der Premier League nicht teilt: "Dorthin werden doch nicht plötzlich 50 Prozent der Bundesligaspieler wechseln. Ich habe keine Angst vor England. Der Plan muss sein, viel Geld aus England nach Deutschland zu holen und trotzdem wettbewerbsfähig zu bleiben", erklärte der 52-Jährige vor Saisonbeginn. Die Rheinhessen nutzten die zehn Millionen Euro Ablöse für Shinji Okazaki dazu, den Kader breiter aufzustellen.
Ähnlich ging auch der 1. FC Köln vor, der die sieben Millionen für Kevin Wimmer von Tottenham Hotspur dazu verwendete, um mit Leonardo Bittencourt, Milos Jojic, Dominique Heintz und Frederik Sörensen gleich vier Spieler der U21-EM zu verpflichten. Und was in dieser Transferperiode geschah – das erste Mal verpflichtete die Premier League Spieler aus der Bundesliga für mehr als 100 Millionen Euro -, ist ja nur der Vorgeschmack darauf, wenn nächste Saison auf der Insel der mit umgerechnet 6,9 Milliarden Euro abgeschlossene Dreijahresvertrag greift.
"Es wird Verschiebungen geben", prognostizierte Sportchef Jörg Schmadtke, der in der Süddeutschen Zeitung klarstellte: "Ich habe aber auch nicht den Ehrgeiz, dass jetzt irgendein Engländer möglichst schnell einen unserer Jungs zu einem Preis kauft, bei dem wir schwach werden." Mehr denn je müssten die Vereine, aber auch die Spieler darauf achten, "nicht nur dem Geld zu erliegen."
DFL bleibt gelassen
1899 Hoffenheim hat mit den 41 Millionen Euro Ablöse des FC Liverpool für Roberto Firmino auf einen Schlag die in den vergangenen Jahren angehäuften Verluste gerechtfertigt. Dass diese Gelder in den Kreislauf zurückfließen und neue Begehrlichkeiten wecken, steht fest. Für Frankfurts Vorstandschef Heribert Bruchhagen wird sich das englische Geld "in zwei, drei Jahren" verteilt haben. Und dann gelte: "Die Flut hebt alle Boote." Will heißen: Die Preise steigen unaufhörlich.
Noch mag die DFL keine generelle Gefahr für die Mehrzahl der Klubs erkennen. Der Vorsitzende der Geschäftsführung, Christian Seifert, sagte kürzlich bei einer Veranstaltung in Frankfurt, es sei "zu früh für ein Resümee". Es werde sicherlich anspruchsvoller, "den Kader zusammenzuhalten", aber Seifert gab zu bedenken: "Auch die Premier League stellt nur drei fixe Champions-League-Starter. Talentierte Spieler mit Ambitionen wollen aber Champions League spielen." Und irgendwann sei das Sammelbecken England eben auch gefüllt. Schon jetzt sind von den 548 Profis der Premier League fast 70 Prozent Legionäre.
Gleichwohl hat ja zuerst Karl-Heinz Rummenigge die Debatte angestoßen, als der Vorstandsboss des FC Bayern vor der China-Reise warnte: "Die Engländer überholen uns gerade links und rechts was TV-Gelder, Marketing und Transferaktivitäten angeht. Die Liga muss schauen, dass sie da nicht den Anschluss verliert." Rummenigge stören die immensen Ungleichgewichte bei den Fernsehgeldern in Deutschland und England.
Premier-League-Letzter kriegt mehr als FC Bayern
Vergangene Saison bekam jeder Bundesligist im Schnitt 32,2 Millionen Euro, jeder Verein aus der Premier League aber 108,4 Millionen; noch der Letzte Queens Park Rangers (86,8) war besser gestellt aus der FC Bayern (50,6). Und diese Kluft wächst noch. Die Bundesliga wäre ja froh, wenn sie mit dem nächsten TV-Vertrag - gültig ab 2017/2018 - die Erlös-Schallmauer von einer Milliarde Euro durchbricht.
Von den nationalen Konkurrenten haben sich die Bayern mit mehr als 500 Millionen Euro Umsatz losgelöst; die Münchner bezahlen bereits Jahresgagen um die zehn Millionen Euro an ihre besten Spieler, um im Wettbieten mit Vereinen wie Real Madrid, FC Barcelona, FC Chelsea oder Paris St. Germain mithalten zu können.
Das Problem haben die Bayern-Verfolger: Klaus Allofs, Geschäftsführer des VfL Wolfsburg, will bekanntlich Deutschlands Fußballer des Jahres De Bruyne mit einer Verdoppelung des Gehalts auf rund zehn Millionen halten, ahnt aber, dass das möglicherweise nicht reichen könnte, weil nicht nur bei Manchester City Summen von 15 oder gar 20 Millionen Realität werden. "Leider sind andere Klubs in der Lage, ganz andere Dinge aufzurufen", sagte Allofs am Sonntag SPORT1.
Es ist eine absurde Spirale, die tatsächlich die Sinnfrage aufwirft.