Das leichte Schädel-Hirn-Trauma, besser bekannt als Gehirnerschütterung bezeichnet, ist eine der bekanntesten Sportverletzungen und vor allem im Profibereich ein ständig wiederkehrendes Phänomen.
Gehirnerschütterung - SPORT1 klärt auf
Egal, ob Loris Karius im Champions League-Finale 2018 oder Christoph Kramer im Finale der Weltmeisterschaft 2014, Gehirnerschütterungen sind ein ständiger Begleiter und nur sehr schwer zu verhindern.
Aber was passiert eigentlich genau bei einer Gehirnerschütterung und was sind die Gefahren? SPORT1 erklärt die Gehirnerschütterung mit seinen Symptomen und Ursachen. Dazu gibt SPORT1-Experte Dr. med. Florian Dreyer Tipps zur Behandlung und Vermeidung.
Für den schnellen Leser
- Was steckt hinter der Gehirnerschütterung? ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma
- Was sind die Symptome? Bewusstlosigkeit/Benommenheit, Erinnerungsverlust, Übelkeit/Erbrechen, Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel
- Was sind die Ursachen? Gewalteinwirkung auf den Kopf
- Wie läuft die Diagnose? SCAT-3-Test, Pocket-Recognition-Test, evtl. Computertomografie (CT) und Magnetresonanztomografie (MRT) (um schwerwiegendere Verletzungen auszuschließen)
- Wie läuft die Behandlung? Ruhe, Regelmäßige Überwachung
- Wer ist der Ansprechpartner? Hausarzt, Unfallchirurg, Neurologe
- Wie ist die Prognose? Vollständige Heilung bei normaler Gehirnerschütterung
Symptome der Gehirnerschütterung
Als erstes muss klar festgehalten werden, dass es sich bei einer Gehirnerschütterung (Commotio cerebri) um ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) handelt und daher keinesfalls unterschätzt werden darf. Leider passiert das heutzutage noch viel zu oft: Rund 40 bis 50 Prozent der Gehirnerschütterungen werden übersehen.
Medizinisch wird das Schädel-Hirn-Trauma in drei Schweregrade unterteilt – das leichte, mittlere und schwere Schädel-Hirn-Trauma. Bei der leichtesten Form des Schädel-Hirn-Traumas handelt es sich um die Gehirnerschütterung. Sie entsteht durch eine Gewalteinwirkung auf den Kopf durch beispielsweise einen Schlag oder einen Aufprall. Dabei stößt das Hirn von innen gegen die Schädelwand.
Zu den typischen Symptomen zählt, dass bei dem Betroffenen nach dem Unfall eine kurze Bewusstlosigkeit eintritt. Diese kann von einigen Sekunden bis hin zu einer Viertelstunde dauern. Oft wird diese Bewusstlosigkeit nicht wahrgenommen, da der Betroffene nur wenige Sekunden weg ist und danach selbständig aufsteht. Dies ist der Hauptgrund, warum eine Gehirnerschütterung oftmals unterschätzt wird.
Neben einer Bewusstlosigkeit kann es zu neurologischen Beeinträchtigungen wie Erinnerungslücken oder Irritationen des Geruchs- und Geschmackssinns kommen, eine Empfindlichkeit auf Licht und starke Geräusche ist möglich. Weitere mögliche Symptome sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und depressive Verstimmungen.
Symptome im Überblick
- vorübergehende Bewusstlosigkeit/Benommenheit
- Amnesie
- Übelkeit, Erbrechen
- Kopfschmerzen
- Gleichgewichtsstörungen, Schwindel
- weitere neurologische Beeinträchtigungen wie Irritation des Geschmacks- und Geruchssinns
"Es ist immer sinnvoll, einen Arzt aufzusuchen. Inbesondere, wenn stärkere Benommenheit eintritt. Der Patient muss nicht immer bewusstlos werden, eine Bewusstlosigkeit deutet sogar eher auf ein stärkeres SHT hin", sagt Dr. Dreyer.
All diese Symptome sind aber nur von kurzer Dauer und sollten bereits nach wenigen Stunden wieder abklingen. Auch Langzeitfolgen hat der Patient in der Regel nicht zu erwarten. In seltenen Fällen - etwa bei einem Prozent der Betroffenen - kann es jedoch mehrere Wochen dauern, bis alle Beschwerden verschwunden sind. Diese Komplikation wird als postkommotionelles Syndrom bezeichnet. Bei wiederholten Gehirnerschütterungen besteht die Gefahr langfristiger Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit. Auch das Risiko für Demenz und Alzheimer ist erhöht.
Diagnose
Besteht der Verdacht auf eine Gehirnerschütterung, sollten Betroffene umgehend jegliche körperlichen Anstrengungen unterlassen. Im Sport bedeutet das, der Spieler sollte ausgewechselt und weitere Untersuchungen durchgeführt werden. Es stehen verschiedene Tests zur Auswahl, um den Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma bzw. dessen Schwäre zu überprüfen.
