Von Johannes Gorzel
„PowerOfEvil hat mich überrascht”
Zuletzt sprach SPORT1 mit Maurice "Amazing" Stückenschneider, nachdem er es mit seinem Team Origen bei der League of Legends-Weltmeisterschaft bis ins Halbfinale schaffte. Seitdem ist für ihn und seine Kollegen viel passiert: Man holte sich mit PowerOfEvil einen neuen Mid-Laner, der sich zukünftig mit Altmeister xPeke abwechselt, und man gewann die Intel Extreme Masters in San Jose. Ein ohnehin schon von Triumphen gespicktes Jahr 2015 fand für Origen sein perfektes Ende.
SPORT1: Hast du dich zum Ende der Off-Season noch erholen können?
Amazing: Ja, auf jeden Fall. Ich hatte ja meinen letzten Auftritt bei den All-Stars in Los Angeles und konnte danach für knapp zwei Wochen Abstand zum Spiel gewinnen. Nun stecke ich jedoch wieder in der Vorbereitung für die LCS.
SPORT1: Was hast du vom Off-Season-Meta mitbekommen? Gefällt dir der aktuelle Patch?
Amazing: Ich bin da auf dem aktuellen Stand. Ich bin jedoch nicht wirklich glücklich mit dem Status des Spiels. Ich halte League of Legends aktuell für übersaturiert. Es gibt inzwischen zu viele Elemente, die nicht gut balanciert sind. Bei den Objectives sind zum Beispiel die Tower viel wichtiger als Drake oder Herald. Außerdem tritt oft früh ein Schneeballeffekt in Kraft, sodass eine Lane das ganze Spiel entscheiden kann. Das Spiel wurde zu schnell, als dass immer strategische Optionen zur Wahl stünden. Stattdessen gilt inzwischen das Motto „Erst tun, dann denken“.
SPORT1: Denkst du, dass dieser Sachverhalt eine schlechte Voraussetzung für Origen sind, wenn es in die neue LCS-Saison geht?
Amazing: Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir müssen sehen, wie wir uns an das neue Meta gewöhnen. Ich kann mich dabei noch nicht auf irgendwelche Trainingsspiele mit der ganzen Truppe berufen. Im letzten Jahr war es allerdings eine unserer größten Stärken, dass wir schnell verstanden, was das Meta ist und wie wir uns daran anpassen. Folglich sollten wir mit dem neuen Patch auch keine Probleme haben. Individuell passen die neuen Trends auch zu uns. Ich war schon immer ein Early-Game-Jungler, der gerne mal aggressiv spielte, wenn die Option bestand. Und nun haben wir mit PowerOfEvil auch noch einen Priority-Mid-Laner, der gerne Counter-Picks spielt und damit seine Lane dominiert. Mithy und Niels waren außerdem ebenfalls schon immer die stärksten Laner in Europa. Somit gewinnen wir tendenziell also mindestens eh zwei Lanes und auch sOAZ ist in der Top-Lane wahrscheinlich konkurrenzlos – gerade jetzt, wo Huni weg ist.
SPORT1: Was glaubst du, wie die Draft-Phasen in der ersten LCS-Woche aussehen werden?
Amazing: Ich denke, dass Poppy eine sehr hohe Priorität haben wird. Dieser Champion hat zu viele Spells, die kein Counter-Play haben. Mit ihr gibt man dem Gegner also wenig Freiraum. Außerdem ist sie ein Flex-Pick zwischen Support, Top und Jungle, was sie sehr wertvoll macht.
SPORT1: Du hast dich in der letzten Saison dafür ausgesprochen, dass das Warrior-Enchantment und im gleichen Zug auch Jungler wie Lee Sin gestärkt werden sollten. Macht es dich glücklich, dass das Meta sich in dieser Richtung zu deinen Gunsten entwickelte?
Amazing: Early-Game-Jungler wie Lee Sin, Kindred, Rek’Sai oder Elise werden in jedem Spiel zu finden sein und ich denke nicht, dass es andere solide Optionen geben wird. Macht mich das glücklich? (lacht) Ich finde es auf jeden Fall gut, dass Tank-Jungler nicht mehr so dominant sind. Das neue Rezept für Cinderhulk brachte einen Nerf mit sich, da Bami’s Tinder nun 1100 anstatt von 1000 Gold kostet – das macht einen großen Unterschied. Long Swords sind hingegen einfacher zu stacken und somit haben Warrior-Jungler einen besseren Build-Path und damit einhergehend ein stärkeres Early-Game. Es macht mir persönlich definitiv mehr Spaß.
SPORT1: Du hast beschrieben, dass Origen sehr gute Chancen in der regulären Saison haben wird. Steht euch der erste Tabellenplatz zu?
