Es gibt da ja zum Beispiel das Motzen.
Die Reklamation
Dann das Meckern, das Mosern, das Maulen. Das Nörgeln, das Nölen. Das Geifern, das Grollen. Das Wüten, das Wettern. Das Zürnen, das Zetern.
Für die Artikulation des Umstands, dass man mit etwas oder jemandem nicht einverstanden ist, gibt es viele Worte, die meisten davon keine schönen. Eines von ihnen aber hebt sich wohltuend ab: das Reklamieren.
Re-kla-mie-ren: Schon die Länge des Begriffs, seine doppelt über dem Durchschnitt liegende Silbenzahl, signalisiert, dass es sich dabei nicht um einen Jedermannsausdruck handelt.
Man denkt bei dem Wort nicht an schnell hingetippte Aufreger-Schlagzeilen, man denkt an gut gereifte Literatur, an die Manns, an Schnitzler, Fontane - all die Autorengrößen, die man wahrscheinlich nicht zufällig aus den Reclam-Heften kennt.
Bei "Reklamieren" taucht nicht der schlichte Wüterich vor dem geistigen Auge auf, es erscheint stattdessen der gut situierte Geheimrat Bürstenkamp, der gemessenen Schrittes den örtlichen Kurzwarenladen betritt und den Kurzwarenhändler Wonnewinkel ruhig, aber bestimmt wissen lässt: "Herr Wonnewinkel, ich reklamiere diese Kurzware."
Es ist erfreulich, dass sich das Reklamieren auch in der Moderne gehalten hat, dass es im Fußball sogar das übliche Wort dafür ist, wenn Spieler Entscheidungen des Schiedsrichters beanstanden.
Klar, ganz unterschiedslos hat sich das Wort nicht übertragen vom Bildungsbürger- ins Rudelbildungsbürgertum: Das Reklamieren in der Hitze des fußballerischen Gefechts geht nicht jedesmal so gesittet zu wie im Kurzwarenhandel Wonnewinkel.
Auch der Tatsache, dass das Tempo eines modernen Fußballspiels ein weit höheres geworden ist als das eines Thomas-Mann-Romans, muss das Reklamieren Tribut zollen: Für fein ausgearbeitete Dialoge ist da oft nicht mehr die Zeit, das Reklamieren muss da oft prosaisch verdichtet werden auf Sätze wie: "Der hat schon Gelb!"
Bisweilen ist überhaupt gar nicht mehr die Zeit für Sprache, sie reicht stattdessen nur für einen kurzen, körperlichen Reflex.
Manuel Neuer, der deutsche Nationaltorhüter in Diensten des FC Bayern München, hat es in dieser Disziplin zu einer gewissen Meisterschaft gebracht: Der hochschnellende Arm ist - wie bei vielen anderen - das Mittel seiner Wahl, immer dann, wenn er einen gegnerischen Stürmer der Abseitsposition verdächtigt.
Diese Woche, den ersten beiden Gegentoren seines Klubs gegen den FC Barcelona, war Manuel Neuers Art des Reklamierens einmal mehr zu besichtigen - und hat eine kleine Debatte ausgelöst, ob der Keeper bei dem Thema nicht einem unrechtmäßigen Generalverdacht erlegen ist.
Die Feststellung "Manuel Neuer hat den Arm gehoben" versah ZDF-Kommentator Oliver Schmidt mit dem durchaus fontanesken Einschub "mit Verlaub: wie fast immer" - und löste damit einen kleinen, sozialmedialen Wirbelsturm aus.
Der "Reklamierarm" wurde zu einem Trendbegriff bei Twitter, dem Kurzwarenhandel der digitalen Ära. Er schaffte es in ein paar hundert Einträge und auch zu zwei eigenen Accounts beim Nachrichtendienst.
Nun leben wir wie erwähnt in schnelllebigen Zeiten. Und ein paar hundert Twitter-Einträge haben nicht gleich automatisch das Gewicht eines Fontane-Romans.
Es ist also noch nicht abzusehen, ob der Reklamierarm der Nachwelt in gleicher Weise in Erinnerung bleiben wird wie Hand Gottes, die Wade der Nation oder die diversen, von Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt erfundenen Körperteile.
Zu wünschen wäre es ihm in jedem Fall. Und sie können diese Kolumne durchaus als Reklame dafür verstehen.
(Diese Kolumne erschien zuerst am 15. Mai 2015 auf SPORT1)