SCAT-3-Test
Der SCAT-3-Test ermöglicht eine relativ gute Einschätzung, ob es sich um ein Schädel-Hirn-Trauma handelt oder nicht. Der vierseitige Testbogen beinhaltet Untersuchungen zu Gedächtnis, Konzentration, Gleichgewicht und Koordination. Allerdings benötigt der Test 15 – 20 Minuten - zu lang, um im Profisport Anwendung zu finden.
Pocket-Recognition-Test
Daher entwickelten Sportmediziner das Pocket-Recognition-Tool. Dieser Test dauert ungefähr eine Minute. Es werden die wichtigsten Symptome sowie die sogenannten Maddocks-Fragen darin aufgeführt. Diese Fragen dienen zur Überprüfung der Gedächtnisfunktion. "An welchem Spielort sind wir heute?" oder "Welche Halbzeit ist jetzt?" sind Beispiele dafür. Der DFB hat alle relevanten Infos in einer nützlichen Taschenkarte zusammengestellt.
Glasgow-Koma-Skala
Den Schweregrad der Schädel-Hirn-Verletzung kann der behandelnde Arzt anhand der sogenannten Glasgow-Koma-Skala bestimmen. Es werden für verschiedene Reaktionstests Punkte vergeben, die eine Unterscheidung zwischen einem leichten SHT und einem schweren ermöglichen.
Fallen die Tests negativ aus, ist das allerdings keine Garantie, dass keine Gehirnerschütterung vorliegt. Im Zweifelsfall ist es immer ratsam, die betroffene Person zu überwachen und notfalls in ein Krankenhaus zu bringen.
Computertomografie
Dort können anhand einer Computertomografie (CT) oder einer funktionellen Magnetresonanztomografie (MRT) schwerwiegendere Verletzungen wie eine Blutung im Gehirn ausgeschlossen werden.
Ursachen
Eine Gehirnerschütterung ist immer Folge einer stumpfen Gewalteinwirkung auf den Kopf.
Normalerweise schützt der Schädelknochen das Gehirn vor derartigen Einflüssen. Zusätzlich schwimmt das Gehirn in einer Gehirnflüssigkeit - Liquor genannt -, um zusätzlich äußere Einwirkungen abzumildern.
Bei einer ruckartigen Beschleunigung oder Abbremsen des Schädels kann das Gehirn allerdings gegen den Schädelknochen schlagen und damit Schaden nehmen. Dies kann bei einem Sturz oder Zusammenprall der Fall sein.
Ursachen im Überblick
- Sturz
- Zusammenstoß
- Schlag
Dr. Dreyer weiß: "Das Schädel-Hirn-Trauma ist zum Glück allgemein eine der selteneren Verletzungen. Körperkontakt-Sportarten wie Fußball, Handball, Eishockey und Football, Kampfsport und rasante Sportarten wie Skifahren, Bobfahren sind gefährdet. Im Eishockey und American Football kriegen die Spieler richtig häufig etwas auf den Kopf."
Wie lässt sich eine Gehirnerschütterung behandeln?
Direkt am Ort des Unfalls steht zuerst die Erste Hilfe des verletzten Patienten im Vordergrund. Eventuelle Wunden, z.B. Platzwunden, werden versorgt. Bei einer Bewusstlosigkeit sollte der Betroffene in die stabile Seitenlage gebracht und überwacht werden.
Bei einer leichten Gehirnerschütterung reicht dann in der Regel eine Ruhepause des Betroffenen. Symptome wie Übelkeit oder Schmerzen können mittels Medikamente behandelt werden. Körperliche Aktivitäten sowie Lesen und Fernsehen sind bei einer Kopfverletzung nicht zu empfehlen, da es die Symptome verstärken könnte.
Nach wenigen Tagen Ruhe und Erholung sollte eine leichte Gehirnerschütterung ohne bleibende Schäden wieder abgeheilt sein.
Bei einer schweren Gehirnerschütterung ist ein Besuch des verletzten Patienten im Krankenhaus unbedingt ratsam. Normalerweise bleibt der Betroffene für 24 Stunden unter Beobachtung im Krankenhaus und es werden weitere Tests gemacht. "Das Entscheidende ist, herauszufinden, wie ausgeprägt die Verletzung ist. Besteht eine Einblutung? Ist es mehr als nur eine leichte Gehirnerschütterung? Solange darüber keine absolute Klarheit besteht, ist eine intensive Überwachung notwendig", erklärt Dr. Dreyer.
Die Motorik des Patienten wird überprüft. "Mit den Zehen wackeln, Spreizen der Finger, Stirnrunzeln, die Backen aufblasen – das muss symmetrisch sein. Und ganz wichtig ist die Pupillenreaktion. Der Patient muss mit beiden Augen gleichmäßig einem Finger folgen können, den man vor der Nase hin und her bewegt. Auf ein Licht müssen beide Pupillen seitengleich reagieren. Also wenn ich in das linke Auge reinleuchte, müssen sich beide Pupillen zusammenziehen. Und zwar im linken sowie im rechten Auge, in das ich nicht reinleuchte", so der Mediziner.