Amazing: Nein! Sowas würde ich nie behaupten, da ich meine Teamkollegen nicht unter Druck setzen möchte. Ich gehe lieber davon aus, dass wir langsam starten und im guten Mittelfeld landen. Umso wichtiger der Wettkampf dann wird, desto stärker werden wir. Zum Anfang der Saison erwarte ich keine Wunder und auch kein 18:0, wie bei Fnatic. Ich möchte einfach nur gute Spiele haben, mit dem Team viel dazulernen und unter uns Fünf eine gute Synergie aufbauen.
SPORT1: Du hast Fnatic angesprochen. Gegen Febiven und Co. werdet ihr am 14. Januar euer erstes LCS-Match in diesem Jahr spielen. Was hältst du von ihrem neuen Team rund um den deutschen Support Noxiak?
Amazing: In der Top-Lane ist Gamsu definitiv kein Spieler wie Huni – das ist aber nicht unbedingt schlecht. Huni ist sehr bipolar in der Hinsicht, dass wenn er gut spielt, sehr gut spielt, jedoch an schlechten Tagen überhaupt nicht klar kommt. Gamsu dürfte konstanter sein und in jedem Spiel die gleiche Leistung bringen. Im Jungle wird er mit Spirit einen Veteranen an seiner Seite haben und deswegen wahrscheinlich zu den zwei besten Top-Lanern Europas zählen. Ich bin mir nicht sicher, wie gut Spirit individuell sein wird – ich glaube nicht, dass er der beste Jungler in Europa sein wird. In diesem Jahr hat die EU LCS auf ganzer Linie im Jungle aufgerüstet: Shook in einem guten Team, Jankos mit besseren Teamkollegen und auch ich kann in einem starken Team aufspielen. Bei Noxiak bin ich mir überhaupt nicht sicher, wie er performen wird. Er wird den Spring Split wahrscheinlich dafür nutzen, sich an die neue Situation zu gewöhnen. In einem schlechten oder mittelstarken Team blüht er spielerisch auf, doch ich weiß nicht, ob er in Fnatic überzeugen kann. Umso länger die Saison geht und umso mehr Spiele er mit dem Team absolviert, desto stärker wird er sein.
SPORT1: Wie sieht bei euch aktuell die Coaching-Situation aus?
Amazing: Strategisch gesehen hat sich das Team früher schon fast ausschließlich selbst gecoacht. Die Coaches, mit denen wir bisher zusammenarbeiteten, waren selten im Mittelpunkt und haben eher beigetragen. Vorerst wird wohl xPeke als unser Game-Coach agieren und bei der Pick- und Bann-Phase zu unserer Seite stehen. Zusätzlich kann ich mir gut vorstellen, dass ein Lifecoach dazukommt, der uns auch abseits des Rechners unterstützt.
SPORT1: Zum Abschluss würde ich noch gerne wissen, was du bislang von PowerOfEvil hältst. Ihr habt bislang nur die IEM San Jose zusammen gespielt und damit verbunden eine Woche lang zusammen trainiert.
Amazing: Er hat es geschafft mich zu überzeugen – er macht sich überraschend gut! Ich hatte vorher nicht erwartet, wie erwachsen er sich verhält. Ich habe das Gefühl, dass er ein Vorstadtkind ist und ihm in einzelnen Dingen abseits des Spiels noch Erfahrung fehlt. Was aber die Kommunikation während der Matches und auch die Diskussionen beim Training betrifft, verhält er sich wie ein Veteran – dabei ist er gerade erst 18 und hat nur ein Jahr LCS hinter sich. Er wird das Niveau unseres Teams auf keinen Fall senken, ich gehe eher davon aus, dass wir als ein gestärktes Origen ins neue Jahr starten.
SPORT1: Da freut man sich ja auf die neue Saison.
Amazing: Definitiv! Es ist nur etwas komisch, dass wir zuvor nur eine Woche Training haben.
SPORT1: Das ist ein interessanter Punkt, den man bei vielen LCS-Teams beobachten kann. Wieso geht ihr und auch eure Konkurrenz mit so wenig Vorbereitung in den Spring Split?
Amazing: Das hat mehrere Gründe. Zum einen liegt es daran, dass die LCS in diesem Jahr ungewohnt früh startet – quasi eine Woche früher als in den Vorjahren. Dann haben einige auch noch einen Silvesterkater. Was man auch nicht vergessen darf ist, dass der Spring Split quasi unbedeutend ist – Origen ist das beste Beispiel. Jedes Team möchte zu den Worlds, doch die Qualifikation dafür passiert größtenteils im Summer Split. Darum nutzen die Teams den Spring Split auch nur zur Vorbereitung und das Niveau der Matches leidet darunter. Wenn man sich an das Spring Final zwischen UoL und Fnatic im letzten Jahr erinnert – das war ja eine absolute „Shit-Show“, wie es einige betitelten. Zum Ende des Spring Splits werden die Spiele meiner Erwartung nach strategisch hochwertiger.