Besteht der Patient alle Tests und treten in den 24 Stunden der Beobachtung keine zusätzlichen Ausfallerscheinungen auf, kann der Betroffene das Krankenhaus wieder verlassen.
Prävention im Sport
Die Gefahr einer Gehirnerschütterung ist im Alltag und Sport immer gegeben. Eine vollständige Sicherheit gibt es nicht. Aber man kann einige Maßnahmen treffen, um ein erhöhtes Risiko zu vermeiden.
Am wichtigsten bei der Risikoreduzierung ist immer das Einschätzen der eigenen Fähigkeiten und die Anforderungen der ausgeübten Sportart. Dazu ist das Tragen eines Helms und anderer Schutzkleidung bei einigen Sportarten ratsam - in den meisten Fällen sogar Pflicht.
Im Eishockey wurde beispielsweise bereits 1979 die Helmpflicht in den USA eingeführt. Auch das regelkonforme Tragen einer Schutzausrüstung ist vorgeschrieben. Beim American Football in der NFL ist es sogar bereits seit 1943 verpflichtend, einen Helm zu tragen. Gezieltes Krafttraining zielt zudem darauf ab, die Hals- und Nackenmuskulatur zu stärken.
Gehirnerschütterung – ständige Gefahr im Profisport?
Der Profisport hat in den letzten Jahren an Geschwindigkeit und Intensität zugenommen. Dementsprechend kommt es auch immer häufiger und intensiver zu Körperkontakt. Eine Folge davon sind häufigere Kopfverletzungen.
Seit dem Film "Concussion" ist das Thema Gehirnerschütterung in den USA ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.
In Europa muss noch um Aufmerksamkeit gekämpft werden, obwohl Gehirnerschütterungen im Profisport rund 13 Prozent aller Kopf- und Halsverletzungen ausmachen (siehe Interview Dr. Nina Feddermann). Aber lange Zeit wurden diese Zusammenstöße mit dem Kopf als Teil des harten Fußballs abgetan.
Zumeist werden die Spieler nach einer kurzen Behandlung an der Seitenlinie wieder ins Spiel zurückgeschickt. Oft auch auf Drängen des betroffenen Spielers, wie das Beispiel Javier Mascherano zeigt.
Der argentinische Nationalspieler stieß im Halbfinale der WM 2014 mit dem Niederländer Georginio Wijnaldum per Kopf zusammen, bleib am Boden liegen und musste zur Behandlung das Feld verlassen. Keine drei Minuten später war er wieder auf dem Feld und spielte auch vier Tage später im Finale.
Dabei ist die Gefahr einer Gehirnerschütterung im Fußball bedeutend geringer als z.B. im American Football. Aber das Risiko einer schweren Verletzung ist höher, da Fußballer keine Schutzausrüstung am Kopf tragen. Ein Schutzhelm, wie ihn Torhüter Petr Cech nach seinem Schädelbasisbruch trägt, hat sich im Fußball nicht durchgesetzt.
Die NFL reagierte auf das Problem der Gehirnerschütterungen mit der Einführung des Concussion Protocols. Kommt es zu einer Szene, in der ein Spieler eine Gehirnerschütterung hätte erleiden können, muss er unverzüglich an der Seitenlinie untersucht werden.
Wird der Verdacht einer Gehirnerschütterung diagnostiziert, muss der Spieler aus dem Spiel genommen werden und darf erst wieder nach strengen Auflagen und Untersuchungen an Training und weiteren Spielen teilnehmen. Eine wichtige Regel, denn: Fast die Hälfte aller sportbezogener Schädel-Hirn-Traumata in den USA treten im American Football auf.
Bei einer US-amerikanischen Untersuchung in Wisconsin mit High School Football-Spielern hat sich gezeigt, dass neun Prozent der Spieler in einem Zeitraum von zwei Jahren ein SHT erlitten. In knapp 70 Prozent der Fälle traten diese im Rahmen eines Wettkampfs auf. Häufigster Verletzungsmechanismus war das Tackling.
Solche Regelungen fehlen im Fußball noch komplett.
Dr. med. Florian Dreyer ist Facharzt für Orthopädie und leitender Oberarzt im Zentrum für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie der Schön Klinik München Harlaching. Neben der Durchführung von über 3500 Operationen an Fuß und Sprunggelenk werden hier in einem der weltweit größten Schwerpunktzentren internationale Sportler aus Breiten-, Leistungs- und Spitzensport mit medizinischen Fragestellungen zu Fuß und Sprunggelenk betreut und versorgt. Seit 2007 betreut er die Bob- und Skeleton-Nationalmannschaft des Bob- und Schlittenverbands für Deutschland. Dr. Dreyer war 2018 als Olympiaarzt bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang tätig. Seit einigen Jahren leitet er zudem das medizinische Team der Beachhandball-Nationalmannschaften des Deutschen Handballbundes. Neben der Versorgung von internationalen Leistungssportlern fungiert er zudem als Ansprechpartner für leistungsorientierte Mannschaften diverser Sportarten im Großraum München.